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Ausgabe:

1882

Spalte:

10-13

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Albrecht

Titel/Untertitel:

Theologie und Metaphysik. Zur Verständigung und Abwehr 1882

Rezensent:

Flügel, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 1.

TO

brachte. Die Miffouri - Synode fleht in geregelter Verbindung
mit einer Anzahl fonftiger, mein; deutfch-luthe-
rifcher Synoden der Vereinigten Staaten. Eine ,Synodal-
conferenz' vereinigte die Miffouri-, Ohio-, Illinois-, Wiscon-
fin-,Minnefota-und dieNorwegifche Synode. Im Jahre 1877
kam die Lehre von der Gnadenwahl, .nachdem fie fchon
vorher öfter bezeugt war', auf einer miffourifchen Di-

ihr Theil an diefer ,Freiheit der Kirche'. Sie blickt zu
den deutfehen lutherifchen Staatskirchen (wie ihre
chicanöfe Lieblingsbezeichnung diefer Landeskirchen
lautet) mit mitleidigem Stolze hinüber. H. fympathifirt
durchaus mit der Miffouri-Synode. Er felbft ift nicht
Miffourier, moquirt er fich doch fogar gelegentlich über
.Papa Walther' und darüber, dafs es für ihn keine ,of-

ftrictsfynode ausführlich zur Sprache. Seit 1879 ift nun i fenen Fragen' gebe, auch kein Syftem, fondern ,nur
darüber Streit entbrannt. Prof. Schmidt von der Nor- j loci'. Er fympathifirt mit der Synode, weil fie mit ihren
wegifchen Synode Hellte nämlich Antithefen gegen die [ Verbündeten fich ernfllich der ,centralen Aufgabe der
miffourifche Lehre auf. Die allgemeine miffourifche Sy- amerikanifchen Kirche' zugewandt habe, nämlich der
node hat im Mai vorigen Jahres ihre definitive Entfeheid- ! .Durchführung des Gcmeindeprincips'. Indefs er hat
ung getroffen. Einige diffentirende Paftoren find darauf- j feine Erfahrungen mit der .Gemeinde', auch mit den
hin ausgefchieden. Die Ohio-Synode hat ihr Verhält- | .Miffouriern' gemacht und erhebt den Warnungsruf:
nifs zu Miffouri gelöft. Mit den übrigen Synoden, die ,Die amerikanifche Kirche ficht dermalen vor einer
in der Mehrzahl ihrer Glieder mit Miffouri übereinftim- I Krifis, die Gottes Hand zum Beften wenden möge'. ,Die
men, hofft man fich noch zu verftändigen. — Es handelt [ amerikanifche Kirche hat fich fort und fort darauf zu
fich um die Frage, ob die Kinder Gottes ,in Anfehung befinnen, dafs die Gemeinde nur als folche, d. h. als die
des Glaubens' oder ,zum Glauben' erwählt find. Mif- ■ Gemeinfchaft der Gläubigen, das Recht hat, Herrin im
fouri lehrt letzteres. Den Diffentirenden gilt das für j eigenen Haufe zu fein. Das ift ihr um Vieles leichter
calvinifch. Was Miffouri vertritt, ift Walther's Lehre, gemacht, als der Kirche drüben, weil in der Neuen
Es wird mitgetheilt, dafs W. diefe Lehre von jeher ver- ! Welt fich der grofse Haufen von felbft von der Kirche
treten habe. In dem oben zu zweit genannten Schrift- I fern hält, während er drüben am liebften die Kirche rechen
giebt er felbft feine Begründung. Das Schriftchen
ift höchft gefchickt und intereffant. Schon der Ton
macht es begreiflich, dafs W. jene faft abfolute Herrfchaft
erlangt hat. Es ift packende, wenn auch nicht
gerade edele, populäre Beredtfamkeit, die im Vor- und
Nachwort fich an die Lefer wendet. Den eigentlichen
Körper des Schriftchens macht eine Darfteilung des 11.

gieren möchte. Ja, hier hält die Welt fich fern von der
Gemeinfchaft der Gläubigen. Aber in der Gemeinde
felber lebt die Welt wieder auf. Darauf hat die Kirche
dieffeits des Oceans ernftlich ihre Aufmerkfamkeit zu
richten. Denn die Gefahr droht ihr nicht etwa von
aufsen herein; fie fleht nicht outside vor der Thür. Vielmehr
ift fie zur Zeit fchon —■ wenigftens in den GeArtikels
der Concordienformel aus. Die Fragen find von meinden der örtlichen Provinzen — recht eigentlich in-
W. gebildet. Die Antworten werden nur mit den Wor- j side; fie nagt bereits an ihrem Leben und an ihrer Zu-
ten der Concordienformel gegeben. Auch hier ift die | kunft. Und zwar nicht einmal mehr zagend, fchleichend,
Kunft des Verf.'s eine ungewöhnliche. Die Darfteilung | im Verborgenen wühlend, fondern im Gegentheile mit
ift förmlich fpannend. Ich halte fie auch für richtig. I einer Kühnheit, ja Frechheit auftretend, welche laut und

Es ift eine zutreffende Beobachtung Schweizers, dafs
die Lutheraner durch den Ausgang des Arminianifchen
Streites zu einer Aenderung ihrer Lehrweife über die
Gnadenwahl gebracht find, ohne das Bewufstfein folcher
Aenderung gehabt zu haben. Dafs die Wahl intuitu

unzweideutig auf die Nothwendigkeit fchleuniger Reme-
dur hinweift'. H. felbft war Paftor an einer Gemeinde
(in Hoboken-New York), die nicht mit der Miffouri-
Synode in Verbindung fleht. Aber Miffouri hat allenthalben
in den lutherifchen Gemeinden Amerika's feine

fidei gefchefie, ift erft auf Veranlaffung des Arminianis- j Freunde. Er meint, es nur mit Miffouriern in Gänfe-
mus lutherifche Lehrweife geworden. Dafs die Concor- j füfschen zu thun gehabt zu haben. Die Chicanen, denen
dienformel im Wefentlichen Luther's Anfchauung über er ausgefetzt gewefen ift, haben zum Theil etwas fo
die Prädeftination trifft, follte man nicht bezweifeln, i Monftröfes an fich, dafs er felbft nachträglich mit einer

Dafs Luther's und der Concordienformel Lehre ohne
theologifche Anftände fei, wird umgekehrt wohl nur behaupten
, wer in der Weife Walther's die fymbolifche
Orthodoxie für die Summe aller chriftlichen Theologie
hält. Frage III in unferem Schriftchen lautet: ,Was für

Art von Humor davon erzählt. — Die Schrift Hafer-
mann's ift ein intereffanter Beleg zu Hoffmann's Bemerkung
, dafs es in Miffouri Sitte fei, das Leben nicht
allzu ernftlich zu beleuchten, wenn nur die Lehre rein
fei. Hafermann hat gewifs Recht, wenn er echte Mif-

Fragen und Disputationen follen wir Lutheraner aber, j fourier und folche in Gänfefüfschen unterfcheidet. Ob
wenn wir uns mit diefer Lehre befchäftigen, fliehen und aber die in Gänfefüfschen für ,die rechtgläubige Kirche'

meiden:' Antwort: ,Alle hohe fpitzige Fragen und Dis-
putationes'. Vorwort und Nachwort verweift dazu die
Vernunft mit fcheltenden Worten zur Ruhe. Es ift doch
kaum blofs die ,Vernunft', die mit den Entfcheidungen
der Concordienformel fich nicht zufrieden geben kann.
Das Nachwort giebt unter Anderem Auskunft, wie fich
die lutherifche Lehrweife von der ,läfterlichen calvini-

(f. Walther, Nachwort S. 46) wirklich nur zufallens eingedrungene
Iftavdddthpot bedeuten? Mich dünkt, das ,Ge-
meindeprineip' ift ein eigenthümlich günftiger Boden für
,falfche Brüder'. Hoffen wir, dafs die ,Krifis der amerikanifchen
Kirche' auch die Frage noch einmal aufkommen
läfst, ob wirklich in Miffouri Alles allein lutherifch =
evangelifch=chriftlich fei. — In Deutfchland giebt es zur

Ritsehl, Albr., Theologie und Metaphysik. Zur Verftän-
digung und Abwehr. Bonn 18S1, Marcus. (64 S.

fchen' unterfcheide. Gefchichtlich angefehen ift Walther 1 Zeit etwa zehn miffourifche Gemeinden,
feinen Gegnern gegenüber im Rechte. Giefsen. F. Kattenbufch

3. Wer bei uns die Miffouri-Synode mit mehr als j
beobachtendem Intereffe anfleht — und es follen ja deren
, wie die Luthardt'fche Kirchenzeitung nicht ohne
einige Sorge bemerkt hat, im Stillen nicht wenige fein

— wird gut thun, die oben zu dritt genannte Schrift zu j gr° 8 f M I 20
lefen. Sie enthält nicht gerade viel Erfreuliches. Paftor 1
Hafermann, dem die deutfehen lutherifchen Kirchen
(er war in Oftfriesland Paftor) zu latitudinarifch gewefen
find, hat in Amerika eigenthümliche Dinge erleben
muffen, unter Anderem, dafs er als ,Unionift' verdächtig
geworden ift. Wie es fcheint, hat es ihn befonders deshalb
nach Amerika gezogen, weil dort Kirche und Staat
völlig getrennt find. Die Miffouri-Synode hat ja auch

Bekanntlich gehört es zu den Verdienften A. Ritfchl's,
hinfichtlich der Glaubenslehren fo viel als möglich alles
Theoretifche oder Metaphyfifche, wodurch man fie zu
erläutern oder gar zu ftützen fucht, abzufondern von
dem, was an ihnen einen fittlich-religiöfen Werth hat.
Auch in dem vorliegenden Schriftchen ift fein Streben darauf
gerichtet, nachzuweifen, ,dafs das Chriftenthum als