Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1882 Nr. 2

Spalte:

28-33

Autor/Hrsg.:

Dräseke, Johs.

Titel/Untertitel:

Der Brief des Diognetos 1882

Rezensent:

Overbeck, Franz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

27

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 2.

28

wiffens, welches ihnen fagt, was gut und böfe ift, mit
Zeugnifs ablegt (ovviiaQTvgovorjg). Es giebt alfo für die
Gefetzeskenntnifs der Heiden (oder wie der Apoftel fich
ausdrückt: dafür, dafs das Werk des Gefetzes gefchrie-
ben fei in ihren Herzen) einen doppelten Beweis: 1) ihre
thatfächliche Erfüllung desfelben in einzelnen Fällen,
und 2) ihr eigenes fittliches Urtheil. Nach Godet dagegen
ift das doppelte Zeugnifs 1) das des Herzens, und
2) das des Gewiffens (I, 264). Was man fich bei diefer
Unterfcheidung denken foll, ift fchwer zu fagen, und ift
offenbar auch Godet felbft nicht klar geworden, da er
gleichzeitig die ganz richtige Auslegung Volkmar's zur
vermeintlichen Beftätigung feiner eigenen anführt. Ein
anderes Beifpiel mangelnder Schärfe liefert z. B. die Erörterung
über den Begriff der diy.cuoOuvrj Gottes Cap.
3, 25. Godet führt hier nicht weniger als fechs(!) ver-
fchiedene Erklärungen an, welche die Ausleger aufge-
ftellt haben (I, 330). Im Grunde handelt es fich aber
nur um zwei. Jedenfalls find die unter Nr. 1 — 5 aufgezählten
nur verfchiedene Modificationen einer und der-
felben; und es kann nur, wenn man fich dies klar macht,
die Hauptfrage, um die es fich handelt, präcife formu-
lirt werden. — Noch bedenklicher freilich als die öfters
mangelnde Schärfe ift der Umftand, dafs die Auslegung
fehr ftark von dogmatifchen Gefichtspunkten beherrfcht
ift. Allerdings ift dies beim Römerbrief relativ weniger Hörend
als bei manchen anderen Schriften des Neuen Tefta-
mentes, da die evangelifch-orthodoxe Dogmatik ohnehin
am ftärkften nach dem Gedankenkreis des Römerbriefes
orientirt ift, hier alfo die Verfuchung relativ am felten-
lten ift, den Gedanken des Apoftels zu Gunften der
Dogmatik Gewalt anzuthun. Daher ilt auch an manchen
biblifch-theologifch wichtigen Punkten, z. B. bei Cap.
5, 12 ff., die Auslegung Godet's im Ganzen recht gut.
Aber diefe Fähigkeit, den Gedanken des Apoftels gerecht
zu werden, hält immer nur fo lange Stand, als
dabei die eigene Dogmatik keinen Schaden leidet, hört
daher z. B. an der eben citirten Stelle bei C. 5, 20
(Iva nlEovaarj %o naQctTtKafxa) wieder auf. Und fo ift
überall doch die eigene Dogmatik, wenn auch unbe-
wufst, das Mafsgebende. Diefe ift übrigens nicht die
reformirt orthodoxe, fondern etwa das, was man heutzutage
die gläubige Durchfchnittsdogmatik nennen könnte.
Das zeigt fich befonders bei der Auslegung von Cap. 9,
wo Godet weder den Gedanken des decretum absolutum
finden will, noch auch fich entfchliefsen kann, eine Antinomie
in dem Bewufstfein und in den Ausführungen des
Apoftels zuzugeben, vielmehr eine Befchränkung der
Prädeftination durch die göttliche Präfeienz findet, auf
Grund der bekannten aber unhaltbaren Auslegung von
Cap. 8, 29 ovg irgobyra x«< jrgotoQLGEv (f. bef. den Ex-
curs II, 311 —318). — Sonft bieten ja namentlich die
chriftologifchen Stellen Anlafs genug zu dogmatifcher
Umdeutung. Und fo wird gleich bei Cap. 1, 3 ausgeführt
, dafs jedenfalls auch bei Paulus der Glaube an die
ubernatürliche Geburt Chrifti vorauszufetzen fei. Der
Hauptbeweis hiefür ift, dafs Lucas ihn hat. Denn ein
Widerfpruch zwifchen Paulus und feinem getreuen Mitarbeiter
fei in diefem Punkte undenkbar (I, 163). —
Schliefslich fei nur noch erwähnt, dafs Godet auch C 16
als urfprünglichen Beftandtheil des Römerbriefes betrachtet
(I, 139 f. II, 568 ff.).

Von der deutfehen Ueberfetzung ift bis jetzt erft
der erfte Theil erfchienen, welcher die Einleitung und
Cap. 1—5 umfafst.

Giefsen. E. Schürer.

Dräseke, Dr. Johs., Der Brief an Diognetos, nebft Beiträgen
zur Gefchichte des Lebens und der Schriften
des Gregorios von Neocaefarea. Leipzig 1881, Barth.
(VIII, 207 S. gr. 8.) M. 3. —

Auffallend rafch erhält man hier zu einem Buche
den ganzen Ertrag des eben abgefchloffenen Jahrganges
der Jahrbücher für proteft. Theologie an Arbeiten des
Verf.'s zufammengeltellt. Wer eine Rechtfertigung in
der Befchaffenheit der mit folcher Eile fich wieder vor-
ftellenden Abhandlungen vergeblich fucht, mag leicht
darauf gerathen, fich die Sache aus der ungewöhnlichen
Mittheilfamkeit des Verf.'s zu erklären, ohne welche
fchon die erfte öffentliche Mittheilung feiner Studien und
Gedanken fchicklicher Weife kaum die Hälfte ihres Um-
fanges zu erreichen ein Recht gehabt hätte. Doch wird
nicht Jedermann in der üblen Lage fein, diefe Monftra
wirklich zwei Mal hintereinander zu bewältigen, in welche
ich mich verfetzt habe, indem ich eine Anzeige des vorliegenden
Buchs übernahm. Auch aus ganz anderen
Gründen habe ich dies nicht ohne Scheu gethan. Meine
Anzeige kann nicht umhin, zugleich eine Art Antwort
auf die Streitfchrift des Verf.'s gegen meine vor einigen
Jahren erfchienene Abhandlung über den Brief an Dio-
gnet zu fein, welche, genau den doppelten Umfang diefer
Abhandlung erreichend, den gröfsten Theil feines Buches
ausfüllt (S. 1 —141). Allein meine Anficht über den
Brief an Diognet ift dem dafür fich intereffirenden Publicum
aus jener Abhandlung fchon bekannt und mei-
nerfeits darauf zurückzukommen aus Anlafs einer Streitfchrift
, auf die ich nichts kundzuthun habe, als dafs ich
bei meiner Anficht bleibe, fcheint auf jeden Fall wenig
erfpriefslich für die Sache und läfst fich überdies leicht
fehr übel deuten. Wenn aber mein Gegner meine Abhandlung
fich nicht anders zu erklären weifs als dadurch
, ,dafs lediglich die Freude am Widerfpruch und
an der Vertheidigung einer paradox erfcheinenden, von
Niemandem bisher gewählten Stellung zur Frage mich
in erfter Linie zu meiner Arbeit veranlafst hat' (S. 18),
fo müfsten wenigftens meine Neigungen felbft den Vorwurf
des Gefchmacks am Paradoxen ftark unterftützen,
wenn ich grofse Luft dem Verfaffcr Rede zu ftehen zu
bekennen hätte. Es dennoch zu thun, bewegt mich nur
das ftarke Vorurtheil, das nun einmal der Brief an D.
und mit ihm auch fehr Nichtiges, welches ihm günftig
ift, für fich hat, das aber fchrankenlos walten zu laffen,
wer es einmal unternommen hat es zu bekämpfen, kaum
fich erlauben darf. Gern aber fehe ich mich durch die
Rückficht auf die an gegenwärtigem Orte meiner Anzeige
gezogenen räumlichen Schranken genöthigt, darauf
zu verzichten, dem Verf. in alle Winkel meiner Abhand-
j lung zu folgen. Er felbft mufs es begreifen, dafs mir
I diefer Spaziergang unter dem Lichte feiner Fackel wenig
i Ergötzen bereiten würde. Ohnehin würden wir dabei
j auf nicht Weniges ftofsen, was vielleicht felbft ftarkes
Vorurtheil nicht leicht unter feine Fittige nehmen mag.
Z. B., wenn mir der Verf. S. 16 ff., dafs der Ueber-
j fchrift des Briefs an D., fobald man ihren Juftin verwirft
, kein Zeugnifs juftinifcher Zeit mehr zu entnehmen
ift, mit ,Grundfätzen gefunder philologifcher Kritik' be-
ftreitet, welche die Behauptung der Herkunft z. B. fämmt-
licher pfeudochryfoftomifcher Plomilien aus dem 4. Jahrhundert
geftatten würden, oder wenn er fich Keim's Einfall
, dafs das Bild der Sendung eines Königsfohns ad
D. 7, 4 die Zeit der Mitregentfchaft des Marc Aurel und
feines Sohnes anzeige, nicht rauben laffen will (S. 31 ff.;.
Doch wie es damit und Anderem der Art auch ftehen
mag, ich habe mich hier möglichft innerhalb der Schranken
einer allgemeinen Charakteriftik der Streitfchrift des
Verf.'s zu halten.

Schon der glühende Eifer, mit welchem der Verf.
meine Abhandlung beftreitet, beweift, dafs er fie eigentlich
gar nicht verftanden hat. Was ich darin behauptet