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Ausgabe:

1882

Spalte:

385-387

Autor/Hrsg.:

Lippert, Jul.

Titel/Untertitel:

Die Religionen der europäischen Culturvölker, der Litauer, Slaven, Germanen, Griechen und Römer, in ihrem geschichtlichen Ursprunge 1882

Rezensent:

Baudissin, Wolf Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 17.

26. Augiift 1882.

7. Jahrgang.

Lippert, Die Religionen der europäifchen Cultur-

völker (Graf Baudiffin).
B r u s 10 n, Histoire critique de la Litterature Pro-

phetique des Hebreux (Graf Baudiffin).
Deftinon, Die (Quellen des Flavius Jofephus. I.

(Schürer).

Davidson, An Introduction to the Study of the

New Testament. 2. edition (Schürer).
Golubinskij, Gefchichte der ruffifchen Kirche,

I. Band [ruffifch] Uionwetfch).
Dieckhoff, Die Menschwerdung des Sohnes

Gottes. Ein Votum über die Theologie Ritfchl's

(Herrmann).

Loh mann, Grundlinien der fittlichen Weltordnung
(Wetzel).

Scheurl, A. von. Das gemeine deutfche Eherecht
und feine Umbildung (Köhler).

Kurzgefafste Mittheilungen.

Lippert. Jul., Die Religionen der europäischen Culturvölker,

der Litauer, Slaven, Germanen, Griechen und Römer,
in ihrem gefchichtlichen Urfprunge. Berlin 1881, Th.
Hofmann. (XVI, 496 S. gr. 8.) M. 8. —

Der Euemerismus fchien feit geraumer Zeit ein überwundener
Standpunkt; in Lippert hat er einen beharrlichen
Erneuerer gefunden. Wefentlich verfchieden we-
nigftens ift feine Theorie nicht von der des alten Eue-
meros. Nicht Naturverehrung, wie mit ziemlich voll-
ftändiger Einftimmigkeit die neuere Religionswiffenfchaft
annimmt, ift die Grundlage der polytheiftifchen Religionen
, fondern ,Seelencult'. Noch der chriftliche Heiligen-
cultus ift ,in der Auffaffung des kirchlich zu erziehenden
Volkes' getreten ,an die Stelle des älteren Ahnen- oder

vollends die Religion der Römer als den .confequenteften
Seelencult' (S. 413). ,Dagegen — fährt der Verf. S. 398 mit
Bezug auf die Griechen fort — bietet der Seelencult
einen in allen Fällen weit beffer und ohne Zwang paffenden
Schlüffcl. Dabei gruppirt fich der Stoff von
felbft nach culturgefchichtlichen Stufen'. Zu derartigen
Behauptungen gehört eine grofse Verachtung der ge-
hcherten Ergebnifse der Sprachvergleichung, welche
fchon in den Namen der arifchen Götter — und diefe
find denn doch wohl das ältefte, was wir von denfelben
überhaupt wiffen — die Bezeichnung von Naturkräften
erkennen lehrt. Man denke nur an Dyaus, Jiög, Ziu,
den ,Lichten'. Nach dem Verf. bezeichnete auch ZjttSg
,einen Geift oder einen Herrn' (S. 353). Die Sprachvergleichung
hat eine witzlofe Verdächtigung nicht ver-

fpeciell Herrencultes' (S. 485). Vom Euemerismus dif- , dient wie diefe: ,Auguftus blieb der Kaifer fclft.ech.thin,
ferirt L. nur infofern, als er nicht überall verehrte 1 und wäre diefe Entwicklung von Beifand gewefen, fo
menfehliche Einzelperfönlichkeiten in den Göttern er- hätten fpatere Jahrhunderte fich bemüht, die Etymologie
kennt, fondern vielfach Zufammenfetzungen von Reprä- I des Gottesnamens Caefar aus dem Sanfkrit abzuleiten

fentanten verfchiedener Culturftufen und Culturzweige
S. 408). Ein Wahrheitsmoment wird mit diefen Behauptungen
in ungebührlicher Weife verallgemeinert.
Es ift durchaus nicht in Abrede zu ftellen, dafs in ver-

(S. 479). Es ift richtig, dafs das naturaliftifche Moment
von der modernen Religionsforfchung ungebührlich ifo-
lirt worden ift, und wir wollen dem Verf. das Verdienft
nicht abfprechen, das mit Unrecht vernachläffigte cultur-

fchiedenen Religionen einzelne Göttergeftalten aus ver- gefchichtliche Moment zur Geltung gebracht zu haben,
ehrten Menfchen der Vergangenheit entftanden find. Ift aber auf der anderen Seite Uebertreibung und Ein-
Die Ribhu's in Indien; Buddha, der von der Folgezeit feitigkeit, fo auf feiner Seite noch viel mehr, und auf
zur Gottheit erhobene Atheift; der römifche Kaifercul- der anderen Seite ift man im Rechte hinfichtlich des
tus laffen diefe Entftehungsweife der Gottesverehrung [ Urfprungs der meinen und der älteften arifchen Göt-
nicht verkennen. In noch gröfserer Zahl laffen fich j tergeftalten. Die culturgefchichtliche Bedeutung ift —
Gottheiten als Repräfentanten und Bcfchützer verfchie- ich berufe mich auf die Göttern amen — in den meiften
dener menfehlicher Thätigkeiten nachweifen — was auch Fällen deutlich eine fecundäre.

kaum von einem Religionsforfcher in Abrede geftellt An Einzelheiten bemerke ich, dafs die römifchen

wird. Es gehört aber viel Gewaltfamkeit dazu, um dem Planetennamen der Tage nicht Nachahmung ägyptifcher
gefammten Pantheon der Griechen wie der übrigen Namen find (S. 194), fondern der aramäifch-babyloni-
arifchen Völker Europa's die Naturbedeutung abzu- fchen, und dafs ich nicht verliehe, was der Verf. mit
fprechen. Der Verf. möge immerhin in ,Kronos' einen > einem ,unter heiliger Gottverfchwörung {sie) erobernden'
.alten Herrfchernamen' erkennen (S. 396); denn diefe Einzug der Leviten in Juda (S. 370) meint.
Geftalt ift recht dunkel, obgleich ziemlich wahrfcheinlich Ich will das Wiffen des Verf.'s nicht bezweifeln;

bleibt, dafs Kronos nichts Anderes ift als eine Befonder- ' wir erfahren aber feiten, woher er dasfelbe hat, ob aus
ung des Zeus als des Kroniden. Unmöglich aber follte es primären oder fecundären Quellen. Durchaus nicht
z. B. fcheinen, in Apollon den Lichtgott zu verkennen giebt er fich die Mühe, das, was er als ältefte Bedeutung
(S. 372). Wir lefen S. 398 mit Bezug auf die griechi- ; der Götter darftellt, als folche zu erweifen mit Belegen
fchen Göttergeftalten die ganz allgemein aufgeftellte | der älteften Quellen. Wir follen feinen Behauptungen
Behauptung, wir könnten ,ohne Voreingenommenheit ; glauben, ohne dafs er einen hiftorifchen Beweis erbringt,
dem Gedanken nicht Raum geben, dafs diefelben als Wir unfererfeits ziehen vor, nicht zu glauben. Das
Vorftellungen aus dem menfehlichen Bedürfnifse nach Buch möge nur zur Hand nehmen, wem daran gelegen
Veranfchaulichung der Naturgewalten . . . hervorge- 1 fein follte, die abfonderliche Auffaffung des Verf.'s kengangen
wären'. Und S. 403: ,Die hellenifchen Religions- I nen zu lernen. Anderes kann man kaum daraus lernen,
vorftellungen fufsten auf den allgemeinen Vorftellungen , denn der Verf. fchildert nicht die Religionen, wie fte
desSeelencults, waren und blieben felbft bis zu hoher Ent- | waren, fondern die Entftehung derfelben, wie er fie fich
wicklung hinauf nur Seelencultvorftellungen'. Soll dies I denkt. Sehr intereffant ift die Leetüre auch nicht,
fchon von den Griechen gelten, fo bezeichnet der Verf. ! Haben Max Müller u. A. uns mit Sonne und Morgen-

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