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Ausgabe:

1882 Nr. 11

Spalte:

257-258

Autor/Hrsg.:

Förster, Th.

Titel/Untertitel:

Ueber ethische und ästhetische Weltanschauung 1882

Rezensent:

Lemme, Ludwig

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Seite 1

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257

Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. Ii.

liehen verbunden ift' (Th. 21. 22). Wohl berechtigt ift
der Widerfpruch gegen die altproteftantifche .Vergöttlichung
' der Schrift, d. h. deren Auffaffung als eines ,
wörtlich infpirirten unfehlbaren Lchrcodex (Th. 44), und [
die Halbheit, welche vor dem Eingcftändnifs zurück-
fcheut, dafs unfere Stellung zur Schrift eine andere geworden
ift als die der Reformatoren, ebenfo wie gegen
die lehrgefetzliche Bindung an die traditionellen Bekennt-
nifsformen: ,das in Gottes Wort, d. h. in Chriltus befangene
proteftantifche Gewiffen, in dem Chriftus, der in
der Schrift bezeugt, in der Kirche bekannt, im Gewiffen
anerkannt ift, nicht aber das gefchichtlich gewordene
und kirchlich überlieferte proteftantifche Bekenntnifs ift
nach dem thatfächlich geübten Princip des reformato-
rifchen Proteftantismus die einzig zu Recht beftehende
Entfcheidungsmacht über die Bewufstfeinsformen und
Bekenntnifstormeln, in denen das proteftantifch-chrift-
liche Lebensgefühl feinen Ausdruck findet'. Die Aufgabe
der proteftantifchen Theologie der Gegenwart prä-
eifirt Th. 47 tretfend dahin: fie fache ,im Dienfte des
proteftantifchen Gewiffens die Ucbereinftimmung des
glaubigen Ich mit feinem Glaubensinhaltc zu fichern,
durch Umbildung der kirchlich überlieferten Bekennt-
nifsformen aus dem Wefcn der chriftlichen Religion dem
proteftantifch-chriftlichcn Lebensgefühle des fündigen,
aber in Jefus Chriftus mit Gott verföhnten und einig gewordenen
Menfchen die entfprechenden Bewufstfeinsformen
zu geftalten, endlich diefe rcligiöfen Bewufstfeinsformen
mit der feit der Reformation erwach-
fenen neuen Welterkenntnifs des denkenden Geiftes in
Uebereinftimmung zu bringen'. Der Verf. will eine von
kirchlicher Leitung unabhängige, keineswegs aber von
dem inneren Zufammcnhang mit dem frommen Leben
der Kirche gelöfte theologifche Wiffenfchaft und fpricht
das Oxymoron aus, ,dafs die proteftantifche Kirche die
von der Kirche freie Wiffenfchaft im Dienft der Kirche
fordere'. Das Ganze ift ein mannhaftes Wort zu feiner
Zeit. Die Gefahr ift in der That vorhanden und wird
nachgerade zu einer brennenden, dafs, wie der Verf.
lieh ausdruckt, ,cine ungläubig (hier das Wort freilich
in einem andern Sinne genommen als im landläufigen
Sprachgebrauch) gewordene proteftantifche Kirche mit
ihrer Macht die wahre Wiffenfchaft ausftofsc, felber aber
in den Katholicismus zurückfinkc', andererfeits ,eine fal-
fche Wiffenfchaft fich der Macht der Kirche unterwerfe,
felber aber zur Gelehrfamkeit und zur Scholaftik herunter
linke'.

Eriedberg. K. Köhler.

Förster, Oberpfr. Superint. Lic. T., Ueber ethische und
ästhetische Weltanschauung. Ein Vortrag. Halle 1882,
Strien. (32 S. 8.) M. -—. 50.

Der Vcrfaffer felbft meint, dafs er den Vortrag ftatt
.Ethifche und äfthetifche Weltanfchauung' richtiger .Aphorismen
über uenGegenfatz des Ethifchen und Aefthetifchen
im Leben der Völker, in der Religion, den Individuen
und den Geiftesrichtungcn der Gegenwart' betitelt haben
wurde. Aber wenn das richtiger war, warum hat er es
dann nicht gethan? Ein langathmiger Titel ift jedenfalls
einem falfchen vorzuziehen. Wenn der ethifchen Weltanfchauung
der Gedanke der fittlichen Weltordnung cor-
relat ift, fo der äfthetifchen der der fchönen oder harmo-
nifchen Weltordnung: von beiden aber ift in dem Vortrage
kaum die Rede, fondern vielmehr von Lebensanfchau-
ungen oder Geiftesrichtungen. Und der Gegenfatz des
Ethifchen und Aefthetifchen wird im Anfang des Vortrags
völlig verfchoben, wenn E. davon ausgeht, ethifche
Naturen feien folche, die der Erfcheinungswelt mit einer
fittlichen Idee, mit dem Zweckbegriff entgegentreten,
auf die Umgebung beftimmend einzuwirken fuchen und
fchaffend, geftaltend mit energifcher Bethätigung ihrer ;

Perfönlichkeit auf die Objecto einwirken, äfthetifche Naturen
dagegen folche, welche die Welt der Erfcheinungen
mehr reeeptiv auf fich wirken laffen, mehr aufnehmen
als einwirken, welche das Leben weniger zu geftalten
und nach ihren Gedanken zu beftimmen, als empfangend
zu empfinden und zu geniefsen fuchen. Hier meint F.
alfo, was man fonft als Spontaneität und Receptivität
unterfcheidet. Da er aber im weiteren Verlauf des Vortrags
zu der gewöhnlichen Auffaffung des Gegenfatzes
von ethifch und äfthetifch zurückkehrt, fo bleibt über
dem Vortrag ein gewiffes Helldunkel, das um fo mehr
zu bedauern ift, da dcrfelbc fonft manches Anregende
und Treffliche bietet. Bedenklich aber ift feine Werth-
fchätzung des Gegenfatzes. Den gröfsten Theil des
Vortrags hindurch klingt es, als ob das Ethifche und
Aefthetifche auf dem Boden der chriftlichen Religion
eine gewiffe Glcichwerthigkcit befitze, und als ob das
Chriftcnthum auf eine Ausgleichung beider Momente
angewiefen fei. Das Chriftenthum ift aber eine rein
ethifche Religion, und folche kirchliche Bildungen, in
denen das Aefthetifche dem Ethifchen fich gleichordnet
oder gar das Uebergewicht gewinnt, find Mifsbildungen.
Die Ausfagen des Herrn wie des Apoftels Paulus, die
E. mifsdeutet, laffen keinen Zweifel daran aufkommen.
Erft im letzten Theil des Vortrags kommt der Gcfichts-
punkt, dafs das Aefthetifche auf dem Boden des Chriftcn-
thums nur infofern Werth hat, als es fich dem Ethifchen
unterordnet oder es zur Darfteilung bringt, zu feinem
Recht.

Breslau. L. Lemmc.

Kurze Mittheilungen.
Müller, Dr. Aug., Outlines of Hebrew Syntax, translated
and edited by James Robertson, Prof. of oriental
languages in the university of Glasgow. Glasgow
1882, I. Maclehose and Sons. (XIV, 142 S. 8.)

Der Abfchnitt über die Syntax aus Prof. A. Miiller's I Icbraifcher

Schulgrammatik (Halle 1878) liegt hier in englifcher Ueberfet/.ung vor.
Der deutfehe Autor hat zu derfelben llerichtigungen und Zufätze geliefert,
fo dafs das Iittch auch den llefitzern des Originalwerkes als eine zweite
verheuerte Auflage der Syntax von Werth fein wird.

Baethgen, Dr. Fricdr., Anmuth und Würde in der alttesta-
mentlichen Poesie. Ein Vortrag. Kiel 1880, Lipfius
& Tifcher. (28 S. gr. 8.) M. 1. —

Diefer Vortrag, neue Beobachtungen nicht einhaltend, mag dienlich
fcin,Solchen, welche dem Alten Teftamente ferner flehen, eine Ilinweifung
darauf zu fein, dafs auch eine rein äfthetifche Betrachtung in den alttetl.
l'oefien Befriedigung findet. Einzelne Proben find nicht ohne Gefchick
ins Deutfehe übertragen; am wenigflen gilt dies von der freien Ueberfetz-
ung des XXIX. Pfiilms S. 26 f., wo der Ueberfetzer unberechtigt cin-
fchiebt (z. 11. ,Der über Seraphim thronet'), ohne dadurch zu verfchönern;
denn dafs ,Gazellen, die wogend fich tummeln im Thal' (wovon im
Original nichts fleht) eine befonders glückliche Erfindung feien, wird
hoffentlich der Verf. felbft. nicht glauben, und dafs ftatt: ,Und in feinem
(Himmels-) Tempel fpricht ein Jeder: Herrlichkeit' der Ueberfetzer: .Alles
vergeht, um des Ewigen Allmacht zu preifen, Tempel des Ewigen wird
der unendliche Raum' fchoner fei oder überhaupt dem Pfalmwort ent-
fpreche und einen irgendwie altteftamentüchen Gedanken (.unendlicher
Raum') ausdrücke, läfst fich nicht behaupten.

Bernus, Moritz, Gedanken über Kirche, Gemeinde, Reich
Gottes. Beiträge zur Schrifterkenntnifs. 1. Heft.
Stuttgart 1881, J. F. Steinkopf. (71 S. gr. 8.) M. 1. —

Der Verf. diefer biblifch-theologifchen Studie bringt, wie ihr Titel betagt
, in der That mehr .Gedanken' als zufammenhängende und gefchloflene
Darlegungen. Diefe Gedanken find von fehr verfchiedenem Werthe, und
es würde fchwer fallen, den Verfaffer in irgend einer der theologifchen
Schulen unterzubringen. Realiflifche, orthodoxiflifche, pneumatifche Bibel-
exegefe findet abwechfelnd an ihm einen Vertreter. Diefer Dilettantismus
wird allerdings einigermafsen paralyfirt durch eine anerkennenswerthe
Nüchternheit und Ruhe in der Darftellung. Aber eine Eörderung in der
Schrifterkenntnifs bezeichnet das Hcftchen fchwerlich; denn die Begriffe,
welche der Verf. unterfucht, find bereits viel eingehender und flrenger behandelt
worden.