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Ausgabe:

1882 Nr. 1

Spalte:

7-10

Autor/Hrsg.:

Hafermann, H.

Titel/Untertitel:

„Missourier“ outside and inside! 1882

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 1.

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darnach nicht glücklicher gewefen bin; umfaffen diefe
Concilsacten, foweit fie in Bafel fich vorfinden, auch
nicht, wie der Verfaffer angiebt, zwanzig, fondern blofs
elf Bände, fo find diefelben doch bei dem Mangel an
genügender Ordnung und Regiftratur, die übrigens mit
der Abwefenheit jeglichen officiellen Charakters zufam-
menhängt, für gefchichtliche Nachforfchungen diefer Art
faft nicht zu benützen; zudem läfst die fonftige Be-
fchaffenheit der darin aufbewahrten Schriftftücke darauf
fchliefsen, dafs der erwähnte Procefs fchwerlich darin
aufgenommen fein wird.

Bafel. Rudolf Stahe 1 in.

1. Hoffmann, weil. Paflor Rud., Die Missouri-Synode in

Nord-Amerika hiftorifch und kritifch beleuchtet. Ein
Vortrag. Gütersloh 1881, Bertelsmann. (34 S. 8.)
M. —. 40.

2. Walther, Prof. C. E. W., Die Lehre von der Gnadenwahl
in Frage und Antwort dargeftellt aus dem Ii.
Artikel der Concordienformel der evangelifch-luthe-
rifchen Kirche. Mit einem Vor- und Nachwort verfehen.
Abdruck für Deutfchland. Dresden 1881, H. J.
Naumann. (51 S. gr. S.j M. —. 75.

3. Hafermann, H., „Missourier" outside and inside! Skizze
aus dem Amerikanifchen Synodal- und Gemeindeleben
. Zur Selbftapologie. Offener Brief an den
Herrn Paftor Dr. Wedekind in New-York. Philadelphia
, Pa. 1881, Franz Ehrlich. (72 S. gr. 8.) M. 2. —

1. Die lutherilche Miffouri-Synode macht neuerdings
befonders viel von fich reden. Es ift daher vielleicht
manchem willkommen, auf den oben zuerft verzeichneten
Vortrag hingewiefen zu werden. In demfelben findet
fich eine gefchickte Darftellung der Entflehung und der
Befonderheiten der genannten Synode. Hoffmann hat
offenbar mit gewiffenhaftem Fleifse die von der Synode
felbft herausgegebenen Synodalberichte ftudirt, fodann
hat er das Buch von Köftering, Auswanderung der fäch-
fifchen Lutheraner im Jahre 1838, St. Louis 1867, benutzt.
Er felbft kennzeichnet fich als Lutheraner innerhalb der
preufsifchen Landeskirche. Vollauf geneigt, der darge-
ftellten Synode grofse Vorzüge, auch vor dem landeskirchlichen
deutfchen Lutherthum, einzuräumen, ift er doch
keineswegs ein blinder Bewunderer derfelben, fieht vielmehr
grofse Gefahren in dem Einfluffe, den fie zu
gewinnen fcheine. Ich kann mich damit einverftanden
erklären, wenn er die Eigenthümlichkeiten, deren fie fich
berühme, recht befehen .katholifirend' findet. — Das
geiftige Haupt der Synode ift der bekannte C. F. W.
Walther. Die Anfänge jener deutfch-amerikanifchen
Kirchenbildung find äufserft ftürmifch gewefen. Der
Urheber der fächfifchen Auswanderung (1838), welche die
Elemente geboten hat, Paftor Stephan von Dresden,
erwies fich als Schurke. Walther war es, der ihn entlarvte
und zugleich die Kraft befafs, die faft fchon zerbröckelnde
Gemeinde zufammenzuhalten. Er ift es auch,
der — die gröfste Zeit auch der nominelle Leiter —
mit einer Hand, die zu zerbrechen weifs, was fich nicht
biegen laffen will, die Entwicklung der Synode bis auf
die Gegenwart beftimmt hat. Die Entflehung der Synode
fällt in das Jahr 1847. Die ehedem Stephan'fche Gemeinde
gründete in kurzer Zeit fechs Orte. Später fanden
fich andere deutfche Gemeinden mit ihr zufammen. Im
Ganzen waren es zehn, die fich erftmals als Miffouri-
Synode conftituirten. 1878 zählte die Synode, die jetzt
in acht Diftricte zerfällt, aus denen alle drei Jahre die
allgemeine Synode fich bildet, fchon 581 Prediger mit
faft ebenfo vielen Gemeinden, in einer Seelenzahl von

mehr als 10600.1 Die Synode befitzt ein Gymnafium,
zwei Prediger-Seminare, dazu verfchiedene Fachfchulen.
Eine eigene Druckerei forgt für die Literatur. Mehrere
erbauliche und wiffenfchaftliche Zeitfchriften find
weit über die Grenzen der Synode hinaus verbreitet.
Die Synode ift durchaus deutfch und die deutfche
Sprache ift obligatorifch bei den Verhandlungen. Ihre
Verfaffung ift demokratifch. Jede Ortsgemeinde wählt
fich nach völligem Belieben ihren Prediger. Wichtige
Fragen werden in den Gemeindeverfammlungen ent-
fchieden, wobei Einftimmigkeit zu erzielen ift. Liefe
Schätzung der ,Gemeinde' ift dogmatifch gemeint
. Die Synode, an welcher Paftoren und Ge-
meindedeputirte theilnehmen, ift nur ein berathender
Körper. Keine Gemeinde braucht fich einem Synodal-
befchluffe zu fügen. Stimmt eine Gemeinde aber einem
folchen Befchluffe nicht zu, fo wird fie, wenigftens jedes
Mal, wenn es einen Lehrpunkt betrifft, ausgefchloffen.
Die Fundamente der Synode find Lehreinheit und
Lehr rein he it. ,Die reine Lehre —■ fagt H. — ift das
Schibboleth der Synode, wogegen alles Andere, als
Cultus, Disciplin etc. wefentlich zurücktritt. Jede Sy-
nodalredc handelt faft ausfchliefslich von der reinen
Lehre, während man eine Beleuchtung über die Zuftände
und das Leben in den Gemeinden faft durchgehends
vermifst'. Offene Fragen erkennt die Miffouri-Synode
nicht an. Es können wohl Zweifel über die rechte Lehre
aufkommen. Dann mufs entfchieden werden, welches
die richtige Auffaffung des betreffenden Lehrpunktes fei
Die Inftanz ift die Synode. Hat diefe entfchieden, fo
ift die Sache abgethan. Interpretationsobject find die
Schrift und die fymbolifchen Bücher, die Schrift als
normet normans der Lehre, die fymbolifchen Bücher als
norma tiormata. Die äufserfte Grenze der reinen Theologie
ift das Aufkommen des Pietismus. Ganz rein ift
nur das Gnefiolutherthum des iö. Jahrhunderts. Dafs die
Miffourier mit den deutfchen lutherifchen Theologen
der Gegenwart wenig zufrieden find, ift bekannt. Anfänglich
unterhielten fie mit den Löhe, Rudelbach, Harlcfs,
Delitzfch etc. rege Beziehungen. Zur Zeit find ihnen
diefe Theologen meift — wie es fcheint befonders Hofmann
und Kahnis — ,falfche Lehrer'. Mit Löhe colli-
dirten fie über den Begriff des kirchlichen Amts. Als
eine Einigung nicht zu erzielen war, zog fich Löhe zurück
und veranlafste 1854 die Gründung der Iowa-Synode.

2. Momentan ift die Miffouri-Synode durch einen Lehr-
ftreit von wirklichem theologifchem Intereffe undgröfseren
Dimenfionen bewegt. Der Streit ift zwar für die Synode
felbft bereits entfchieden. Aber er geht noch fort
mit den befreundeten Synoden. Ich entnehme einige
Notizen darüber aus dem Auffatze: ,Zum Lehrftreite
über die Gnadenwahl', unterzeichnet: ,ein Miffourier', den
die Luthardt'fche Kirchenzeitung in Nr. 42 vorigen Jahres

1. Anm.: Zur Verihcirung diefes evidenten Druckfehlers bin ich infofern
im Stande, als mir wenigftens die Statiftik von 1877 zuganglich
ift. Danach ergiebt fich als Seelenzahl der Synode: 218737 (1876:
207 753)- Wie H. nicht bemerkt, zerfällt die Synode übrigens in zwei,
der Zahl nach faft gleich ftarke Klaffen von Gemeinden, die Klaffe der
vollzugehörigen, deren Pfarrer auf den Diftrictsfynoden ftimmberechtigt
find und welche Laiendeputirte zu fenden haben, 2) die Klaffe folcher
Gemeinden, welche fich von der Synode Pfarrer geben laffen, ohne fich
ihr vollfländig anzufchliefsen, deren Pfarrer berathende Stimmen haben.
Die Gefammtzahl der Gemeinden ift flark 800, fo dafs H.'s llemerkung
über das Verhältnifs der Zahl der Pfarrer und Geineinden auch minde-
ftens nicht deutlich genug ift: möglich nämlich, dafs eine gröfsere Anzahl
Paftoren mehrere Orte bedienen und doch jeder Ort in der Synode als
.Gemeinde' gezählt wird. Hat H, mit feiner Angabe der Zahl der Pfarrer
Recht, fo müfste diefelbe im Jahre 1878 ein wenig zurückgegangen fein.
Nicht ganz klaf ift mir die Stellung der fog. .mitbedienten Gemeinden',
die den Namen .Filiale und Predigtplätze' führen. In der Statiftik von
1877 werden deren etwa 300 aufgezählt. Sie follen befonders in den Gebieten
des Weftens, Nebraska, Kanfas etc. belegen fein. Uebrigens hatte
die Synode 1877 noch blofs 6 Diftricte und müfste, wenn H., der den
Bericht von 1878 zu Grunde legt, richtig acht Diftricte angiebt, die allgemeine
Synode von 1878, auf der Walther von feiner leitenden Stellung
zurücktrat, auch diefe Aenderung gebracht haben.