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Ausgabe:

1882 Nr. 22

Spalte:

514-519

Autor/Hrsg.:

Janssen, Johannes

Titel/Untertitel:

An meine Kritiker. Nebst Ergänzungen und Erläuterungen zu den drei ersten Bänden meiner Geschichte des deutschen Volkes 1882

Rezensent:

Kolde, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 22.

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der fränkifchen Staatskirche, denen erlaubt war, mit ihren
Frauen für den Fall in einem Haufe zufammen zu wohnen
, dafs fie den ihnen früher als niederen Geiftlichen
geftatteten ehelichen Verkehr nicht weiter fortfetzten,
die fich aber an diefe Klaufel nicht kehrten, fondern
nach wie vor die eheliche Beiwohnung vollzogen (a. a. O.,
2. Bd., S. 316 ff.). Noch viel geringer wird die Berechtigung
Ebrard's, den von Bonifatius und feinem Biographen
beftimmtcn Geiftlichen beigelegten Namen der
adultcri fchlechthin als einen Hinweis auf irofchottifche
Priefter, Bifchöfe etc. faffen zu dürfen, feitdem Loening
(a. a. O., 2. Bd., S. 426) behauptet und bewiefen und
hierin keine Widerlegung erfahren hat, dafs kein einziges
Zeugnifs dafür beigebracht werden kann, dafs in der Zeit,
von der wir handeln, ein irofchottifchcr Mönch oder
Priefter in die Ehe getreten, oder nach feinem Eintritt
in das Klofter oder den Klerus unter Billigung der
Kirche (d. h. feiner Kirchengemeinfchaft) ,die Ehe, d. h.
den gefchlechtlichen Verkehr mit feiner Frau fortgefetzt
habe'. Aus diefen Gründen entbehrt alles, wasEbrard aus
der Bezeichnung adultcri und aus ähnlichen Ausdrücken
für das Beftehen einer columbanifchen Kirchengemeinfchaft
in Thüringen (S. 70 ff., S. 110 ff.) fowie in Auftra-
fien (S. 154, S. 161) und im gefammten Frankenreiche (S.
181) folgert, eines ftringenten Beweifes.

Am fchlimmften fleht es mit Ebrard's Behauptung,
dafs die Iro-Schotten in Thüringen und in Bayern eine
feftgefchloffene, refp. eine wohl organifirte Kirchengemeinfchaft
gebildet haben. Dafs nämlich Bonifatius
felbft das columbanifche Kirchenthum in Thüringen als
eine .förmliche, gefchloffene Kirchengemeinfchaft' ange-
fehen haben foll, folgert Ebrard unter anderem (S. 120 ff.)
aus einem Briefe desfelben an Daniel von Winchefter,
in welchem jener in Betreff der ,dictoncm sacerdotum
communis um Rath bittet und erklärt, dafs er gegen
diefelben ohne Hülfe Karl Martell's nichts ausrichten
könne. Da es kaum anzunehmen ift, dafs Ebrard die
,dictorum sacerdotum communid in dem Sinne einer
Gemeinfchaft diefer Priefter unter einander, alfo im
Sinne einer Kirchengemeinfchaft fafst, indem ja Bonifatius
hier, wie der Tenor des Briefes beweift, von feiner,
ihm durch die Verhältnifse leider aufgenöthigten, Gemeinfchaft
mit jenen Prieftern redet, fo wird Ebrard wohl nuraus
der Annahme, dafs blofs eine gefchloffene Kirchengemeinfchaft
einen folchen Widerftandcntgegenzufetzen im Stande
war, dafs gegen fie die Hülfe des Majordomus angerufen
werden mufste, auf das Vorhandenfein einer geordneten
columbanifchen Kirchengemeinfchaft in Thüringen ge-
fchloffen haben, ein Schlufs, der infofern keine zwingende
Kraft hat, als ja Bonifatius die Unterftützung Karl
Martell's auch gegen den fich ihm nicht fügenden fränkifchen
Klerus erbitten konnte. Die Hypothefe Ebrard's
aber, dafs die irofchottifche Kirche in Bayern vollftändig
organifirt, dafs fie fogar in vier Diöcefen: Regensburg,
Freifing, Salzburg und Paffau getheilt war, beruht lediglich
auf der Behauptung, dafs Bonifatius an den vier genannten
Orten columbanifche Abt-Bifchöfe vorgefunden
habe; aber diefe vier columbanifchen Abt-Bifchöfe verdanken
ihre Exiftenz nur der fie geradezu hervorzaubernden
Phantafie Ebrard's. Denn Vivilo von Paffau ift,
was Ebrard mit vieler Kunft, aber ohne zu überzeugen,
beftreitet (S. 137 ff.), fchon bevor Bonifatius nach Bayern
kam , vom Papftc felbft zum Bifchof geweiht worden.
Wigbert, Abt-Bifchof von Regensburg, den Ebrard ebenfalls
für die columbanifche Kirchengemeinfchaft Bayerns
beanfprucht (S. 134, S. 141, S. 145 ff.) ift gar nicht Bifchof
von Regensburg gewefen (vgl. Oelsner, Jahrbücher
des fränkifchen Reiches unter König Pippin, S. 372 und
Wattenbach, Gefchichtsquellen I. Bd. 1877, S. 126, A. 3);
und in Betreff des Bifchofs Erembert von Freiling fteht
nur das Eine feft, dafs Bonifatius felbft ihn zum Bifchof
beftcllt hat, und keine Quelle unterftützt die Annahme
Ebrard's (S. 139 ff.), dafs diefer, vor feiner Weihe durch

Bonifatius, bereits columbanifcher Abt-Bifchof von Freifing
gewefen. Was den vierten, angeblich von Bonifatius
vorgefundenen, bayerifchen Bifchof, den Flobargis von
Salzburg anlangt, fo hat Ebrard für deffen Zugehörigkeit
zur columbanifchen Kirchengemeinfchaft eigentlich keinen
andern Beweis bereit, als den, dafs ihm Bonifatius
in Johannes einen Gegen-Bifchof gegenüber geftellt
haben foll. Jedoch die einzige und volles Vertrauen erweckende
Quelle in Betreff des Verhältnifses des Johannes
von Salzburg zu Flobargis, nämlich der Salzburger
Abt-Katalog, erzählt uns nichts davon, dafs Johannes
Gegen-Bifchof des Flobargis, fondern mit klaren Worter
, dafs er der Nachfolger desfelben war.

So kann denn Ref. in Bonifatius nicht einen Zer-
ftörer des columbanifchen Kirchenthums erblicken, denn
ein folches gab es im Frankenreiche nicht; foll er aber
nun einmal als Zerftörer bezeichnet werden, fo nenne
man ihn einen Zerftörer der kaum mehr lebensfähigen
fränkifchen Staatskirche, und zwar in dem Sinne, dafs
er die freiere Stellung derfelben Rom gegenüber in eine
Abhängigkeit vom Papfte und vom römifchen Kirchenrecht
gewandelt hat.

Es fei Ref. geftattet, noch eine Reihe von Punkten
namhaft zu machen, in denen er fich mit Ebrard in
Uebereinftimmung weifs. Dafs Winfrid nicht, wie Fi-
fcher annimmt, nach einander in zwei Klöftern britifcher
Richtung erzogen worden ift, hat Ebrard in einer eingehenden
Auseinanderfetzung (S. 24 ff.) erwiefen, fowie
dafs Willibald's Darftellung der Jugend des Bonifatius
fehr viel Unglaubwürdiges, was Fifcher beftreitet, enthält
(S. 48 ff.). Ebenfalls ift Ebrard im Recht, wenn er
(S. 167, A. 2 und S. 172, A. I) feinem Gegner gegenüber
an der urfprünglichen Zugehörigkeit des Bifchofs
Virgil von Salzburg zu den Irofchotten fefthält.
Ferner giebt eine Zufammenftellung aller unhaltbaren Behauptungen
Fifcher's über die Abficht des Bonifatius,
eine fränkifche Landeskirche zu gründen, Ebrard allen
Grund, fich in ironifcher Weife über diefen dem Apoftel
der Deutfchen angedichteten Plan auszulaffen (S. 188,
A. 1). Auch ift die Rüge, die Fifcher von Ebrard dafür
empfängt (S. 206, A. 1), dafs ihm feine Quellenkritik
, trotz der beftimmten Nachricht der Annales Laurissenses
, die Salbung Pippin's zum Könige durch Bonifatius
in Soiffons zu beanftanden erlaubt, wohl verdient;
gewifs ift auch daran nicht zu zweifeln, dafs, wie Ebrard (S.
211) Fifcher gegenüber nachweift, ,eine Amtsniederlegung
von Seiten Winfrid's nie ftattgefunden hat'. Leicht liefse
fich die Zahl der Anflehten, in denen fich Ref. auf die Seite
Ebrard's in feinem Kampf gegen Fifcher fchlagen kann,
vermehren, doch würde die Aufzählung derfelben hier
zu weit führen. In einem Anhang hat Ebrard (S. 217 ff.)
einen von ihm in der Zeitfchrift für hiftorifche Theologie
1875 veröffentlichten Auffatz über ,die Keledei in Irland
und Schottland' zum Wieder-Abdruck gebracht.

Von der Schrift Ebrard's kann Ref. nicht ohne das
Bedauern fcheiden, dafs foviel Scharflinn, eine in fich
fo gefchloffene und confequente Behandlungsweife, foviel
Arbeit und Gelehrfamkeit an die Vertheidigung
einer Hypothefe gefetzt ift, welche das gefammte Quellen
-Material gegen fich hat.

Strafsburg i. E., Auguft 1882. R. Zoepffel.

Janssen, Jobs., An meine Kritiker. Nebft Ergänzungen
und Erläuterungen zu den drei erften Bänden meiner
Gefchichte des deutfchen Volkes. 1—8. Taufend. Freiburg
ißt. 1882, Herder. (XI, 227 S. gr. 8.) M. 2. 20.

Wie bekannt, hat Janffen's Gefchichte des deutfchen
Volkes, nach der Zahl ihrer Auflagen zu fchliefsen,
einen ungewöhnlich grofsen Leferkreis und weithin in
der Preffe bis in die entlegenften Caplanblätter lob-
preifendc Bewunderer gefunden. Aber auch an fcharfen
Kritikern hat es nicht gefehlt. Die Refultate diefer neue-