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Ausgabe:

1882

Spalte:

299-302

Autor/Hrsg.:

Kapff, Carl

Titel/Untertitel:

Lebensbild von Sixt Karl v. Kapff, nach seinem schriftlichen Nachlaß entworfen. 2 Hälften 1882

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 13.

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die Angaben über Kohlbrügge's Theologie aus dem
a. a. 0. S. 593 vor Krug's Buche angeführten Auffatz
von F. W. Krummacher in den ,Palmblättern' von 1845
gefchöpft. Zahn wird wiffen, dafs Krug die Angaben
und das Urtheil über Kohlbrügge's Theologie in dem
Buch von 1851 nur aus Krummacher's Darfteilung genommen
hat. Dafs derfelbe nachher, von der Zuvorkommenheit
der Anhänger Kohlbrügge's überwältigt, fein
Urtheil geändert und in K. den Propheten erkannt hat,
ift alfo kein Argument gegen Krummacher's Zuverläffig-
keit, deffen Bericht über Kohlbrügge's Lehre von der
aus dem Glauben fliefsenden Heiligung ich feitdem als
richtig erprobt habe. Dafs ich Krug überhaupt citirt
habe, rührt daher, dafs mir bei der Ausarbeitung der
Auffatz von Krummacher nicht mehr zu Gebote ftand,
und aus der Univerfitätsbibliothek zu Bonn nicht zu bekommen
war, weil der Band der Palmblätter von 1845
einen Liebhaber gefunden hat, der ihn nicht wieder gebracht
hat. Alfo nicht ich bin leichtfertig verfahren,
fondern Zahn, indem er den aus meinem Buche deutlich
erkennbaren Zufammenhang meines Berichtes mit Krummacher
's Auffatz unterfchlagen hat. Der zweite Satz
feiner Anmerkung ift illoyal. Den an mein Buch über
den Pietismus geknüpften Vorwurf mufste er entweder
beweifen, oder zurückhalten. Oder foll ich darin eine
Probe der Heiligung aus dem Glauben erkennen, welche
der Ueberlegung und des Vorfatzes entbehren darf?
Nun würde ich diefes Alles nicht öffentlich erörtert
haben, wenn nicht Prof. Nippold die vorgeblich von mir
in Hinficht Krug's begangene Unvorfichtigkeit in den
Guckkaften gefetzt hätte, welchen er in den Studien und
Kritiken zu meiner Befchämung aufzurichten für geeignet
geachtet hat. Ich kann ja nicht alle aspergines berück-
fichtigen, die man gegenwärtig auf mich häuft. Ueber
diefen Fall aber haben mehrere meiner Freunde eine Anfrage
an mich für nöthig gehalten, und deshalb habe ich
nicht unterlaffen können, den beiden verwandten Gegnern
nahe zu legen, dafs fie erft fich felbft richten mögen, ehe
fie mich mit ihrem Gerichte beehren.
Göttingen. A. Ritfchl.

1. Kapff, Dekan Carl, Lebensbild von Sixt Karl v. Kapff,

Dr. th., Prälat und Stiftsprediger in Stuttgart, nach
feinem fchriftlichem Nachlafs entworfen. 2 Hälften.
Stuttgart 1881, Btlfer. (VII, 336 u. 332 S. m. Portr.
in Lichtdr. 8.) M. 6. 70.

2. Zündel, Pfr. Friedr., Pfarrer Johann Christoph Blumhardt.
Ein Lebensbild. 3. verb. u. verm. Aufl. Zürich
1882, Höhr. (X, 544 S. m. Lichtdr.-Portr. gr. 8.)
M. 5. —

Diefe Biographieen zweier Häupter des Württem-
bergifchen Pietismus find der berechtigten Pietät ihrer
zahlreichen Verehrer gewidmet; fie find zugleich fchätz-
bare Urkunden zur Gefchichte der Richtung, welche von
den beiden, in demfelben Jahre (1805) geborenen Männern
vertreten worden ift. Gleichzeitig haben fie in
Tübingen ftudirt; allein dort fcheinen fie fich nicht berührt
zu haben, wahrfcheinlich weil Blumhardt einer um
ein Jahr jungem Promotion angehört hat. Ohne innern
Kampf hat jeder von ihnen fchon als Student den reli-
giöfen Standpunkt gefunden, der für das Leben ent-
fcheidend geblieben ift. Für ihre Charakterbildung aber
ift es damals ebenfo entfeheidend gewefen, dafs B. in
einem vielfeitigen Freundeskreife fich bewegt hat, während
K. fich damals einfam und unter Entbehrung von
Jugendfreundfchaft nur in dem Verkehr des Conven-
tikels mit Gleichgefinnten zufammenfand. Demgemäfs
ift B. von Anfang an auf praktifche Thätigkeit zugekommen
, in welcher er fich mit Frifche und vielfeitigem
Gefchick bewegt hat. K. hingegen, der in feiner Jugend
einen weichlichen Zug an fich trägt, ift bis zur Mitte

feines Lebens der religiöfen Contemplation hingegeben
gewefen, und hat aus ihr eine liturgifche Virtuofität entwickelt
, welche die individuellen Charakterzüge verdeckt.
Vom Beginn feines akademifchen Studiums bis zum Antritt
des Pfarramts in Kornthal (1823 —1833) hat nämlich
| K. höchft ausführliche Tagebücher geführt, aus welchen
der Verf. feine Darftellung jener Epoche hauptfächlich
gefchöpft hat. Diefe Quelle läfst erkennen, dafs der
contemplative Umgang mit dem Heiland als Seelcnfreund
den Jüngling faft ausfchliefslich befchäftigte. Schilderungen
der darin genoffenen Seligkeit und ausführlich
aufgezeichnete Gebete füllen die Blätter des Tagebuches.
Die Erfahrung von Verlaffung und Trockenheit, welche
fonft mit jenen religiöfen Genüffen abzuwechfeln pflegt,
wird nur im Beginne jener Epoche bezeugt; und es be-
1 rührt höchft wohlthuend, dafs fich K. in diefen Uebun-
gen zum Danke gegen Gott als der Stimmung, welche
alles beherrfchen foll, auffchwingt. In den Farben des
j Hohenliedes bewegen fich diefe Mittheilungen feines innern
Lebens nicht. Aber nicht blofs die ausgefprochene
Anlehnung an Zinzendorf's Vorgang verräth es, dafs
diefe Frömmigkeit, in welcher K. dem Typus des Lutherthums
zu folgen meinte, ihr Mufter vielmehr beim
heiligen Bernhard findet. Auch die Folgerung erinnert
an deffen Mafsftab, dafs die Hingabe an den Heiland
jedes Intereffe an irdifchen Dingen ausfchliefsen foll. Im
Unterfchiede von Zinzendorf ift K. zugleich auf die
Heiligung ernftlich bedacht, und zahlreich find feine Bezeugungen
einer umfaffenden Menfchenliebe, in welcher
er Niemand feind zu fein erklärt. Es bleibt freilich undeutlich
, wie diefer Zug praktifch werden foll, wenn die
irdifchen Verhältnifse im Vergleich mit der Contemplation
des Heilandes für ganz werthlos erklärt werden.
Von diefem Richtpunkte der blofs individuellen Seligkeit
aus führt einmal kein directer Weg zu der chriftlichen
Ordnung aller gegebenen natürlichen Lebensverhältnifsc.
Auch liegt ein Hindernifs für die richtige Ergreifung
diefer Lebensaufgabe in der ausgefprochenen Präfum-
tion, dafs K. und feine nächften Genoffen durch den
unter ihnen mafsgebenden W. Hofacker darauf hinge-
wiefen werden, dafs fie gerade fich zu den rechten
Knechten Jefu qualificiren. Fune merkwürdige Probe für
die Unklarheit des von K. eingenommenen Standpunktes
bietet die Gefchichte feiner Verlobung dar. Er läfst
! fich zu diefem Schritt nicht beftimmen durch die fpe-
I cielle Wahlanziehung, welche das fittliche Recht zur ehe-
1 liehen Verbindung begründet, fondern durch die Weifung
eines Andern, ob nicht in einer Verwandten der
Herr ihm eine Seele zuweife, die mit ihm in der Liebe
zum Fleilande eins fei. Die Art, wie er das Mädchen für
fich gewinnt, wird beleuchtet durch feine nachfolgende
Erklärung, dafs feine Liebe zum Fleilande die gröfsere
fei als die zu der Braut, und von Anfang an der Grund
feiner Liebe zu ihr. Natürlich, wenn der Glaube an
Chriftus als rein individuelles Privatverhältnifs geübt wird,
ergiebt fich diefe quantitative Schätzung der Liebe
zum Heilande und der zur Braut gegen einander, bei
welcher es dann fraglich ift, ob die letztere überhaupt
berechtigt ift. Wenn fie aber, wie K. zugleich behauptet
(I. S. 201), fich gegenfeitig einfchliefsen können, fo
ift dies darum möglich, weil fie qualitativ verfchic-
den find. Dann folgt aber, dafs der Glaube an Chriftus
nicht in der Form der privaten Seelenfreundfchaft,
welche der bräutlichen Liebe analog ift, verlaufen darf.
Ueberhaupt berührt das Meifte, was aus den Tage-
| büchern von K. mitgetheilt wird, in peinlicher Weife,
| wenn doch die Vorfchrift Chrifti, in der Kammer zu
| beten, fchwerlich mit dem Vorbehalt ausgefprochen ift,
dafs die Gebete nachher aufgefchrieben, und gar noch
an die Oeffentlichkeit gebracht werden. Und ob durch
| folche Tagebücher die eigentliche Selbfterkenntnifs gefördert
wird, möchte man bezweifeln, da die vorliegenden
Proben, wie fchon bemerkt ift, die Individualität