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Ausgabe:

1882 Nr. 8

Spalte:

188-189

Autor/Hrsg.:

Romundt, Heinr.

Titel/Untertitel:

Antäus. Neuer Aufbau der Lehre Kant‘s über Seele, Freiheit und Gott 1882

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1882. Nr. 8.

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ung diefes vor der Welt geringen, vor Gott grofsen
Werkes mit energifcher Sprache hervorhebt und das-
felbe gegen die herrfchenden Einwände im Wefentlichen
mit den bekannten Gegengründen vertheidigt. Fr. Delitz
fch deutet in finniger Ausführung den religiöfen
Naturzug des Menfchen nach Oben, der fich u. A. in
dem ,Blick gen Himmel', diefem unwillkürlichen, inftinc-
tiven Blick offenbart.

Unter dem Titel: ,Neuteftamentliche Blicke in die
Gegenwart und Zukunft des jüdifchen Volkes' liefert Fr.
Gefs einen fehr umfaffenden, mit grofsem Ernfle ge-
fchriebenen Beitrag zum höheren Schriftverftändnifs, der
unter weiten , perfpectivifchen Blicken in die Gefchichte
darzulegen verflicht, was das N. T. über die Gegenwart
und Zukunft des merkwürdigften Volkes der Erde bezeuge
, und zu diefem Behufe neben den bekannten Stellen
in den efchatologifchen Reden des Herrn und im
Römerbrief andere, weniger in diefer Richtung bekannte,
namentlich aus der Offenb. Joh. anzieht und mit feiner
, tief eingehender, zuweilen freilich gewagter oder
künftlicher Exegefe auslegt. So heilfam es nun ift, zu
einer richtigen Beurtheilung der fog. Judenfrage', auf die
der Verf. nur am Schlufs kürzlich eingeht, durch Vertiefung
in die Schrift den nöthigen Grund zu legen, fo
ift doch fchon die ganze Haltung des Auffatzes, und
noch mehr find einzelne feiner Partien, fpeciell die exe-
getifchen, mehr für Theologen, als für die chriftlichen
Lefer insgemein; unfere .gebildeten Chriften' von heute
find ohnedem zu fehr gefchult, und kranken, auch in
ihrem weiblichen Theil, zu fehr an der ,Bläffe des Gedankens
', der Reflexion.

Eine kleine Gabe von M. Fromme 1: ,Acten vor
und nach Mitternacht' läfst nach gröfseren Gaben aus
feiner gefchickten Hand verlangen.

Dresden. Meier.

Einsame Wege. Leipzig 1881, J. Naumann. (VIII, 448 S.
8.) M. 5. —

Der un fch wer zu errathende Verfaffer erzählt die
einfamen Wege feines Lebens. Als Student in Berlin
für Gefchichte gewonnen, fand er, was er nicht fuchte, die
Kirche und begann zu glauben, dafs es wirklich der Mühe
werth fei, das Leben an den Dienft der Kirche zu fetzen.
Die Arbeiten für die Kirche waren freilich zunächft theo-
retifcher Art; ,ich habe', — fchreibt er, — .glaube ich,
keine der Kirchen der Stadt im Innern gefehen', und
auch fpäter ftand der Verf. vor der Kirche wie vor einer
unverftandenen Gröfse. Ullmann's .Sündlofigkeit Jefu'
öffnete die Thür, die Philofophie Baader's vermittelte
den Eintritt in den heiligen Bau, der Pietismus des Wupperthaies
und des Ravensbergifchen Landes zieht ihn
mit hinein ,in begeifterte Einigkeit des Geiftes und in
frohes Bekenntnifs des Apoftolifchen Glaubens, bei welchem
man nach den unterfcheidenden Lehren der Sonderkirchen
nicht fragt'. Voll Bewunderung für das kirchliche
Leben, aber nicht befriedigt, geht er als Hauslehrer
nach Oefterreich. Unterwegs bietet ihm Friedr. Mallett
eine Hilfspredigerftelle an, und voll Wehmuth mufs er
ablehnen, weil er gebunden ift. In dem Miffionsdirector
Graul lernte er zum erften Male einen entfehiedenen
Anhänger der Wittenberger Reformation kennen. Tho-
luck weift ihn an den Domherrn Veith und an Anton
Günther in Wien, und des einen ökumenifcher Sinn wie
des andern Würdigung der Reformation fördern das Ver-
ftändnifs, aber ,aus der allgemeinen Verfchwommenheit
der allgemeinen chriftlichen und der evangelifchen
Kirche' rettet ihn erft ein Vortrag von Nagel, welchen
ihm Günther in der Guerike'fchen Zeitfchrift zu lefen
gab. Diefer forderte ein felbftändiges eigenes Kirchenregiment
für die lutherifchen Geiftlichen und erklärte,
wenn fie das nicht erreichen könnten, würden fie zur
kleinen Heerde der Altlutheraner eilen. ,Da betrat der

Fufs den feften, klaren Boden einer beftimmten, ge-
fchichtlich gegebenen Kirche'. Als der Verf. hierauf
jahrelang im Pfarramt gewirkt, veranlaffen ihn die Unions-
beftrebungen der Behörde, fein Amt niederzulegen, aber
die Furcht vor der Enge der Freikirche läfst ihn erft in

! die hannöverfche Landeskirche eintreten. Im Haidedorf
und in der Univerfitätsftadt hat er darauf, unter lebhafter
Betheiligung an der lutherifchen Bewegung in Deutfch-
land, achtzehn Jahre lang gewirkt, aber von der Landes-
fynode 1874 kehrte er, innerlich von der Landeskirche
losgelöft, heim, und die Art der Durchführung des Trau-
ungsgefetzes nöthigte ihn, die Entlaffung zu begehren ; und
nun landete er endlich da, wo er innerlich feit dreifsig
Jahren geftanden, in der altlutherifchen Kirche Preufsens.

Das ift der Aufzug des intereffanten Buches; den
Einfchlag bildet eine aufserordentlich reiche Fülle von
Mittheilungen über Erlebnifse, Erfahrungen und Begegnungen
, Reifen und Studien. Faft keine kirchliche Frage,
welche in den letzten dreifsig Jahren die Gemüther be-
fchäftigt hat, bleibt unbefprochen. Die Perfönlichkeiten,
deren Wort und Name auf kirchlichem Gebiete etwas
gelten, werden in treffender Zeichnung dem Lefer vorgeführt
. Die Revolution von 1848 in Wien und ein Befuch
bei der hannoverfchen Königsfamilie in Gmunden, die
eingehende Befchäftigung mit der romantifchen Schule
und der Verkehr mit den gelehrten Häuptern in Göttingen
u. v. a. werden in anregender Weife gefchildert,
und überall zeigt fich die durch andere Schriften fchon
bekannte Meifterfchaft des Verf.'s, die Vorgänge und

| Verhältnifse in einem eigentümlichen Lichte zu zeigen.
Nur zuweilen ftört das Bemühen, den epifchen Ton der
Erzählung durch Fortlaffung der Pronomina der erften
Perfon — eine dem kaufmännifchen Stil billig zu überladende
Manier — zu heben, den fchönen Flufs des
Ganzen. In der Beurtheilung der Perfonen zeigt der
Verf. eine wohlthuende Milde; auch den entgegengefetzten
Standpunkt fucht er mit liebevoller Weitherzigkeit
zu würdigen, und mit fich felbft geht er ernftlich
in's Gericht. Wenn man von einer theologifchen Unter-

I haltungsliteratur reden darf, fo kann man die ,Einfamen
Wege' eines der beften neueren Erzeugnifse derfelben
nennen. Wir glauben kaum, dafs viele Lefer das Ziel
und Ende der einfamen Wege als richtig und notwendig
anerkennen werden. Aber das Buch nimmt mehr
zur wehmütigen Theilnahme als zum Widerfpruch, und
wenn man hört, dafs dem Verf., welcher verfichert, dafs

I er eine ,gefchichtliche Natur' fei, die Erfahrung nicht er-
fpart bleibt, dafs eine ältere freikirchliche Gemeinde oft
einer landeskirchlichen gleiche, mufs man nnwillkürlich
fragen, wird das nicht auch das Schickfal einer älteren
und gröfseren Freikirche werden? Aber wir find überzeugt
, dafs alle Lefer den einfamen Pfadfinder mit Dank
auf feinen Wegen begleiten werden.

Halle a/S. A. Wächtler.

Romundt, Dr. Heinr., Antäus. Neuer Aufbau der Lehre
Kant's über Seele, Freiheit und Gott. Leipzig 1882,
Veit & Co. (IX, 146 S. gr. 8.) M. 2. —

Kant's Lehre von Seele, Freiheit, Gott ift dem Verf.
nichts anderes als in fchulmäfsiger F'orm das allgemeine
und natürliche Syftem der menfehlichen Vernunft, und
er will dasfelbe ohne diefe Form darftellen. In der That
hat er für Kant's theoretifche und praktifche Philofophie
die richtigen Beziehungspunkte gefunden, indem er zwi-
fchen dem Natur- und Gefchichtsforfcher von Beruf und
dem lebendigen Menfchen unterfcheidet. Der Natur-
forfcher kann die Gedanken von Seele, Freiheit, Gott
nicht erreichen und nicht verwerthen, kann ihren Inhalt
aber auch nicht beftreiten, weil er es nur mit Eindrücken
der Dinge, nicht mit diefen felbft zu thun hat, und fo-
fern er abgefehen von feinem Beruf doch noch leben-
1 diger Menfch ift, haben fie auch für ihn unvermeidliche

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