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Ausgabe:

1882 Nr. 12

Spalte:

280-283

Autor/Hrsg.:

Kreyher, Johs.

Titel/Untertitel:

Die mystischen Erscheinungen des Seelenlebens und die biblischen Wunder. Ein apologetischer Versuch. 2 Thle 1882

Rezensent:

Wetzel, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 12.

280

Zu dem Ende hat er die Darfteilung der diesbezüglichen
Gedanken von Anfelm und Cartefius, von Spinoza und
Leibniz-Wolf-Mendelsfohn, von Kant-Schelling-Schleier-
macher, Hegel, Pfleiderer und Dorner mit eingehender
Kritik begleitet und eine Schlufsbetrachtung beigefügt,
welche die Grundlinien des ihm felbft vorfchwebenden
Beweisverfahrens darlegt. Das Problem des ontologi-
fchen Beweifes ift nach feiner Darftellung in zwei Hauptformen
behandelt. Zunächft fucht man das Sein analy-
tifch aus dem Gedanken Gottes abzuleiten: und zwar
legen Anfelm und Cartefius dabei ein gegebenes Ideal
zu Grunde, das nach Anfelm aus der gefchichtlichen
Offenbarung flammt, nach Cartefius eine angeborne Idee
ift; Spinoza aber und Leibniz mit feiner Schule fuchen
vielmehr ,durch combinirende Synthefis an fich verfchie-
dener Reflexionsbegriffe ein an die Idee gebundenes Sein
zu entwickeln'. Dem gegenüber wird mit Kant's Kritik
ein pfychologifch-praktifches Verfahren eröffnet, das auf
die Darlegung der Denknothwendigkeit eines abfolut
Seienden abzielt. Was bei Kant inconfequenter Weife
nur als regulative Idee galt, der Gedanke des Inbegriffs
aller Realität als Bedingung vollftändigen Erkennens,
wird bei Sendling und Hegel als wahrhaft feiend begriffen
auf Grund davon, dafs das fubjective Erfaffen
diefer Idee in der intellectuellen Anfchauung Schelling's
wie im logifchen Begreifen Hegel's als thatfächliche
Wirkung des zunächft problematifch gedachten Gottesbegriffs
angefehen werden mufs. Dadurch wird die zwiefache
Unzuträglichkeit vermieden, dafs der Satz ,Gott
ift' als analytisches Urtheil eine Tautologie wäre, und
dafs, wenn er als fynthetifches Urtheil gilt, das Sein nur
äufserlich hinzugefügt würde. Schelling und Hegel aber
unterfcheiden fchliefslich die Gottesidee nicht von der
Weltidee; dies in Verfolgung Baader'fcher Ideen mit Benutzung
jenes Wahrheitsmoments bei Schelling und Hegel
gethan zu haben, ift Dorner's Verdienft. Im An-
fchlufs an Dorner deutet der Verf. dann feine eigenen
Gedanken an, die vollftändig und entfprechend nur in
der Form der Meditation entwickelt werden können.
Er nimmt feinen Ausgangspunkt über den andern Be-
weifen für das Dafein Gottes. Den Schlufsfolgerungen
derfelben auf einen intelligenten Naturgrund, ein geiftiges
Urfein, eine heilige gefetzgebende mit der Macht der
Naturgefetze identifche Macht könnten illuforifche Annahmen
zu Grunde liegen; auch der moralifche Beweis
ftellt erft die richtige Vorftellung von Gott feft, für
die das wirkliche Sein noch fraglich bleibt. Denn der
fittliche Werth diefer Vorftellung nöthigt wohl zur Bejahung
, beruhigt aber den theoretifchen Zweifel nicht;
das kann erft der ontologifche Beweis. Derfelbe verläuft
folgendermafsen. Der Gottesbegriff ift die Syn-
thefe zweier entgegengefetzter, fleh gegenfeitig fordernder
Weltbegriffe, des vollkommenen Inbegriffs der wirklichen
Prädicate und der abftracten Gattungsallgemeinheit
, des reinen Seins. Diefem Begriffe wohnt analytifch
das Sein inne, weil die in ihm befchloffene Synthefe von
Sein und Idee vollzogen ift durch die religiöfe Erhebung
, durch eine That des perfönlichen Willens, welche
nur als Product einer Gottesthat gedacht werden kann.

Die Kritik diefes Beweifes hat der Verf. felbft durch
feinen Einwand gegen den moralifchen Beweis geliefert.
Wenn, wie er fagt, der von dem letzteren zu Grunde
gelegte Werth des Sittlichen, den theoretifchen
Zweifel nicht niederfchlagen kann, fo ift die religiöfe Erhebung
, die den Gottesgedanken fo vollzieht, dafs fle
ihr Denken desfelben als eine Wirkung Gottes beur-
theilt, fo wenig im Stande, den theoretifchen Zweifel
zu heben und das Sein fynthetifch in die Vorftellung
von Gott aufzunehmen, damit es die Reflexion dann
analytifch aus derfelben folgere, dafs fle dem Verdacht
der Illufion noch viel mehr ausgefetzt ift als der fittliche
Werth, deffen Anerkennung fleh auch folche nicht entziehen
können, welchen die religiöfe Erhebung fremd

I bleibt. Wir find alfo trotz aller Dialektik auf dem alten
j Fleck des naivenreligiöfen Glaubens, der des Dafeins Gottes
J auf Grund des erfahrenen Werthes des Glaubens an ihn
gewifs ift. Der theoretifche Zweifel ift alfo nicht auf
theoretifchem Wege gebannt, der Verf. hat mit dem
| Verzicht ,auf die Möglichkeit eines theoretifchen Gottes-
| beweifes dem theoretifchen Atheismus gegenüber die
Waffen aus der Hand gegeben' cf. S. VII, oder er ift
I mit fleh felbft in Widerfpruch gekommen.

Viel fchlimmer als diefes Refultat ift der Fehler, dafs
das ,Satzfubject' des Beweifes unvollftändig und falfch
gedacht ift. Mag immerhin die Synthefe des abfoluteh
Inhalts und des abfoluten Umfangs ein Prädicat fein, welches
fleh von dem chriftlichen Gottesbegriffe weiterhin
ausfagen läfst; die fpeeififche Beftimmtheit der chriftlichen
Gottesidee, dafs nämlich der Wille, welcher die
intenflv und extenfiv vollkommerifte, übernatürliche fittliche
Gemeinfchaft der Geifter bezweckt, die auf diefen Zweck
hin die Welt fetzende und ihn in der Welt durchführende
Macht ift, wird durch jenes Prädicat nicht ausgefprochen.
Die im chriftlichen Gottesglauben gegebene und vom
moralifchen Beweis zu Grunde gelegte eigenthümliche
Gliederung der Weltvielheit, ift in dem abftracten und
unbeftimmten Gedanken der ,Inhaltsabfolutheit' gerade
ausgelöfcht, und die religiöfe Erhebung, von der der
Verf. redet, hat darum mit der dem Chriftenthum eignen
keine Aehnlichkeit. Das ift eben der Grundfchade der
den ontologifchen Beweis erzeugenden Erkenntnifs-
methode, durch welchen fle die chriftliche Theologie verdirbt
, dafs fle die concreten Beziehungen der Plrfahrung,
in welchen der lebendige Menfch die Wirklichkeit findet,
vornehm überfliegt, um in undeutlichen Abftractionen,
welche die werthgebenden Momente weglaffen oder ver-
wifchen, das eigentlich Seiende zu fuchen.

Die hiftorifche Darfteilung und die Kritik ift durch
grofsen Pfleifs und durch Scharffinn ausgezeichnet; aber
die Leetüre des Buches ift eine unendlich mühfame. Die
Schuld daran trägt einmal der bisweilen geradezu ab-
ftrufe Stil, dann aber der Umftand, dafs Darftellung und
Kritik vielfach undeutlich bleiben, weil die erkenntnifs-
theoretifchen Fragen, mit denen der ontologifche Beweis
verflochten ift, und die Stellung des Verf.'s zu ihnen
von ihm nicht ausführlich und abfichtlich dargelegt find.

Magdeburg. J- Gottfchick.

Kreyher, Johs., Die mystischen Erscheinungen des Seelenlebens
und die biblischen Wunder. Ein apologetifcher
Verfuch. 2 Thle. Stuttgart 1880, J. F. Steinkopf-
(VIII, 327 u. IV, 214 S. gr. 8.) M. 8. -

Nachdem Perty 1861 wieder in weiteren Kreifen die
Aufmerkfamkeit auf jene myftifchen Erfcheinungen gelenkt
, Splittgerber 1865 in feiner Schrift: ,Schlaf und
Tod', diefelben auch vom Standpunkt eines gläubigen

I Theologen aus zu würdigen und im apologetifchen In-
tereffe zu verwerthen gefucht, lag es nahe genug, wenn
nun der Verf. das Wunderbare auf diefem Gebiete zur
Erläuterung der biblifchen Wunder heranzieht. Der Gedanke
daran ift nicht neu, er liegt aber der Gegenwart
befonders nahe. Dafs der Verf. denfelben ergriffen und
in einer neuen Durcharbeitung des gefammten Materials
mit Fleifs und Energie geltend gemacht hat, ift an fleh
dankenswerth. Und fo viel Widerfpruch auch im Einzelnen
feine Ausführungen herausfordern, fo wenig ge-
fagt werden darf, dafs er auf diefem neuen und überaus
fchwierigen Gebiete feine Unterfuchungen fchon zu einem
befriedigenden Abfchlufs gebracht habe, in jedem Fall
hat er fleh feiner Aufgabe gewachfen gezeigt. Seine
Darftellung ift, auch abgefehen von denjenigen Partien,
die durch Zufammenftellung von Wunderbarem undGrau-
fenhaftem aller Art eine aufregende Leetüre bilden, eine

I durchweg feffelnde. Mit gründlicher Sachkenntnifs und

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