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Ausgabe:

1882 Nr. 13

Spalte:

298-299

Autor/Hrsg.:

Zahn, Adolf

Titel/Untertitel:

Die Ursachen des Niederganges der reformirten Kirche In Deutschland 1882

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 13.

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rade dem Rheingebiet zugewendet, wo alle diefe Er-
fcheinungen am ftärkften vertreten find.

Der zweite Theil der zweiten Schrift fucht die Wirkungen
der Minoriten auf das kirchliche und politifche
Leben zu fkizziren. Er befchränkt fich dabei dem allgemeinen
Plan der Arbeit gemäfs auf die erften 50 Jahre
des Ordens und mufs fo von manchem abfehen, was in
der Hauptfache erft fpäteren Epochen angehört: doch
vermifst der Theologe gerade hier manches, was dem
Profanhiftoriker ja an fich allerdings ferner liegt, an dem
er aber doch nicht vorübergehen darf, wenn er die Einwirkungen
auch auf das kirchlicheLeben unterfuchen will.
So ift von der Bedeutung des Ordens für die neue Erhebung
und Entwicklung der Myftik nicht die Rede: der
Aufnahme, welche die joachimitifche Apokalyptik im
Orden gefunden hat, fowie der eigenthümlichen, Jahrhunderte
durchziehenden Einwirkung auf die kirchliche
und oppofitionelle Apokalyptik, die daraus hervorgegangen
, ift nicht gedacht, obwohl die Anfänge davon doch
beftimmt in dem Rahmen der von Koch gewählten Zeit
liegen; ich bezweifle auch, ob in den Sätzen S. 82 f. die
ganze Bedeutung des dritten Ordens erkannt ift. Aber
wenn fo vielleicht noch manches zu fagen gewefen wäre:
der gegebene Ueberblick bleibt dennoch einer der voll-
ftändigften, anfchaulichften und zugleich anziehendften
Zeichnungen aus dem Leben und Wirken der Minoriten:
er fchildert ihre Arbeit im Dienft gegen die Feinde der
Kirche durch Miffion, Kreuzpredigt und Inquifition —
bei der letzteren wird endlich mit dem immer noch faft
unangefochtenen Dogma gründlich aufgeräumt, als ob
die Dominikaner von Anfang an die einzigen Inhaber
der Inquifition gewefen wären : find doch die Bände von
Sbaralea, bullarium Franciscanum voll von Verleihungen
der Inquifition an Minoriten! — er zeichnet ferner ihre
privilegirte Stellung im Verfaffungsorganismus der Kirche,
die Erfüllung ihrer vielfeitigen Miffion in der letztern —
insbefondere ihre Stellung zum gemeinen Volk — in
Seelforge, Predigt, Mufik, Dichtkunft, Reliquienfamm-
lung, im Unterrichtswefen, ihre Verbreitung, ihr Ver-
hältnifs zur Curatgeiftlichkeit, zu den übrigen Orden, ihren
Einflufs auf die Fortbildung bezw. Auflöfung des kirchlichen
Verbands, ihre Verwendung im unmittelbaren
Dienft des Papftes insbefondere im Kampf gegen das I
ftaufifche Kaiferthum, ihre Wirkfamkeit als PYiedensftifter,
ihre Stellung in den Städten und im Reich. Ueberall
find es nur Skizzen, wie fie der Umfang einer akade-
mifchen Preisarbeit erlaubt, aber fie find mit ebenfoviel
Leben als Liebe gezeichnet. — Glafsberger's Chronik
der fächfifchen Provinz hat Koch nicht benützen können
T. S. 24,: fie ift foeben von Dr. Evers zum erften
Male edirt worden (,Analecta ad Fratrum Minorum his-
toriam1 1. ,Fr. Nicolai Glasbcrgeri narratio1 Lipsiae 1882.).

Berlin. Karl Müller.

Werder, Jul., Zwingli als politischer Reformator. [Aus:
.Beiträge zur vaterländifchen Gefchichte'.] Bafel 1882,
Georg. (27 S. 8.)
Die kleine, in formvollendeter, und feffelnder Dic-
tion gefchriebene Abhandlung geht von der Vorausfetz-
ung aus, dafs Zwingli's Thätigkeit fich deshalb nicht
blofs auf die Reformation der Kirche befchrankte, fondern
fich auch au f die Umbildung des Staates erftreckte,
.weil es der reinen evangelifchen Lehre, fo wie fie
Zwingli erfafste, von Grund aus widerfprach, um Geld
Blut zu vergiefsen, um Geld Kriegsvolk zu liefern, das
über Andere nur Noth und Jammer brachte' und weil
er in dem Fremdendienfie den Grund zu dem Ruine
feines Volkes fah' (S. 4.); der Anficht, dafs dem Zwingli
,feine Auslaffungen wider die ,,Penfiöner'| nur ein Vorwand
waren, um damit feine Herrfchbegier zu decken',
tritt der Verf. als einer, die dem Reformator nicht gerecht
wird, in überzeugender und von edeler Begeifter-
ung getragenen Weife entgegen (S. 7 ff.). Nach Werder
vollzieht fich jedoch feit 1529 eine Umwandlung in
Zwingli, ,aus dem religiöfen und politifchen Reformator
wurde ein Politiker', wozu diefem aber ,die erften Tugenden
, Vorficht, Geduld und objectives Schauen fehl-
| ten'; fein Ziel war es jetzt, den Kaifer ,abzuftofsen'; zu
; dem Zweck wurde er die Seele einer gegen das Haus
Habsburg gerichteten Coalition. Um die Gegner der-
felben in der Schweiz , die fünf Orte, aus ihrer Vormachtstellung
zu verdrängen, Zürich und Bern die Hegemonie
zu verfchaffen, verfafste Zwingli 1531 fein Memorial
: ,was Zürich und Bern Noth zu betrachten fei in
I dem fünförtifchen Handel'. Das gewaltthätige Verfahren,
J welches der Reformator hier vorfchlägt, nennt W. mit
Recht eine Revolution (S. 23), ,ein Experiment, bei dem
die Eidgenoffenfchaft leicht verenden konnte'. Nunmehr
kämpften die fünf Orte für ihr gutes ,Recht'. Es trifft
völlig zu, was der Verf. am Schluffe feiner Schrift lagt:
es ift ,das Tragifche in der Erfcheinung Zwingli's, dafs er
das Gute und das Hohe wollte, dies aber, fo wie zu jener
Zeit die Dinge lagen, nur durch die Aberkennung wohl-
j erworbener Rechte Anderer erreichen konnte. Das innere
Recht, das er in feiner Seele trug, ftiefs feindlich
auf das äufsere Recht der Länder. Der Conflict beider
führte ihn mit den Seinen auf das Schlachtfeld: wie er
als Held geirrt, ift er als Held geftorben' (S. 27). Die
1 Gedanken, die hier ausgefprochen werden, find nicht
I alle neu, aber die Objectivität, mit der fie entwickelt,
[ die feine Motivirung und das gefunde Urtheil, von denen
fie begleitet, und die patriotifche Gefinnung, von der fie
getragen find, verleihen der Entwickelung derfelben
einen Reiz, wie ihn leider hiftorifche Arbeiten feiten
befitzen.

Strafsburg i/E. R. Zoepffel.

Zahn, Dr. Adolf, Die Ursachen des Niederganges der re-
formirten Kirche in Deutschland. Barmen 1S81, Klein.
(30 S. gr. 8.) M. — 60.

Der Verf. hält die Prädefiinationslehre Calvin's,
nämlich die Annahme der unbedingten Reprobation neben
der Election für fchriftgemäfs, und glaubt, dafs auch
Lutheraner wie Flacius und Hefshus diefe Lehre vertreten
haben, obgleich diefe Männer und die Concor-
dienformel, ebenfo wie die Zwinglianer überhaupt keine
Reprobation neben der Election berückfichtigen. Das
Thema, das er fich geftellt hat, ift intereffant genug, um
es zu bearbeiten. Was aber der Verf. daran leiftet, ift
das Oberflächlichfte, was man fich denken kann. Offenbar
ift diefe Schrift nur Reclame für den vom Verf. als
Meifter verehrten Kohlbrugge. Und wenn nicht alles
trügt, fo hat der Verf. von den wenigen Seiten, welche
der Unterzeichnete in feiner Gefchichte des Pietismus
I. S. 593—S95 über K. gefchrieben hat, den Anlafs genommen
, feinen Meifter auf den Leuchter zu ftellen. Zu
diefem Zwecke aber urtheilt er über mich in einer Weife,
die mindeftens leichtfertig zu nennen ift. Ich habe die
Stellung Kohlbrügge's zu feiner Gemeinde mit der von
Labadie zu der feinigen verglichen. ,Auch das ift nicht
wahr. K. regierte mit der Macht der Weisheit und
Liebe', fagt Zahn. Nun gerade das wird von Labadie
dadurch bezeugt, dafs feine Anhänger ihn als Vater
verehrten. Ferner fchreibt Zahn S. 27 Anm.: .Ritfchl
fchöpft aus Krug's Darftellung (Krit. Gefch. der Sek-
tirerei im Wupperthale, Elberf. 1851), doch hat derfelbe
alles widerrufen in der Schrift: Zur Steuer der Wahrheit
. Elberf. 1856. Ueber die vielen Irrthümer in R.'s
Buch könnten wir manches fagen. Seine Gefchicht-
fchreibung ift vielfach die Gefchichtfchreibuii"
des eigenen Irrens'. Der erfte Satz diefer Anmerkt
ung enthält eine Unterfchlagung der Wahrheit. Ich habe