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Ausgabe:

1882 Nr. 15

Spalte:

355-357

Autor/Hrsg.:

Kächele, J.

Titel/Untertitel:

Schriftgemässe Predigt-Entwürfe über freie Texte 1882

Rezensent:

Diegel, J. Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 15.

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Wege es geglückt ift, die Landeskirchen als folche zu
erhalten. Intereffant ift, dafs dermalen deutlicher als feit
lange auch die Kantonalkirchen das Bewufstfein haben,
vorbehaltlich ihrer Selbftändigkeit, doch zufammen eine
Nationalkirche darzuftellen oder darftellen zu follen. Ift
es nicht mehr wie ehedem eine confessio Helvetica, die
ihnen ihre Zufammengehörigkeit vor Augen rückt, fo ift
es jetzt das Concordat über die wiffenfehaftliche Prüfung
der Candidaten des Predigtamts, dem abgefehen von Bern
und Graubünden alle evangelifchen deutfehen Kantone
beigetreten find. Auch darin näheren fich die Kantone,
dafs die identifchen Parteien dermalen alle fich als
,fchweizerifche', natürlich wieder vorbehaltlich der kantonalen
Sectionen, vereinigt haben. Man kann fich zum
Voraus fagen, dafs die Stellung der Mittelpartei in der
ganzen letzten Phafe von entfeheidender Wichtigkeit
gewefen. F.'s Schrift ift wohl zum Theil mitgedacht als
eine Art Rechtfertigung der ,Vermittlung' aus der Ge-
fchichte. ,Die Vermittlungstheologie, fchreibt F., hatte
urfprünglich wohl manches Wort zum Frieden mitgeredet,
war aber dann felbft als Partei mit in den Streit verwickelt
worden. Sie hatte auch die Aufgabe der Vermittlung
früher als eine theologifche, nicht als eine
kirchenrechtliche gedacht. Jetzt aber war fie durch den
Gang der Ereignifse dazu geführt worden, wo fich —
wie in Zürich und Bern — die Gelegenheit dazu bot,
zwifchen den beiden Parteien felbft zu vermitteln. Wenn
fie damit fich für die kirchliche Gleichberechtigung der
verfchiedenen Richtungen oder Parteien ausfprach, fo
gefchah das nicht in dem Sinne, dafs man der gegneri-
fchen Anfchauung die innerlich gleiche Berechtigung zu-
fchreibe, wie der eigenen, da dies ein fittliches Unding
wäre, fondern fo, dafs man der Gegenpartei das Recht einräume
, in derKirchezu exiftiren,wobei ein chrlicherKampf
nicht fehlen foll und kann'. Es will mich bedünken,
dafs die ,Vermittlungstheologie' durch die Gefchichtc
bislang Recht bekommen habe. F. macht gelegentlich
Mittheilungen aus Reden auf Synoden und Conferenzen,
wo er die brennenden Tagesfragen behandelt hat. Er
betont, dafs die gemeinfame Arbeit fchliefslich die Parteien
am eheften zufammenbringe. Und es ift hervorzuheben
, dafs jede Partei, wie fie es eben verfteht, den
einen Grund, der gelegt ift, die Perfon Chrifti, gelten
laffen und anerkennen will. Ich habe durch die Leetüre
des F.'fchen Buches fehr Mark den Eindruck, dafs in
den Per fönen unendlich viele Momente der Verftän-
digung gegeben find, wenn die Theorien fich einfach
auszufchliefsen fcheinen.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Kachele, Pred. J., Schriftgemässe Predigt-Entwürfe über freie !
Texte. Tübingen 1881, Heckenhauer in Comm. (XI,
404 S. 8.) M. 4. —

Der Unterzeichnete gehört nicht zu den Freunden
des Entwerfens und Herausgebens blofser Predigt-Entwürfe
. Die Verfaffer gerathen leicht in einen gewiffen
Schematismus hinein, die Benützenden ertödten leicht
die für die Wirkung der Predigt fo wichtige perfönliche
Efigenthümlichkeit. Aber es giebt doch auch einen heil-
famen Gebrauch folcher Entwürfe, nämlich nicht als
Ruhekiffen für Trägheit, fondern zur Anregung; und
wer wollte leugnen, dafs vielbefchäftigte oder auch fern
von geiftigem Verkehre lebende Prediger mannigfaltiger
Anregung bedürfen? Obige Schrift kann fehr wohl eine
folche geben und wir empfehlen diefelbe nicht blofs wegen
manches an fich Trefflichen, fondern auch wegen
einiger Eigentümlichkeiten, welche Andere vielleicht für
Mängel erklären würden. In wie weit der Verf. diefe
Eigenthümlichkeiten mit Bewufstfein obwalten liefs, müf-
fen wir freilich dahingeftellt fein laffen. Zum Theile gefchah
es gewifs.

Man wird von einem Buche obiger Art nicht diefelbe
fcharfe Faffung und Abrundung der Gedanken fordern
wie von einem ftreng wiffenfehaftlichen, fyftcmati-
fchen Werke. Es follen vorzugsweife nur Anregungen
gegeben werden, wenn auch etwas mehr fo doch etwas
Aehnliches wie die,Homiletifchen Andeutungen' in Lange's
Bibelwerk. Anlehnend daran müffen dann weitere Ausarbeitungen
, und zwar nicht blofs Ausführungen, fondern
auch Hinwcglaffungen und Umgeftaltungen vorgenommen
werden, das alles mit befonderer Beziehung auf die Gemeinde
, vor welcher geredet werden foll. Deshalb bezeichnen
wir es als einen Vorzug obiger Schrift, dafs fie
das fo beklagenswerthe blofse Ausfehreiben ohne Aufbietung
eigener Thätigkeit nicht nahe legt. Die Themata haben
häufig die fehr weite Geftalt blofser Ueberfchriften.
Demgemäfs führen auch die Theile und Unterabtheilungen
öfter auf ein zu weites Gebiet. Man wird alfo
engere Raffungen fuchen müffen. Die Unterabtheilungen
fchliefsen einander nicht immer fcharf aus. Man wird
alfo Manches ftreichen, und man kann das um fo eher,
da ein fehr reichhaltiger und mannigfaltiger Inhalt geboten
wird, und nicht feiten der Unterabtheilungen zu
viele nebeneinander flehen. Der Verf. hat wohl manchmal
nur der gröfseren Ucberfichtlichkeit wegen unter
Zahlen nebeneinander geftellt, was die Ausführung ineinander
flechten mufs. Einzelne Ungenauigkeiten in
letzterer und dafs auch wohl einmal ein trivialer Ausdruck
(vergl. S. 109, Z. 15 v. u.) mit unterläuft, wird
man entfchuldigen und fich an der meift bündigen und
glücklichen Faffung der Themata oder Ueberfchriften
und der Partitionen erfreuen. Letztere halten fich im
Ganzen von einfeitigem Schematismus frei und können
der Mehrzahl nach als gefchickte fynthetifch-analytifchc,
zuweilen auch als gute ftreng-analytifche bezeichnet werden
. Bei fo kurzen Texten, wie fie der Verf. zum öf-
tern ausgewählt hat, läfst fich der Unterfchied zwifchen
fynthetifch und analytifch bekanntlich oft nicht ftreng
fefthalten, zumal wenn wie hier mit gutem Rechte auch
vielfache Anweifung zur Anwendung auf die Gegenwart
gegeben wird. Der Verf. bietet übrigens auch zuweilen
längere Texte, darunter mehrere alte Perikopen. Oefter
noch werden einzelne, zum Theile ganz kurze Abfchnitte
diefer alten Perikopen behandelt. Doch rechnen wir das
nicht gerade zu den Vorzügen, wohl aber die Menge
meift gut gewählter freier Texte, befonders aus dem alten
Teftamente. Ebenfo mufs die Mannigfaltigkeit der
aufgcftelltenThemata gerühmt werden. Die Bezeichnung
,textgemäfs' erfcheint gerechtfertigt. Eintwickelt fich
auch, gemäfs dem oben über die Dispofltionsweife Ge-
fagten, der Inhalt keineswegs immer blofs aus dem
Texte; wird auch zuweilen ein ftrengeres Verbleiben bei
demfelben anzurathen fein: fo bewegt fich doch der
Verfaffer faft durchgängig und gut in Schriftgedanken.
Häufig weift er zur Erläuterung des Textes auf andere
Schriftftellen hin. Die theologifche Stellung ift überhaupt
eine pofitiv-biblifche, fo dafs namentlich die Grundlehren
des Chriftenthums oder doch fonft religiös-wichtige
Wahrheiten zur Behandlung vorgefchlagen werden. Bedenkliche
Themata, wie das fich mit feiner Ausführung
fo weit vom Texte entfernende S. 25: ,das Bekcnntnifs:
Ich bin ein Menfch' findet fich feiten. Auf Grund von
Apoftelgefch. 4, 24—32 follte nicht über ,das Mufter-
gebet' gepredigt werden, denn diefe Bezeichnung gebührt
doch nur dem Vaterunfer. Doch dergleichen Ungenauigkeiten
, von denen fich leicht mehr Beifpiele geben
liefsen, haben wenigftens den fchon angeführten
Vortheil, gedanken- und mühelofe Benützung des Buches
zu verbieten. In lobenswerther Weife wird, wie wir bereits
fahen, derfelbe Dienft durch die Weite vieler Themata
, fowie die oft zu grofse Menge der Unterabtheilungen
und überhaupt zu grofse Reichhaltigkeit des
Stoffes geleiftet. Diefe Reichhaltigkeit, die vielfeitige
und meift gute Textauswahl fowie die Aufftellung wichtiger
und mannigfaltiger Themata dürften neben der faft