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Ausgabe:

1881 Nr. 7

Spalte:

163-165

Autor/Hrsg.:

Oettingen, Alex v.

Titel/Untertitel:

Obligartorische und facultative Civilehe nach den Ergebnissen der Moralstatistik 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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163

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 7.

164

von einem populären ,Gedenkblatt' von 78 Seiten keinen
neuen Beitrag zum befferen Verftändnifs oder zur richtigeren
Würdigung Leffing's erwarten darf. Auch das
ift für Kundige felbftredend, dafs die ,Zeitfragen' auf
Leffing's Grab keinen Lorbeerkranz niederlegen ; ihr Gedenkblatt
ift vielmehr eine Warnungstafel vor dem grimmen
Feind des Chriftenthums, mit dem der gottlofe Abfall
der Theologie begonnen hat, der aber felbft alles
Gute, was an ihm anerkannt werden mufs, der Nachwirkung
einer ernftchriftlichen Erziehung verdankt. Von
diefem Gefichtspunkt aus ift die Brofchüre mit vielem
Fleifse und anerkennenswerther Kenntnifs des Einzelnen,
aber ohne weiteren Blick für die philofophifchen und
theologifchen Streitfragen jener Zeit in gefälliger Sprache
gefchrieben, überdies gewürzt durch gelegentliche Ausfälle
gegen Proteftantenverein und modernen Unglauben.

Jena. Bernhard Pünjer.

Kant's, Imman., Kritik der Urtheilskraft. Hrsg. von Benno
Erdmann. Leipzig 1880, Vofs. (XLII, 421 S. gr. 8.)
M. 3. -

Mit derfelben Sorgfalt und in derfelben eleganten
Ausftattung wie früher die ,Kritik der reinen Vernunft'
und die ,Prolegomena' hat der Herausgeber jetzt auch
die ,Kritik der Urtheilskraft' in neuem Druck erfcheinen
laffen, ein Buch, das dem Theologen bekanntlich durch
Ritfchl's Verfuch einer Neubegründung der Theologie
feiner ganzen Bedeutung nach wieder in Erinnerung gebracht
worden ift.

Jena. Bernhard Pünjer.

Oettingen. Prof. Alex, v., Obligatorische und facultative
Civilehe nach den Ergebnissen der Moralstatistik. Ein

Wort zum Frieden. Leipzig 1881, Duncker & Hum-
blot. (III, 83 S. gr. 8.) M. 2. —

Nachdem die Polemik gegen das Reichsgefetz über
die bürgerliche Ehefchliefsung in ihren neueften Ausläufern
(Dieckhoff, Sohm) dahin gelangt ift, in der Civilehe
geradezu ein widerchriftlicb.es Inftitut, in der gefetzlichen
Porderung derfelben einen gegen die Chriften geübten
Gewiffenszwang zu erblicken, ift wie bekannt eine Agitation
gegen das Civilehegefetz und für Einführung der
facultativen Civilehe von kirchlich-confervativer Seite ins
Werk gefetzt worden. Die kirchliche und politifche
Preffe diefer Richtung hallt wieder von Klagen über die
fchrecklich.cn Verheerungen, welche jenes Gefetz fammt
der übrigen Culturkampfgefetzgebung im religiöfen und

fittlichen Leben des evangelifchen Volkes angerichtet I Bewegung zum Befferen; was er darüber fagt, verdient

gebung wie die religionsfeindlichen Tendenzen, welche
bei ihrer Begründung unzweifelhaft mitgewirkt haben.
Um fo mehr fallen die Refultate ins Gewicht, welche
die von ihm vorgeführten ftatiftifchen Zifferreihen ergeben
. Sie weifen nach, dafs allerdings durch das Civilehegefetz
bei feinem Eintritt die kirchliche Sitte einen
ftarken Stöfs erlitten hat und tiefe Schäden des religiöfen
Volkslebens dadurch aufgedeckt, offenbar jedoch nicht
erft hervorgerufen worden find, dafs aber von da an von
Jahr zu Jahr die Zahlen der Taufen und Trauungen gleich
allen übrigen Zahlen, welche auf die Stärke des religiöfen
Factors im Volksleben einen Schlufs geftatten (wie
z. B. die Zahl der Theologie-Studirenden, fie ift nach
dem ftarken Rückgang der Schwindelperiode feit 1876
um 50 Proc. gewachfen, die Zahl der Productionen in
der theologifchen Literatur u. A.), eine ftete Zunahme
aufweifen. Die Macht der chriftlichen Sitte und das Be-
dürfnifs nach religiöfer Weihe des Lebens hat fich weit
ftärker gezeigt, als von den Einen gefürchtet, von den
Andern gehofft wurde. Der Raum geftattet nicht ins
Einzelne einzugehen, es mufs genügen, die Schrift zum
Studium angelegentlichft zu empfehlen. Sie verdient
folches um fo mehr, da der Verf. von der Kunft tenden-
tiöfer Zifferngruppirung, welche gerade auch auf dem Gebiete
der Moralftatiftik und hier vorzugsweife gern in
peffimiftifcher Tendenz geübt wird (dem Paftor Stursberg
z. B. weift Oeffingen bedenkliche Verkündigungen
nach, die von ihm in feinem viel gelefenen Buch über
die Zunahme der Verbrechen in diefer Richtung verübt
worden find), ganz frei ift. Seine principiellen Bemerkungen
über Werth und Aufgabe der Moralftatiftik, über deren
Verwendbarkeit zurErgründung geiftiger Lebensvorgänge,
über die bei der Verwerthung ftatiftifcher Zahlenreihen
feftzuhaltenden Gefichtspunkte find in hohem Grade lehrreich
und beachtenswerth. — Das zu Grunde liegende
Material umfafst den preufsifchen Staat, dann das Königreich
Sachfen, Baiern, Baden und Hamburg, ift alfo
umfangreich genug, um einen allgemeinen Schlufs auf
die deutfehen Zuftände zu geftatten. Was von den
Vorgängen auf dem katholifchen Kirchengebiete bekannt
ift, ift fehr wenig, man liebt dort die Oeffentlichkeit nicht.
Alle vorliegenden Daten aber rechtfertigen die Annahme,
dafs der Einflufs der katholifchen Kirche auf das Volksleben
fich keineswegs mächtiger erwiefen hat als der der
evangelifchen, eher umgekehrt, wie denn auch in Beziehung
auf die Zahl der Confeffionswechfel die evan-
gelifche Confeffion entfehieden im Vorfprung ift. — Nach
allem diefem mahnt der Verf. von dem Dringen aufBe-
feitigung der obligatorifchen Civilehe entfehieden ab.
Von der begehrten facultativen Civilehe erwartet er keinen
Gewinn, fondern eine Schädigung der eingetretenen

habe, während, was gleichfalls zur communis opinio geworden
zu fein fcheint, die katholifche Kirche dadurch
nur eine Stärkung ihres Einfluffes gewonnen habe. Merkwürdiger
Weife ift bisher Niemand auf den Gedanken
gekommen, den Grund oder Ungrund jener Klagen in

gelefen und beherzigt zu werden. Sehr beachtenswerth
ift der Nachweis, dafs in Hamburg (gleichwie in Italien)
unter der Hcrrfchaft der facultativen Civilehe die kirchlichen
Trauungen in fteter Abnahme begriffen gewefen
find, während auch dort feit 1876 eine umgekehrte Be-

objectiver Weife, d. h. mit den Mitteln der Statiftik zu wegung eingetreten ift. Optimiltifche Schönfärberei fin-
unterfuchen. Der Verf. der vorliegenden kleinen Schrift, ; det fich nirgends; die tiefen Schäden des Volkslebens,
bekannt als erfte Autorität auf dem von ihm für die j wie fie z. B. in der immerhin erfchreckenden Zahl von
Theologie neu eröffneten Felde der Moralftatiftik, hat i 50000 ungetauften Kindern, welche fich nach des Verf.'s
fich diefer Aufgabe unterzogen. Aus Vorarbeiten für nicht anfechtbarer Berechnung .dermalen in der Reichs-
die in der Bearbeitung begriffene dritte Auflage feines hauptftadt Berlin befinden, zu Tage treten, werden in
grofsen Werkes bietet er eine Reihe ftatiftifcher Daten, keiner Weife verhüllt. Aber ebenfo fern liegt jener
welche geeignet find das höchfte Intereffe zu erwecken grämliche Peffimismus, welcher dermalen in kirchlich-
und das durch Voreingenommenheit und Phrafe vielfach confervativen Kreifen anfängt.Mode zu werden. Möch-
getrübte Urtheil in den Fragen über obligatorifche, fa- | ten die durchaus fachlich gehaltenen Ausführungen des
cultative, Noth-Civilehe zu klären. Er redet keineswegs Verf.'s einer klärenden und ftärkenden Wirkung nicht
als einfeitiger Verehrer der Civilehe, verwahrt fich viel- j verfehlen.

mehr gegen die Lobfprüche und Verdächtigungen, Nicht einverftanden können wir mit der von dem

welche die Meinung, dafs man einen folchen in ihm zu

fehen habe, ihm eingetragen hat, und verkennt in keiner fammenfprechens' im kirchlichen Trauformular fein. Der
Weife die Mängel und Gefahren der beftehenden Gefetz- Logik des Satzes, dafs eine fchon gefchloffene Ehe nicht

Verf. wiederholt ausgekrochenen Porderung des ,Zu-