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Ausgabe:

1882 Nr. 12

Spalte:

283-284

Autor/Hrsg.:

Oehninger, Friedr.

Titel/Untertitel:

Die Rede des Stephanus nach ihrer Bedeutung für die Gegenwart betrachtet 1882

Rezensent:

Wetzel, Paul

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Seite 1

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283 Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 12. 284

erkennen, dafs Jefus in demfelben nicht ohne Weiteres 1
als Vifionär hingeftellt wird, vielmehr von ihm bemerkt
wird, dafs er die Gabe des myftifchen Hellfehens ohne
jede Spur ekftatifcher Zuftände bei ruhigftem Bewufstfein
befafs. Im letzten Abfchnitt: ,Die apoftolifche Zeit' be- I
fchäftigt fich der Verf. hauptfächlich mit dem Pfingft-
wunder und den Geiftesgaben der Gloffolalie, Prophetie
etc., die er fämmtlich als ekftatifche Zuftände aufzufaffen
geneigt ift. — Ref. will nicht verkennen, dafs manche
Aufftellungen des Verf.'s mehr als disputabel find und
kann auch feiner Seits nicht umhin, die Auffaffung des j
Wunders zu Kana als einer Fascination der Hochzeits-
gäfte und des Wandeins auf dem Meer als eines ekfta-
tifchen Schwebens zu perhorresciren. Auch wird es felbft
für vorurtheilsfreieBeurtheiler dem ernftlichften Bedenken
unterliegen, ein an fich noch fo unaufgehelltes Gebiet
wie das der myftifchen Erfcheinungen zur Erläuterung
der biblifchen Wunder heranzuziehen. Soweit indefs der
Verf. fich darauf befchränkt hat, Analogien zwifchen
beiden Gebieten nachzuweifen, möchten feine Aufftellungen
nicht von vornherein als unberechtigt zurückzu weifen
fein. Insbefondere für die Auffaffung der altteftament-
lichen Prophetie, fowie der Gnadengaben und Geifteskräfte
der apoftolifchen Zeit bietet feine Schrift beachtenswerthe
Gefichtspunkte. Und der Verfuch, die Gefchichtlichkeit
der biblifchen Wunderberichte auch nach Ablehnung
des abfoluten Wunderbegriffs feftzuhalten, ift darum noch
nicht als gefcheitert anzufehen, dafs einzelne dabei mit
unterlaufende Abenteuerlichkeiten zu den berechtigtften
Einwendungen Anlafs geben.

Dornreichenbach. Dr. Paul Wetzel.

Oehninger, Pfr. Friedr., Die Rede des Stephanus nach
ihrer Bedeutung für die Gegenwart betrachtet. Mit einem
Vorwort von Dr. Heinr. W. J. Thierfch. Augsburg
1880, Preyfs. (XIV, 414 S. gr. 8.) M. 7. —

Das Befte an diefem Buch ift das Vorwort. In markigen
Strichen zeichnet der geiftvolle Vertreter des Ir-
vingianismus feine Auffaffung der Rede des Stephanus
und ihrer Bedeutung für die Gefchichte des Urchriften-
thums. Er bezeichnet fie als einen Granitblock, an welchem
der Zahn jener Nagethiere, die fich Kritiker nennen
, fich abftumpfe, als eine zwar abgekürzte und räth-
felhafte aber durchaus echte Aufzeichnung, die als ein
der altteftamentlichen Gefchichte entnommenes Gleich-
nifs der göttlichen Sendung Chrifti, feiner Verwerfung
durch die Juden und feiner Erhöhung zum Heiland der
Heidenwelt aufzufaffen fei. Wenn fchon danach die
Erwartung rege gemacht wird, dafs die bevorwortete
Auslegung diefer Rede einen Beitrag zur Löfung der in
ihr gegebenen Räthfel bringen und ihre Bedeutung noch
weiter auch im Einzelnen in's Licht ftellen werde, fo
wird diefe Erwartung dadurch noch höher gefpannt,
wenn Thierfch den Verf. derfelben als feinen Freund
bezeichnet und über feine Schrift felbft urtheilt, dafs fie
kein Commentar im de Wette'fchen Gefchmack fei, vielmehr
dasfelbe anftrebe, was die Lehrer in alter Zeit und
die Reformatoren in ihren Commentaren geleiftet, die
fich als felbftändige Geifteswerke lefen und geniefsen
laffen. Durch das Oehninger'fche Werk aber wird diefe Erwartung
gänzlich getäufcht. Es enthält nach einem eigenen,
recht nichtsfagenden Vorwort des Verf.'s 40 Betrachtungen
über einzelne der Rede des Stephanus entnommene
Worte. So markig knapp und entfchieden die
Diction Thierfch's, fo weitfchweifig und verfchwommen
ift die Oehninger's. Die erbauliche Anwendung tritt in
feinen Betrachtungen durchweg an die Stelle der Auslegung
. Und bei diefer erbaulichen Anwendung läfst es
der Verf. durchgehends in der Schwebe, worauf er eigentlich
zielt. Die Stellung des Chriftenthums in der Gegenwart
fucht er zu charakterifiren, aber über allgemeine

Klagen über ihre Entchriftlichung bringt er es nicht hinaus
. Er fchilt über Gläubige und Ungläubige, über die
Kirchenmänner und die Sectirer, über Romanismus und
falfchen Proteftantismus und ergeht fich dabei in apoka-
lyptifchen und prophetifchen Bildern, in gefuchten An-
fpielungen auf feltene Bibelfprüche und allegorifchen
Ausdeutungen von Bibelworten. An langen Abfchweif-
ungen fehlt es nicht, aber ein eigener Gefchmack gehört
dazu, fie anmuthig zu finden, gewöhnlich leiten fie auf
das Lieblingsgebiet des Verf.'s, die Zukunft der Kirche
nach der prophetifchen Weisfagung, hinüber. Nicht
disputiren will er, fondern Zeugnifs ablegen. Da mufs
denn die Weisheit der Aegypter (Apoftelgefch. 7, 22)
herhalten, um einen Herzensergufs des Verf.'s gegen
falfche Wiffenfchaft zu rechtfertigen, an die Worte:
,Ziehe deine Schuhe aus, denn diefer Ort ift heiliges
Land' (7, 33) knüpft er feine Klage über ,die unheilige
Theologie, welche die Gebote auflöft, welche ohne Bufse,
ohne Gebet und ohne den Glauben der Gnade die göttlichen
Dinge betreibt wie ein Gewerbe'. Bald fchilt er
über den Götzendienft, deffen die Chriftenheit voll fei,
bald über das Geheul der Zeit gegen die Zeugen der
Wahrheit. Ein abgöttifches Syftem findet er auf römi-
fcher wie auf proteftantifcher Seite, dort im Univerfal-
bifchof, hier im Blühen der menfchlichen Rednerei und
des geiftlichen Parteiwefens. Von allen kirchlichen und
religiöfen Richtungen, die er aufzählt, findet keine Gnade
vor feinen Augen, über Alles, was lebt und webt, erhebt
er fein prophetifches Wehe. Und am meiften gefällt er
fich in einem Ton orakelnder Dunkelheit, wo er eine
beftimmte Geiftesrichtung im Auge hat, die von dem allgemeinen
Verderben ausgenommen fei. Unzweifelhaft
ift er von irvingianifchen Anfchauungen ftark beeinflufst,
aber zu einem offenen Bekenntnifs für die Sache der
apoftolifchen Gemeinden fehlt ihm augenfcheinlich der
Muth; nicht an einer Stelle wagt er fie auch nur zu
nennen. Anftatt deffen fucht er ihre Lieblingsmeinungen
heimlich einzufchwärzen, wie z. B. wenn er über die
Voranftellung des letzten der vier Aemter Chrifti, des
Hirten- und Bifchofsamtes, vor dem apoftolifchen und
prophetifchen Amte klagt, die er als Kälberdienft bezeichnet
(Offb. 4, 7) und als geiftliche Hurerei (Offb. 14,4),
redet von Jungfrauen im geiftlichen Verftand, welche
lauter und treu Chrifto dem Haupte anhangen und fich
nicht durch den Sauerteig der Parteien, Kirchen und
Secten verunreinigen', von ,Zeugen der Wahrheit, die
vom Geift getrieben feien, ihr Werk zu thun* und ftellt
eine neue Ausfendung von Apofteln und Propheten und
eine Wiederbelebung der Geiftesgaben der apoftolifchen
Zeit in Ausficht. Das Gefagte genügt wohl, um das
oben ausgefprochene Urtheil über diefes Buch zu rechtfertigen
.

Dornreichenbach. Dr. Wetzel.

1. Harmuth, weil. Pfr. F. A., Perikopenfreude in Liedern.

1. Tbl.: Lieder zu den Evangelien. Hagen 1882,
Rifel & Co. (V, 366 S. 8.) M. 4. —

2. U hl mann, Paft.em.G., Immortellenkränze, für die Gräber
unferer Lieben gewunden. Berlin 1881, L. R. Schwarz.
(158 S. 8.) geb. M. 3. —

3. Oser, Friedr., Geistliche Triolette. Eine Gabe für die
Leidtragenden und für die Kirchen-Componiften.
1852—1881. Bern 1882, Wyfs. (227 S. 12.) M. 2. 60.

Ein duftiger Straufs geiftlicher Poefie, wenn nur
leider das Befte dazu nicht fehlte: die Poefie. Das gilt
namentlich von den beiden erftgenannten Werken. Die
,Perikopenfreude' enthält zu jeder der fonntäglichen Pe-
rikopen — diefer erfte Band zunächft bis Himmelfahrt —
eine Anzahl von Gedichten, in denen der Verfaffer die
Gedanken, welche durch die Perikope in ihm angeregt