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Ausgabe:

1882

Spalte:

415-419

Autor/Hrsg.:

Seydel, Rud.

Titel/Untertitel:

Das Evangelium von Jesu in seinen Verhältnissen zu Buddha-Sage u. Buddha-Lehre, mit fortlaufender Rücksicht auf andere Religionskreise untersucht 1882

Rezensent:

Oldenberg, Hermann

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Theologifche Literaturzeitimg. 1882. Nr. 18.

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ihn zu befchränken und alles fonftige ergänzende !
Material bei Seite zu laffen. Am wenigften wäre dies
gerechtfertigt bei einer auf weitere Kreife berechneten
Darfteilung. Wollte der Verf. aber mehr den gelehrten
Intereffen dienen, dann hätten die einzelnen Punkte eben
doch viel forgfältiger im Detail befprochen werden
müffen, es hätte die einfchlägige Literatur berückfichtigt
werden müffen (was hier faft gar nicht gefchieht), und
es hätten auch in diefem Falle die anderen Quellen, die zur
Ergänzung des Jofephus dienen, herangezogen werden
müffen. Was nun vorliegt, ift ein eigentümliches
Zwitterding zwifchen populärer und wiffenfchaftlicher
Darftellung, durch das, wie ich fürchte, weder das eine
noch das andere Intereffe befriedigt wird.

Giefsen. E. Schür er.

Seydel, Rud., Das Evangelium von Jesu in seinen Verhältnissen
zu Buddha-Sage u. Buddha-Lehre, mit fortlaufender
Rückficht auf andere Religionskreife unterfucht.
Mit zwei Regiftern. Leipzig 1882, Breitkopf & Härtel.
(VIII, 361 S. gr. 8.) M. 8. —

Das vorliegende Werk ift, wie der Verf. fich ausdrückt,
eine ,buddhiftifch-chriftliche Evangelienharmonie
mit Seitenblicken auf andere Religionskreife
'. Dies wenigftens ift der Hauptinhalt des
Buches; die Einfuhrung desfelben durch Gedanken
über freie vergleichende Religionsgefchichte und allgemeine
Religionsvergleichung, durch Auseinander-
fetzungen über die Frage Leffing's, ob das Chriften-
thum die vollendete Religion ift, weil Gott es offenbart
hat, oder ob wir es für offenbart halten follen, weil es
die vollendete Religion ift: dies Alles entbehrten wir
lieber. Ueber Detailfragen fpreche wer mag; von den
Grundlagen und letzten Zielen weitefter Gebiete der
Wiffenfchaft und gar des menfchlichen Geifteslebens
überhaupt hören wir nur den gern reden, der aus dem
Vollen fchöpft.

Als das Wefentliche in der Arbeit Seydel's mufs
die von ihm verbuchte Durchführung des Satzes bezeichnet
werden, dafs ,die Annahme eines Einwirkens bud-
dhiftifcher Vorbilder auf die chriftliche Evangelienliteratur
und auf die fich zunächft anfchliefsenden neuteftament-
lichen Schriften grofse Wahrfcheinlichkeit für fich hat'
(S. 295). Neben den beiden Hauptquellen nämlich
unferer Evangelienliteratur — der Verf. benennt fie als
Ur-Matthäus und Ur-Marcus — fcheine eine dritte Quelle
exiftirt zu haben, ,ein poetifch-apokalyptifches Evangelium
frühefter Zeit, welches feinen chriftlichen Stoff, in
edelfter Heiligung und Reinigung das Vorgefundene der
fremden verwandten Literatur gleichfam durch eine Wiedergeburt
aus dem chriftlichen Geifte umfchafi'end, in
die Umrahmungen des buddhiftifchen Evangelientypus
fpannte' (S. 304).

Wenn der Vf. mit diefer Hypothefe gleichfam eine
Brücke zwifchen zwei durch weite Tiefen getrennten
Gebieten zu fchlagen unternimmt, fo kann — dies liegt
auf der Hand — ein indologifcher Kritiker, der auf dem
einen der beiden Ufer fleht und flehen bleiben mufs,
eben nur den Theil der Mauerwerke prüfen, der auf
diefem Ufer aufgeführt ift: nach den Beobachtungen, die
er hier macht, wird er wohl Vermuthungen, aber doch
auch eben nur Vermuthungen darüber fich bilden dürfen
, wie die ihm felbft nicht zugänglichen Theile des
Werkes befchaffen find.

Der Verf. behandelt mit grofser Ausführlichkeit die
Literaturgefchichte der buddhiftifchen heiligen Texte
(S. 47—101). Er fchöpft aus Ueberfetzungen und aus
Quellen zweiter, zuweilen dritter Hand; mit erheblicher
Sorgfalt hat er fich in der bezüglichen Literatur, foweit
fie dem Nicht-Indologen zugänglich ift, heimifch gemacht
. Das Refultat ift trotzdem mehr als fraglich.

Gewifs ift Niemand verbunden, diefe fernliegenden Gebiete
aus den Quellen felbft zu kennen; wer fie aber
nicht kennt und wer dadurch zur Kritiklofigkeit gegenüber
den ihm in den Wurf kommenden Angaben von
Kennern, gelegentlich auch von Nichtkennern, verur-
theilt ift, dem follte es wenn nicht das wiffenfchaftliche
Gewiffen fo doch der wiffenfchaftliche Gefchmack wider-
rathen, z. B. über die Abfaffungszeit von Werken, deren
Titel bei ihm flehend falfch geschrieben find, weitläufige,
für die wirkliche Erforfchung der betreffenden Fragen
belanglofe Hypothefen vorzutragen. Anfchaulich treten
die Confequenzen derartiger Mifsgriffe z. B. in den Ausführungen
des Verf.'s über die vielbehandelte Infchrift von
Bhabra hervor (S. 49 ff.), welche er feiner Darfteilung
der buddhiftifchen Literaturgefchichte zu Grunde legt:
aus Irrthümern, welche er von indologifchen Interpreten
der Infchrift überkommen hat, und aus Phantasmen, für
die er allein die Verantwortung trägt, wird hier ein
Luftfchlofs aufgeführt, deffen Dauerhaftigkeit mit der
Zuverficht feines Baumeifters wenig in Einklang fleht.
Die Infchrift ift eines der intereffanteften Monumente
des buddhiftifchen Indien; fie enthält eine Proclamation
des grofsen Königs Afoka (um die Mitte des dritten Jahrh.
vor Chr.) an den buddhiftifchen Mönchsorden, in welcher
der König das Studium gewiffer auf Buddha zurückgeführter
Texte anempfiehlt. ,Was immer, ihr Ehrwürdigen
', heifst es dort, ,vom erhabenen Buddha gefprochen
ift, Alles das ift ganz und gar wohlgefprochen'. Seydel
überfetzt im Anfchlufs an Burnouf: ,Alles Das, und Das
allem, ift wohlgefprochen'. Die Worte und das allein
(Seydel hebt fie durch Curfivfchrift hervor) flehen nicht
im Text; und diefe Interpolation ift verhängnifsvoll, indem
fie die Auffaffung befördert, als habe der König
bei der Lifte einzelner Texte, welche dann in der Infchrift
aufgeführt werden, eine Ausfonderung des Echten
, eine planmäfsige Zurückweifung unkanonifcher Pro-
duetionen im Auge gehabt. In der That handelte es fich
für ihn um nichts weiter, als darum, nachdem er zuerft
feine Ehrfurcht vor Allem, was Buddha gefprochen,
ausgedrückt, eine engere Auswahl folcher heiliger Worte
dem fpeciellen Studium der Gläubigen zu empfehlen.
Seydel lieft nun aus der in der Infchrift aufgeführten
Reihe von Titeln eine vollkommene Literaturgefchichte
und mehr als das heraus. Wir berührten fchon, dafs er
in jener Zufammenftellung eine kritifche That des Königs
findet, der das Echte von dem Unechten ausfonderte.
Er weifs, was dem Afoka bei Allem, was in der Infchrift
gefagt ift, vorfchwebte und was er wollte, und er findet
es verftändig, dafs er eben dies wollte; er weifs, wie die
zu Patna verfammelten Aelteften fich zu den Intentionen
des Königs Hellten; er weifs, weshalb Afoka eben die
von ihm befolgte Ordnung in feiner Infchrift innehielt
— er wollte nämlich, uns Philologen zu Nutz und Frommen
, zeigen, was von diefen Werken das Aeltere und
was das Jüngere ift —: kurz, Dinge, von denen man bisher
beim bellen Willen nur wenige nebelhafte Linien zu
erkennen meinte, zeigen der Phantafie unfercs Verf.'s Um-
riffe und Farben, deren volle Beftimmtheit fcheinbar
nichts zu wünfehen übrig läfst. Prüft man näher, fo
trifft man freilich auf ein Gemifch von Mifsverftändnifsen
und Widerfprüchen. Die Titelreihe der erwähnten Infchrift
von Bhabra fchliefst — oder foll doch fchliefsen
(S. 50) — mit ,den Fragen des Upatishya und der Lec-
tion an Rähula Irrlehren betreffend'. Der Verf. bemerkt
dazu (S. 53, vgl. S. 68), dafs diefe Titel an die meta-
phyfifche oder philofophifch-dogmatifche Art erinnern,
welche fpäter die Schriften des Abhidharma, der fyfle-
matifchen Auseinanderlegung der buddh. Doctrin, cha-
rakterifirten. Schon diefer Satz ift bezeichnend. Jedem,
der fich mit Abhidharma-Werken auch noch fo flüchtig
befchäftigt hat, wird es feftftehen, dafs wer fich bei
jenen Titeln an den Abhidharma ,erinnert' zu finden behauptet
, nicht weifs, wovon er redet. Doch dies Urtheil