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Ausgabe:

1881

Spalte:

169-171

Autor/Hrsg.:

Kögel, Rudolf

Titel/Untertitel:

Neue Christoterpe. Ein Jahrbuch. 2. Jahrg. 1881 1881

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

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Theologifche Literaturzeitung; 1881. No. 7.

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dem ein Giftbaum für Jugend und Volk. Ebenfo begründet
ift die Gefahr, welche unferem Volke aus den
übrigen als Giftbäumen gefchilderten Erfcheinungen droht.
Der Verf. hätte vielleicht hier und da diefe Gefahren
noch anfchaulicher und concreter fchildern können, um
dem Volke zu zeigen, an welchem Abgrund es fteht.
Namentlich gilt dies von dem, was über die feile Preffe
und die falfche Kunft gefagt ift. Hier hätten befonders
noch Erfcheinungen erwähnt werden follcn, die das Volk
noch näher berühren, als die erwähnten: wir meinen die
fchlechte Winkclprcffe, welche die populären Localblät-
ter und frivolen Brofchürcn erzeugt, und welche letztere
nicht feiten felbft in den Wartefälen der Bahnhöfe verbreitet
werden. Ebenfo werden nicht feiten in den Leihbibliotheken
wahre Schandbüchcr dem Arbeiterftand und
dem dienenden Pcrfonal in die Hände gefpiclt. Was
weiter über das Wirthshaustreiben, den Judaismus, den
Socialismus gefagt ift, könnte Ref. meiftens unterfchrei-
ben. Vielleicht hätte aus dem Talmud noch Weiteres
mitgctheilt werden follen. Doch glauben wir, dafs die
Behauptung auf S. 70, dafs bei unferem Volk das Neujudenthum
die alte fprichwörtliche Redlichkeit, Treue,
Keufchheit und Befcheidenheit, wenn auch nicht allein,
doch als ein hauptfächlich mitwirkender Factor in das
Gegentheil, in Untreue und Unkeufchheit, Frechheit und
Unredlichkeit im Handel und Wandel verkehrt habe, zu viel
behaupte. Gerade bei folchen Schilderungen mufs man fich
vorUebertreibungcn hüten; ebenfo bei dem Vorfchlag von
heilenden Mitteln. Wir möchten nicht die Wiedereinführung
der Prügelftrafe, fowie die Befchränkung der
Kofi für manche Gefangene auf Waffer und Brod befürworten
. Doch wollen wir nicht leugnen, dafs eine Ver-
fchärfung der Haftftrafe in vielen Fällen zu wünfehen fei.
Was der Lebensbaum ift, der im Schlufscapitel gcfchil-
dert wird, bedarf keiner Erörterung; es ift der wahre
Chriftenglaube. Wir wünfehen dem inhaltsfchweren
Schriftchen weitere Verbreitung.

Lang-Göns. K. Strack.

Neue Christoterpe. Ein Jahrbuch, hrsg. von Rud. Kögel,
Wilh. Baur und Emil Frommel. (2. Jahrg. 1881.)
Bremen, Müller. (V, 373 S. 8.) M. 4. —

,Wer Vieles bringt, wird Manchem Etwas bringen'.
An dies Dichterwort erinnert auch mit ihren reichen und
mannigfaltigen Gaben die neue Chriftoterpc in ihrem
zweiten Jahrgang, mit dem fie fortfährt, ihren Namen
wahr zu ma chen. Die Palme unter allen Mitarbeitern
gebührt unfers Erachtens R. Kög cl, der aufscr mehreren
gelungenen Gedichten, deren auchjul. Sturm einige
treffliche in angenehmem Flufs der Gedanken und der
Verfe geliefert hat, eine Art von Novelle bietet, in
welcher er ,nach einer Pofener Chronik' einen jungen
treuen Seelforger aus der Schule des Haile'fchen Pietismus
, der mit echtem Hirtenfinn fich für feine Gemeinde
in fchwerer Peftzeit aufopfert, orthodoxen .Miethlingen'
mit feinfter Charakteriftik, ftellcnweife mit prächtigem
Humor gegenübcrftellt. Wilhelm Baur, der Verf. der
,Gefchichts- und Lebensbilder aus der Zeit der deutfehen
Befreiungskriege', hat fich aus diefem ihm fo vertrauten
Gebiet einen dankbaren Stoff gewählt und die hervor-
ftechendften ,Zügc aus dem Leben der Prinzefs Wilhelm
von Preufscn', einer echt deutfehen und evangelifchen
Fürftin, in feiner finnigen und erbaulichen Weife, nur
mitunter mit etwas zu breiten Strichen gezeichnet.
Emil Frommel hat aus dem reichen Schatz feiner Lr-
lebnifse eine Reihe von Wcihnachtsbildern aus feiner
Kindcrzeit, aus feinen Lehr- und Wanderjahren bis in die
jüngfte Zeit zufammengeftellt; das vortreffliche Talent
des Verf.'s, zu erzählen, bewährt fich auch hier. Sein
Bruder Max Frommel zeigt in einem tief durchdachten,
geiftvoll entworfenen und ausgeführten Auffatz: ,Bilder

und Vorbilder' an der Naturwelt, an der Welt der natürlichen
Lebensordnungen und am alten Teltament, wie
jedes Bild zum Vorbild wird für eine höhere Stufe, um
zuletzt anzudeuten, wie die Bilder der Zeit Vorbilder find
gegenüber der Ewigkeit. Eine glücklich erfundene, fehr
anziehende Erzählung bietet Nicol. Fries unter dem
Titel: ,ein helles Fenfter'; fie ift ungleich lebenswahrer
und naturwüchfiger, als diejenige, die er im vorigen
Jahrgang geboten; nur <die eine Kindesgeftalt Margarethe
fcheint uns ftellenweife etwas zu ätherifch gezeichnet.
Nicht fo, wie mit N. Fries, hat fich Ref. mit ü. Funcke
ausföhnen können. So anziehend und zeitgemäfs fein
Thema ift: ,Evangelium und Gefang' und fo viel Treffliches
er im Einzelnen zu demfelben fagt, fo leidet doch
auch diefer Auffatz, abgefehen von dem ftellcnweife ganz
unmotivirten Hereinziehen der perfönlichen Erlebnifsc
des Verf.'s, das durch einen Ausfall auf ,die Herren Kritiker
und Kritikafter' nicht gerechtfertigt wird, an jenen
frommen Ueberfchwänglichkeiten, die auf einer tiefen
Verkennung des natürlichen Geifteslebens mit feiner
idealen Welt beruhen und Chriftum und fein Evangelium
auf Kotten des Schöpfers und feiner Schöpfergaben verherrlichen
. Für die Verftändigung zwifchen dem Chriftcn-
thum und unferer allgemeinen Geiftesbildung und fpeciell
für die Verbreitung und Wirkung derartiger Unternehmungen
chriftlicher Literatur, wie die ,Chri(toterpe', ift die
Beachtung diefes Punktes von grofsem Gewicht. Was
die rechte Werthfehätzung des natürlichen Gciftesgebiets,
der allgemeinen Bildung vom chriftlichen Standpunkte
aus anlangt, fo hat Ref. in diefer Beziehung auch einige
Bedenken gegen den Auffatz von Rieh. Schräder:
Goethe's Fault, ein Spiegel chriftlicher Wahrheit. Im
Allgemeinen kann man zwar zugeben von jedem Standpunkt
aus, wie man fich auch den Fault deute, in welchem
doch Goethe vor Allem feine eigene Gefchichte, die Erlebnifsc
feiner Jugend und die Gefchichte feiner Zeit
poetifch verklärt hat, dafs die Schilderung des Menfchen-
lebens mit feinen Irrgängen, feinen Kämpfen und Zielen,
wie es fich in diefem nach Schölling ,cigenthümlichften
Gedichte der Deutfehen' fpiegclt, zu einer unwillkürlichen,
ungefuchten Apologie der chriftlichen Wahrheit wird,
fofern weder Genufs, noch Wiffen, noch irgend ein
mcnfchlichcs Gut, fondern allein die Erlöfung die Löfung
bietet und die Befriedigung gewährt, die Fault fucht.
Aber indem der Verf. diefen allgemeinen Gedanken
im Einzelnen am Gang des grofsen Gedichts nachweifen
will, prefst er die einzelnen Züge, um fie dem chriftlichen
Schema anzupaffen, nach welchem er die von ganz anderen
Vorausfetzungen, als den feinigen, getragene, nach
keinem Schema entworfenene Dichtung disponirt. Dabei
wird zugleich überfehen, dafs das Ganze ein Fragment
ift, diefe fragmentarifche Geftalt aber fich nicht fo-
wohl aus der Unfähigkeit, die Idee des Ganzen in chrift-
lichcm Sinne einheitlich durchzuführen, als vielmehr aus
äfthetifchen Gründen erklärt. Auch können wir das ziemlich
abfällige Urtheil über den äfthetifchen Werth des
zweiten Theils des Fault nicht unterfchreiben; dasfclbc
wird fich wefentlich modificiren, wenn man den zweiten
Theil fo nimmt, wie er fich giebt, als ein phantaftifch-
allegorifches Spiel, das relativ unabhäng ift vom erften
Theil. Ein biblifches Bild von grofsem chriftlichcm Ernft
und charaktervollem Tone enthält der Auffatz von Fr.
Gefs: Jefus Chriftus vor Gericht'. Biblifche Lebens- und
Charakterbilder find für ein chriftliches Jahrbuch, wie die
.Chriftoterpc', befonders zu empfehlen. Ein chriftliches
Lebensbild aus diefem Jahrhundert von ergreifender
Wahrheit und Schönheit, das Bild einer in feltcner Weife
geheiligten priefterlichen Perfönlichkeit, hat Max
Reichard aus perfönlicher Berührung fowohl mit dem
Gefchilderten, als aus Beziehungen zu feiner Familie
in einer Lebensfkizze von .Adolph Monod' geboten, in
deffen ganzer Perfönlichkeit fich übrigens ebenfo wie in
feiner Predigt der reformirtc Typus charaktcriftifch aus-