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Ausgabe:

1882 Nr. 1

Spalte:

14-17

Autor/Hrsg.:

Ratzinger, Georg

Titel/Untertitel:

Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen 1882

Rezensent:

Uhlhorn, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 1.

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würde, weil es das Gegentheil der Liebe ift, welche j
nicht das Ihre fucht.

Doch lag es wohl nicht in der Abficht des Herrn
Verfaffers, fämmtliche Beziehungen zwifchen Metaphyfik
und Theologie darzulegen; das Schriftchen dient in erfter
Linie feinem befondern Zwecke, nämlich zur Verftän-
digung und Abwehr.

Schochwitz. O. Flügel.

Löber, Hofpred. Confift.-R. Dr. Rieh., Alte Wahrheit in
neuer Gestalt. 2. Bd. Sein und Werden. Eine Abhandlung
in 7 Capiteln für die Gemeinde. Gotha
1881, Schloefsmann. (IX, 295 S. gr. 8.) M. 6. —;
geb. M. 7. 5°-
Löber's Räfonnements bezwecken weder eine Ver- ;
mehrung des Wiffens, noch ein Weiterbauen am Er- j
kenntnifsfyftem. Sie find nicht von der Abficht be-
herrfcht, die Wiffenfchaft zu fördern, fondern fie follen
der Gemeinde dienen und , von der Bafis des Katechismusunterrichts
ausgehend, eine über diefe hinausgehende
höhere chriftliche Erkcnntnifs begründen. Dafs fie für |
diefenZweck geeignet find, folgt wohl daraus, dafs fie aus 1
Vorträgen vor der Gemeinde des Verfaffers hervorge- j
gangen find, in der diefe lebhaften Anklang gefunden I
haben. Mögen diefe frifchen, freudigen, nie langweiligen,
aber häufig geiftreichen und gehaltvollen Glaubenszeug-
nifse fich auch in weiteren Kreifen einbürgern, in denen
die chriftliche rerfönlichkeit des Verf.'s nicht der unmittelbar
hinter dem mündlichen Wort flehende Träger
der von muthiger Selbftgewifsheit getragenen Ausführungen
ift! Dafs der Verf. folche, die nicht in feinem I
religiöfen Anfchauungsgebiet flehen, in dasfelbe herüberziehen
wird, möchten wir bezweifeln; denn ihm fehlt die 1
überzeugende Beweisführung. Dafs er Theologen einen
erheblichen Gewinn bieten wird, bezweifeln wir ebenfo;
denn die von ihm aufgebotenen Kategorien ,Sein und
Werden', auf die er ,die Mannigfaltigkeit der Lebens-
geflaltungen' zurückführt, ,um fie aus einfachen Grund- [
verhältnifsen wieder hervorgehen zu laffen und hiedurch
wahrhaft zu verfiehen', find doch viel zu allgemein und
unbeltimmt, als dafs fie eine tiefergehende Erkenntnifs j
erfchliefsen könnten. Aber denjenigen, die gleich ihm
in der modernen lieh für altlutherifch haltenden Rechtgläubigkeit
flehen, wird die Plerophorie feiner Ueber-
zeugungsfreudigkeit die Gewifsheit flärken, dafs in ihr '
alles gut und recht fei, und dafs doch die recht unver- j
Händig und bedauerlich find, die fich in dem traulichen
und wohnlichen Heim des Verf.'s nicht ebenfo freundlich
einrichten. Ereilich hätte der Verf. wohl beffer ge-
than, wenn er fich weniger bemüht hätte, in Bezug auf
das Schema der Dogmatik möglichft erfchöpfend zu
fein, fondern fich enger in dem durch den Gedanken
des .wiedergebornen Seins' dargebotenen Rahmen ge- 1
halten hätte, in dem er in Anlehnung an Frank das Ge-
fammtbild einer chriftlichen Weltanfchauung zu entwerfen j
bemüht ift. Gcwiffe Fragen mufs man entweder gründlich
behandeln oder gar nicht berühren ; es genügt nicht,
einen Machtfpruch zu thun oder dem Gegner mitzu- |
thcilen, dafs er fich im Irrthum befinde. Wem ift z. B.
auf S. 88 mit dem Satze gedient: ,Dafs die Welt das
gefchöpfliche Abbild der göttlichen Ideenwelt ift, dies j
ift von wefentlicher Bedeutung für das richtige Verftänd-
nifs des Schöpfungsberichtes, der mit dem Sechstagewerke
nicht die Länge der Schöpfungsperioden, fondern
nur die allmähliche Aufeinanderfolge der aus göttlichen
Impulfen fich felbft entwickelnden Schöpfungsgebilde
andeuten will, entfprechend der Erkenntnifs des erften
Menfchen, der ohne felbft Zeuge der Schöpfung gewefen
zu fein, doch aus dem ihm vorliegenden gewordenen
Sein mit noch unverfchlcierten Augen das ihm vorausgegangene
Werden erfchliefsen konnte'. —? Und was
für einen Sinn hat denn z. B. die kenotifche Behauptung [

S. 103: ,Das in der Krippe liegende Kind hat infofern
die Welt regiert, als die Menfchwerdung des Sohnes ein
von ihm frei gewollter Act der univerfalen Weltregierung
und der potenziellen Welterncuerung war'. —: Aber
manch feiner Wink gefunder Beobachtung, manch treffendes
Urtheil chriftlicher Lebenserfahrung, auch mancher
gute Gedanke lohnt bei der Leetüre doch auch
denjenigen, welcher der Meinung ift, dafs drei Jahrhunderte
kirchlicher Entwickelung nicht blofs den Zweck
haben, alter Wahrheit neue Geftalt zu geben, fondern
auch den, die chriftliche Erkenntnifs inhaltlich zu fördern.
Breslau. L. Lemme.

Ratzinger, Dr. Georg, Die Volkswirthschaft in ihren sittlichen
Grundlagen. Ethifch-fociale Studien über Cultur
und Civilifation. Freiburg i Br. 1881, Herder. (XIV,
532 S. gr. 8.) M. 7. -

Der Verf. charaktcrifirt feine Schrift felbft durch
den Nebentitel ,ethifch-fociale Studien über Cultur und
Civilifation'. Das wird ihre Befprechung in diefen Blättern
rechtfertigen, obwohl die volkswirthfchaftlichen Fragen
in ihr einen weit gröfseren Raum einnehmen als die
ethifchen. Nur diefe kommen für uns in Betracht, indem
wir es andern überlaffen, die wirthfehaftlichen Pläne
und Vorfchläge 'Umwandlung der Sparkaffen in Ver-
licherungskaffen, Zwangsinnungen, Ausgabe von unverzinslichen
mit 2—3% zu amortifirenden Bodenfcheinen
zur Entlüftung des Grundbefitzes von den darauf haftenden
Schulden u. f. w.) zu kritifiren. Der unzählige
Male wiederkehrende Grundgedanke ift der, dafs die
wirthfehaftliche Noth der Gegenwart, deren Schilderung
fehr düfter ift, nur gehoben werden kann durch ,Freiheit
und Liebe' oder mit andern Worten dadurch, dafs ,das
Gebot der Liebe, der Liebe zu Gott, zu uns felbft und
zum Nächften wieder das Leben der Völker beherrfcht
und werkthätig befolgt wird'. Diefes aus der Gefchichte
der Vergangenheit und Gegenwart nachzuweifen, ift die
Aufgabe, welche das Buch löfen foll (S. 13). Der Weg,
den der Verf. dabei einfehlägt, ift in allen fechs Capiteln
(I. Armuth und Reichthum. — II. Eigenthum und
Communismus. — III. Arbeit und Capital. — IV. Wucher
und Zins. — V. Vergangenheit und Gegenwart. —
VI. Cultur und Civilifation) nicht ohne zahlreiche Wiederholungen
derfelbe. Zuerft wird gezeigt, dafs im
Mittelalter das Leben der Völker von dem Gebot der
Liebe beherrfcht und die ganze Volkswirthfchaft dadurch
bcltimmt war. Damals war alles fchön und herrlich
. Dann ift die f. g. Reformation, die Kirchentrennung
, gekommen, die ,der Rechthaberei der Profefforcn,
dem Zank der Theologen, der Habfucht und Herrfch-
fucht der Fürften auf das Conto zu fchreiben ift' (S. 512),
hat das alles zerftört, und die P"olge davon find nun die
traurigen Zuftände der Gegenwart. So ift Heil nur in
der Ruckkehr zum Chriftenthum und zwar dem römifch-
katholifchen, und das Buch gipfelt endlich in dem
Satze: Es giebt nur Ein Mittel und Einen Weg, um die
intellectuelle Energie und fittliche Kraft herzuftellen und
fo dem wirthfehaftlichen Elend ein Ende zu machen,
nämlich ,die Wiedervereinigung im Glauben und die
Rückkehr zur Einheit der Kirche'.

Der Hauptmangel ift, dafs der Verf. die Reformation
und die ethifchen Anfchauungen der Reformatoren
fchlechthin nicht kennt und auch offenbar gar keiner
Beachtung werth hält, wie er denn auch fchon in feinem
früheren Werke ,Gefchichte der kirchlichen Armenpflege'
(Freiburg 1868), dem übrigens Niemand das Verdienft
eines fehr fleifsigen Sammelwerks abfprechen wird, die
Reformation und die proteftantifche Kirche einfach ig-
norirt. Luther und Melanchthon werden mit einigen
Schmähungen von Knechtung des Volks, Rohheit der
Sprache und Gefinnung u. f. w. abgethan. Die Reformation
hat die ganze fittliche Verkehrung im Volksleben,