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Ausgabe:

1882 Nr. 9

Spalte:

207-209

Autor/Hrsg.:

Thönes, Carl

Titel/Untertitel:

Die christliche Anschauung der Ehe und ihre modernen Gegner 1882

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 9.

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fchen' Predigtfchule gehört er nur etwa in feiner erften
Periode. Auch ift die Bedeutung der um die Bewahrung
des biblifch-kirchlichen Chriftenthums in der Aufklärungsperiode
fo hochverdienten württembergifchen Prediger
nicht genügend gewürdigt. Gerade die Häupter derfelben
werden nur flüchtig erwähnt, und auffallenderweife fehlt
derjenige, der zu ihren originellften Vertretern gehört,
in deffen Nähe ,im Kämmeichen der Theofophen' R.
fleh felbft feinen befcheidenen Platz im grofsen Haus
der Theologie gelegentlich einmal zuweift, O e t i n g er, ganz.

Der Herausgeber hat fichs in jeder Weife angelegen
fein laffen, das Werk für den gelehrten Gebrauch nutzbar
zu machen und es dem heutigen Stand der eifrigen
Porfchung auf diefem Gebiete anzupaffen. Er hat durch
zahlreiche Anmerkungen Lücken fo viel möglich ergänzt,
hat bei denjenigen Stellen, welche R. aus den Werken
feiner Vorgänger entlehnt hat, die Quellenangaben forg-
fältig hinzugefügt und durchweg auf die feitdem über
den Gegenftand erfchienene Literatur, fpec. auf Nebe,
Brömel, Th. Harnack, für das Mittelalter auf Cruel ver-
wiefen. Ift diefe Literatur auch nicht vollftändig, fo ift
doch auf die Hauptwerke Rückficht genommen. In einem
Anhang ,über Hippolytus und feine Stellung in einer
Gefchichte der Predigt' fucht der Herausgeber mit vielem
Gefchick auf Grund einer Taufrede desfelben nachzu-
weifen, dafs Hippolyt nicht, wie die bisherige Tradition
wollte, zu der fleh R. zwar kritifch verhält, aber ohne
ihr entfehieden entgegenzutreten, ein Nachahmer des
Origenes auf homiletifchem Gebiete gewefen fei, fondern
vielmehr fein Vorgänger, der Begründer der gottesdienft-
lichen Rede.

Wir können fchliefslich dem Herausgeber nur dafür
danken, dafs er das Werk mit fo vieler Mühe und Sorgfalt
herausgegeben und damit der Forfchung auf diefem 1
Gebiete, die das eigenthümliche, zuweilen finguläre Ur-
theil Rothe's in befonderer Weife anzuregen geeignet
ift, einen wefentlichen Dienft geleiftet hat. Möchte das
Werk namentlich auch unter den Geiftlichen weite Verbreitung
finden; es wird ihnen eine reiche Fülle von
Anregung und Erfrifchung bieten.

Dresden. Meier.

Thönes, Pfr. Lic Dr. Carl, Die christliche Anschauung der
Ehe und ihre modernen Gegner. Eine von der Haager
Gefellfchaft zur Vertheidigung der chriftlichen Religion
gekrönte Preisfchrift. Leiden 1881, Brill. (IV,
326 S. gr. 8.) M. 5. —

Diefe Arbeit, eine von der Haager Gefellfchaft gekrönte
Preisfchrift, hat als folche die Feuerprobe einer
fcharfen Kritik bereits beftanden; wir können nur fagen, j
dafs die erfahrene Auszeichnung u. E. eine wohlver- I
diente ift. Gemäfs der geftellten Aufgabe zerfällt die
Darfteilung in zwei Haupttheile: 1. die chriftliche An-
fchauung der Ehe , 2. die Gegner. Die chriftliche An-
fchauung der Ehe gewinnt der Verf. zunächft aus der
heil. Schrift, insbefondere N. T., dann aus der Gefchichte
der Kirche. Im N. T. unterfcheidet er Auslagen über die
Ehe ohne asketifches Element und mit asketifchen Elementen
verfetzte. Er ift unbefangen genug, in den letzteren
(wozu er das Wort des Herrn Mtth. 19, 12 nicht,
dagegen die Ausfprüche des Paulus über den Vorzug
der Ehelofigkeit in I Cor. 7, dann Apoc. 14, 4. 5 und
das Verbot der zweiten Ehe für Presbyter und Diakonen
in den Paftoralbriefen rechnet) eine, mit der fon-
ftigen fittlichen Werthung der Ehe im N. T., insbefondere
dem claffifchen Ausfprüche Jefu Marc. 10, 2—9.
Mtth. 19, 3 —6 nicht vereinbare, aber auch mit dem prin-
cipiellen Hauptgedanken des Paulus felbft in einem ge-
wiffen Gegenfatz flehende, aus der Nachwirkung vor-
chriftlicher Anfchauungsweifen fleh erklärende Auffaffung
zu erkennen, welche eben deshalb als Ausdruck der genuin
chriftlichen Anfchauung von der Ehe nicht gelten
könne. Als wefentliche Elemente der letzteren weift er
nach die Auffaffung der Ehe als voller leiblich-geiftiger
Lebensgemeinfchaft, als göttlicher Ordnung, als unauflöslich
und als Monogamie. Unter den fynoptifchen
Ausfprüchen Jefu über die Ehefcheidung giebt er der
Faffung bei Marc. 10 den Vorzug und erkennt in der
Mtth. 5, 32. 19, 9 ftatuirten Ausnahme (7iaQsmog loyov
jcoQveiac, wfy eni noQvtiq) einen nicht urfprünglichen Zu-
fatz, will jedoch das Wort von der Unauflöslichkeit des
Ehebundes in feiner idealen Höhe, gleich den analogen
fonftigen Geboten der Bergpredigt, nicht als Rechtsfatz-
ung, fondern als Ausdruck eines fittlichen Principes ge-
fafst wiffen, worin man ihm überall wird zuftimmen
müffen. Eine fyftematifch entwickelte Ehelehre findet er
im N. T. nicht; was aufser den obigen principiellen
Grundzügen noch an Andeutungen über einzelne Gegen-
ftände chriftlicher Eheordnung, wie die kirchliche oder
bürgerliche Ehefchliefsung, die gemifchten Ehen, die verbotenen
Verwandtfchaftsgrade nachzuweifen ift, wird am
SchluffedesAbfchnittes ergänzungsweifebefprochen; auch
hier find die Ausführungen des Verf.'s treffend und beach-
tenswerth. Die fodann folgende Darfteilung der Gefchichts-
entwickelung, welche die Anfchauung von der Ehe zuerft
in der alten Kirche, dann in der mittelalterlichen und der
römifch-katholifchen Kirche der Neuzeit, endlich in der
proteftantifchen Kirche genommen hat, bietet in knapper
und anziehender Form ein lehrreiches Stück Culturge-
fchichte. Der Schwerpunkt liegt in dem Nachweis, wie
erft die Reformation das chriftliche Eheideal in feiner
Reinheit erfafst hat und dasfelbe feitdem unter dem Ein-
flufs des evangelifchen Geiftes immer völliger herausgebildet
, das im Katholicismus noch vorwaltende, die rein
fittliche Stellung zur Sache beeinträchtigende asketifche
Element aber mehr und mehr überwunden worden ift.
Treffend find die Bemerkungen über die niedere Schätzung
der Ehe (als eines blofsen Heilmittels gegen die
Unzucht), welche fleh fcheinbar in einzelnen Aeufser-
ungen Luther's findet, und deffen Beurtheilung der Ehe
als eines weltlichen Gefchäftes, dann über Luther's
eigene Ehe und daneben — ein wunder Punkt, der in
diefem Zufammenhang nicht übergangen werden konnte
— die Doppelehe Philipp's des Grofsmüthigen: das Ur-
theil des Verf.'s zeugt hier von echt gefchichtlichem
Sinne, und erweift, ohne tendenziös apologetifch zu fein,
einleuchtend die Nichtigkeit der Anklagen, welche aus
jenem Vorgang gegen die Reformation gefchmiedet zu
werden pflegen, — weiterhin über die verfittlichenden
Wirkungen, welche von der Reformation gerade auch in
Bezug auf Ehe und Hausftand ausgegangen find, bis in
unterem Jahrhundert in den ethifchen Syftemen einer ganzen
Reihe bedeutender Theologen und Philofophen und
praktifch in dem Eheleben eines Schleiermacher, K. Ritter
, B. G. Niebuhr, des Prinzen-Gemahls von England
u. A. die evangelifch-chriftliche Idee*der Ehe zur fchön-
ften Erfcheinung gekommen ift. Die Hemmnifse, welche
theils in der inneren Entwickelung des Proteftantismus,
theils in Hörenden und zerftörenden Wirkungen von
aufsen — der eindringenden franzöfifchen Frivolität,
deren Herkunft von katholifchem Boden übrigens un-
fchwer zu erweifen gewefen wäre — gelegen waren,
werden dabei nicht verfchwiegen. — Die Gegner, mit
welchen der zweite Haupttheil fich befchäftigt, find theils
,wiffenfchaftliche', theils .fociale Gegner'. Unter der er-
fteren Ueberfchrift werden die beiden Hauptrichtungen
modernen Antichriftenthums, der Schopenhauer-Hart-
mannifche Peffimismus (aufserdem der aus optimiftifchen
! und peffimiftifchen Elementen eigenthümlich gemifchte
Idealismus des Holländers Pierfon), dann der naturwiffen-
fchaftliche Materialismus in feiner neueften Geftalt als
Darwinismus, unter der zweiten die focialen Beftrebun-
, gen für Frauenemancipation, für .freie Liebe' und für
die rechtliche Gleichftellung des Mannes und der Frau