Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1882 Nr. 17

Spalte:

400-401

Autor/Hrsg.:

Lohmann, Bernh.

Titel/Untertitel:

Grundlinien der sittlichen Weltordnung. Ein Wegweiser zum höchsten Gute für Laien und Theologen 1882

Rezensent:

Wetzel, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

399

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 17.

400

könnte, dafs er Ritfehl Unrecht gethan hat. Denn das j Fettigkeit, dafs man unwillkürlich an die theologifchen
ift der einzig bemerkenswerthe Zug an dem Vortrage, . Verfuche des letztverflorbenen Papftes erinnert wird,
dafs der Verf., obgleich in einer Action gegen Ritfehl Der Naturalismus gründet das religiöfe Syftem auf die
begriffen, unvermerkt für religiöfe Pofitionen eintritt, auf | Gottesidee; Ritfehl ebenfalls. Der Naturalismus leitet
welche Ritfehl grofsen Werth legt, und welche von fei- 1 die Vergebung der Sünden aus der Liebe Gottes ab,
nen fonftigen Gegnern fehr beftritten werden. Wenn 1 ohne der Sühnung am Kreuz zu gedenken; Ritfehl ver-
der Verf. fagt, es komme für den Glauben nicht darauf j wirft bekanntlich die letztere ebenfalls. Folglich ift er
an, die Thatfache, dafs er in der gefchichtlichen Geftalt j Naturalift. Nun kann der Verf. freilich nicht verfchwei-
Chrifti Gott vor fich hat, zu erklären, fondern nur dar- gen, dafs nach" Ritfehl die Liebe Gottes keine felbftver-
auf, die Thatfache felbft in ihrer Wirklichkeit zu erken- j ftändliche Wahrheit, fondern eine in Chriftus vorhandene
nen, fo wird ihm darin niemand lebhafter zuftimmen als Wirklichkeit ift. Er müfste das fehr unbequem finden,
Ritfchl. Dagegen wird er damit bei Luthardt auf fchwere denn unter dem Naturalismus, deffen er Ritfehl über-
Bedenken ftofsen, der fich nichts Wirkliches vorftellen führen will, verfteht er die Einbildung der natürlichen
kann, das nicht von den Möglichkeiten der Erklärung 1 Religion. Indeffen gegen folcheBeklemmungen weifs unfer

umgeben wäre- Für folche Theologen ift offenbar ein
Bekenntnifs zu dem Gottmenfchen, das nicht durch den Ver-
fuch, ihn zu erklären, vervollftändigt wird, eine Halbheit.
Dieckhoff ift nicht diefer Meinung. Für ihn ift die directe
Erkenntnifs Gottes in Chriftus genug. Aber noch mehr.
Der Verf. will das religiöfe Erkennen bei demjenigen
feftgehalten wiffen, was für den Glauben durch die Offenbarung
gegeben ift. Er grenzt damit das Gebiet des
religiöfen Erkennens ebenfo ab, wie es in der Apologie
Art. 2, 50—52 gefchehen ift. Wenn wir nun in diefem
Grundfatze mit ihm Stellung nehmen, fo müffen wir uns
doch fragen, was denn die in Beziehung auf den Glauben
flehende Offenbarung fei. Und follten wir uns nun
über der Antwort entzweien müffen, dafs diefe Offenbarung
Chriftus felbft ift in feiner durch das Neue Tefta-
ment überlieferten Gefammterfcheinung, dafs aber alles
Uebrige in der h. Schrift immer erft infoweit dazu gerechnet
werden kann, als es dem Glauben verftändlich
geworden ift und fich daher ergänzend und erläuternd
um jenen Mittelpunkt gruppiren kann? Ich follte meinen,
wenn man überhaupt den aufrichtigen Willen hat, fich
der Offenbarung zu unterwerfen, fo müfste man fie in
diefem fehen, was dem Glauben verftändlich ift und deshalb
den Gläubigen in feiner innerften Gefinnung zu binden
vermag. Der Verf. ift nicht diefer Meinung. Für
ihn ift der eigentliche Glaubensgegenftand dasjenige, was
er fich unter dem präexiftenten, die Welt {"erraffenden
und jetzt wiederum die Welt beherrfchenden Sohne
Gottes vorftellt. Alfo dem, was, für fich genommen,
nur die Phantafie befchäftigen, aber die Gefinnung gar

Verf. fich zu fchützen. Ritfehl in feiner Arglift hat ja nur zu
dem Zweck die Ueberzeugungvon der Liebe Gottes an die
gefchichtliche Erfcheinung Chrifti geknüpft, um den Naturalismus
nicht als offenen Gegner des Chriftenthums
auftreten zu laffen, fondern ihn auf den Boden diefes
letzteren felbft zu verpflanzen. Der Verf. kann es uns
nicht übel nehmen, wenn wir bei diefer feiner Glanz-
leiftung in eine Stimmung gerathen, welche dem Ernfte
des Gegenftandes nicht mehr entfpricht. Wenn auch
das Uebrige weniger erheiternd ift, fo ift doch die Dialektik
durchweg ebenfo hilflos. Wenn es dem Theologen
, über welchen diefes Gericht ergangen ift, nur darauf
ankäme, feine Gegner in Verlegenheit zu fehen, fo
würde er angefichts diefes Vortrags fagen können: ich
habe den Vortrag mit herzlicher Freude gelefen.

Marburg. W. Herrmann.

Lohmann, Beruh., Grundlinien der sittlichen Weltordnung.

Ein Wegweifer zum höchften Gute für Laien und
Theologen. Wiesbaden 1880, Niedner. (VII, 339 S.
gr. 8.) M. 5. —; geb. M. 6. —

Was uns unter diefem viel verheifsenden Titel dargeboten
wird, ift freilich kein Erzeugnifs fpeculativen
Denkens über die höchften ethifchen Probleme, überhaupt
keine eigentlich wiffenfehaftliche Leiftung. Viel eher
möchten wir das in der That für gebildete Laien mehr
noch als für Theologen als ernfte und anziehende Leetüre
zu empfehlende Werk als ein Erbauungsbuch be-
nicht beftimmen kann, wird die Entfcheidung über die 1 zeichnen und zwar dann als ein folches, dem in feiner

Geftalt der chriftlichen Weltanfchauung anvertraut. Wir
behaupten nun, dafs dabei die Offenbarung aus ihrer
berechtigten Stellung durch die Einfälle verdrängt wird,
welche der durch natürliche und vorchriftliche Motive
bewegten Phantafie bei jenen vermeintlichen Hauptpunkten
kommen mögen. Und von hier aus würde nun der
Verf. zu einer befferen Würdigung Ritfchl's gelangen
können. Denn ich zweifle nicht daran, dafs er es auch
für weniger werthvoll halten wird, eine Anregung der
Phantafie zu empfangen als in feiner gefammten Lebensrichtung
fich durch die Offenbarung beftimmen zu laffen.

Art nicht leicht ein befferes an die Seite geftellt werden
möchte. Wofür nur ein deutfeher Theolog von reichem
Geift und warmem Herzen, der auf den mannigfachften
Gebieten der modernen Bildungswelt fich heimifch fühlend
auch den Blick für das menfehlich Edle und Schöne
fich unverdüftert bewahrt hat, in liebender Hingebung
fich begeiftern und auch Anderen das Verftändnifs zu er-
fchliefsen fich gedrängt fühlen mag, das weifs der Verf.
— fo viel Referentem bekannt ift erfter Divifionsprediger
in Wiesbaden — in den Kreis feiner Betrachtungen zu
ziehen und in lichtvoller Gruppirung zu einander in BeWenn
man nun fo urtheilt, fo wird man Ritfehl darin ; ziehung zu fetzen, darüber weifs er auch in hohem

Recht geben müffen, dafs man zum Chriftenthum nicht
kommt, indem man fich zuerft über jene Dinge, welche
der Verf. bevorzugt, Gedanken macht, wohl aber durch
das Verftändnifs der gefchichtlichen Perfon Chrifti als
der vollkommenen Offenbarung Gottes. Das fcheint mir
aber das Wichtigfte an der Theologie Ritfchl's zu fein,
dafs fie den kräftigen Antrieb ertheilt hat, an der rich-

Schwung bilderreicher, oft vollendet fchöner Darfteilung
zu reden. Sein Plan ift, den Begriff des höchften Gutes
als der Zufammenfaffung aller idealen Güter des Men-
fchenlebens aus der Darfteilung diefer letzteren im Einzelnen
zu gewinnen. Aber nicht auf dem Wege begrifflicher
Entwickelung will er dies erreichen. Anftatt der
Fragen: Was ift das höchfte Gut? Wie ift fein Wefen zu

tigen Stelle in das Verftändnifs des Chriftenthums ein- beftimmen? treten ihm von vornherein die Fragen in
zutreten, an welcher wir nicht fofort auf im Unbeftimm- den Vordergrund: Worin haben die Weifen des griechi-
ten fich verlierende Geftalten gerathen, fondern auf , fehen Alterthums es geahnt? worin haben's die i'rophe-
ebenfo klare und verftändliche wie unergründliche ! ten Israels gefucht? wie ftellt es fich dar in den Werken
Mächte. — Von der Art, wie der Verf. das Bild Ritfchl's der Dichtung? Was ift's dem frommen Gefühl? wie hat
für den Gebrauch feiner Zuhörer herftellt, will ich nur die Aufklärungszeit zu klarem Begriff darüber hinleiten
eine Probe geben. Es foll bewiefen werden, dafs die wollen? So bietet fich dem Verf. fchon im erften AbTheologie
Ritfchl's Naturalismus fei. Der Verf. thut fchnitt: ,Das höchfte Gut' erwünfehte Gelegenheit, über
dies mit fo verblüffenden Mifsgriffen, aber mit folcher die Sage vom heiligen Gral und über die Philofophie