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Ausgabe:

1881 Nr. 6

Spalte:

138-140

Titel/Untertitel:

Der christliche Glaube und die menschliche Freiheit. 1. Teil: Präliminarien 1881

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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137 Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 6. 138

fpäteren fogenannten Supranaturaliften zum Vcrwechfeln
ähnlich find, haben die englifchen Freidenker (Deiftcn)
bcftrittcn, obgleich fie den Erkenntnifsprincipien derfelben
bis auf einen gewiffen Grad zuftimmten. Es ift die gleiche
Situation, wie nachdem in Dcutfchland zwifchen den Supranaturaliften
und den Aufklärungstheologen. Die Ge-
fchichte der Theologie ift nun in beiden Ländern auch
darin parallel, dafs der durch den Methodismus hervorgerufenen
evangelifch.cn Partei in der englifch-bifchöf-
fichen Kirche der Pietismus in Dcutfchland entfpricht,
welcher im 19. Jahrh. ebenfo gegen den verftändigen
Supranaturalismus wie gegen die Aufklärungstheologie
reagirt und das Feld behauptet hat. Nur find die englifchen
Erfcheinungen relativ anders bedingt als die
deutfehen und find ihnen um ein halbes Jahrhundert
v voraus. Ob diefe Analogie fich auch für unfere Zukunft
bewähren, ob wir alfo auch etwas wie Tractarianismus
und Ritualismus erleben werden, wage ich nicht vorher-
zufagen.

Göttingen. A. Ritfchl.

Nlejer, Dr. Otto, Febronius. Wcihbifchof Johann Nicolaus
von Hontheim und fein Widerruf. Mit Benutzung
handfehriftlicher Quellen dargeftellt. Tübingen 1880,
Laupp. (XI, 326 S. gr. 8.) M. 8. —
Der Mann, deffen Lebensbefchreibung das vorliegende
Buch enthält, geboren 27. Januar 1701, geftorben
2. Sept. 1790, hat fich durch zwei Werke unvergefslich
gemacht, durch die Historia Trevirensis diplomatica et
pragmatica in drei Foliobänden (1750) und Justini Febronii
de statu ecclesiae et legiäma potestate Romani pontißeis,
zunächft in Einem Buche (1763), wozu allmählich noch drei
Bände Vertheidigungsfchriften (1770. 1773. 1774) und
fchliefslich (1777) eine abgekürzte Bearbeitung des ganzen
Stoffes hinzukamen. Der Titel der vorliegenden Schrift,
welche in der Weife ihres Verfaffers mit der genaueften
Forfchung die anmuthigfte Darftellung verbindet, deutet
an, dafs es demfelben vorzugsweifc auf dies zweite Werk
Honthcim's, auf feine Aufftellung des fogenannten Epi-
fkopalfyftems für dierömifch-katholifche Kirche ankommt.
Denn daran hängt das Lebensfchickfal des Trier'fchen
Weihbifchofs, welcher (1778) unter dem Antriebe der
römifchen Curie von feinem Erzbifchof, Clemens Wenzel
Prinz von Sachfen, zu einem Widerrufe feiner kirchen-
politifchen Ucbcrzeugungen genöthigt wurde. Die poli-
tifchen und die moralifchen Umftände, unter denen diefer
Schritt des hochbetagten Mannes erfolgte, fo wie die
weiteren Nöthigungen, denen er in Folge deffen unterlag
, hat der Herr Verf. auf das Genauefte klar gelegt,
und daran bewiefen, mit wie viel UnWahrhaftigkeit von
beiden Seiten diefe Sache behandelt, und mit wie viel
gcwaltfamer Rückfichtslofigkeit das Opfer diefer Procedur
immer tiefer erniedrigt worden ift, wie aber dennoch
Hontheim auch in dem ihm fchliefslich noch abgezwungenen
Comincntarius in suam retractationem (1781) bei
fcheinbarer Vertheidigung der curialiftifchen Theorie feine
alte Anficht vorbehalten hat. Der Herr Verf. hat hiezu
eine auf der Trierer Bibliothek befindliche umfangreiche
Actenfammlung ausgenutzt, welche der Neffe und fpecielle
Vertraute II.'s, FYiedrich von Krufft, ein geborener Cölner
und Beamter in der Staatscanzlci zu Wien, zum Zwecke
einer Biographie feines Oheims angelegt hat. Obgleich
diefcs Material die eigenen Briefe H.'s an feinen Neffen
nicht enthält, welche diefer anderswo deponirt hat, und
welche bis jetzt nicht zum Vorfchein gekommen find,
fo genügen doch zur Begründung der völlig durchfichtigen
und zufammenhängenden Darfteilung die dem
Herrn Verf. zugänglich gewefenen Acten.

Göttingen. A. Ritfchl.

Der christliche Glaube und die menschliche Freiheit. 1. Teil:
Präliminarien. Mit einem offenen Briefe an Herrn R.
v. Bennigfen als Vorwort. Gotha 1880, F. A. Perthes
. (XXXIV, 218 S. gr. 8.) M. 4. —

Dafs ein politifch liberaler Mann zugleich mit Be-
geifterung dem evangelifchen Chriftcnthume zugethan ift,
darf vielleicht weniger auffallen, als dafs ein praktifcher
Politiker die Zeit findet, mit felbftändigem Nachdenken
dem Zufammenhange feines Glaubens und feines fitt-
lichen Strebens nachzugehen. Es ift freilich auch ein
fehr praktifches Ziel, welches der Verf. dabei im Auge
hat. Er fleht die politifchen Ideale feiner Partei verkümmern
, weil man diefelben in eine falfche Stellung
zur Religion und Kirche gebracht hat. Nach feiner
Ueberzeugung wäre eine Partei der politifchen FYeiheit,
in welcher der Glaube an das hiftorifche Chriftcnthum,
im Sinne des Proteftantismus, das Uebergewicht hätte,
erft eine wahrhaft liberale Partei. In einem als Vorwort
dienenden offenen Briefe an R. v. Bennigfen wird diefer
praktifche Anlafs der Schrift befprochen. Aber den folgenden
Ausführungen merkt man es bald ab, dafs der
Verf. die Waffen, welche er für feine Sache führt, nicht
erft ad hoc gefchliffen hat. Er will den Millionen in
unferem Volke, deren Denken und Lebensführung noch
von dem fittlichen Ideal des Chriftenthums beeinflufst
ift, die Bedeutung des gefchichtlichen PXangeliums klarer
machen, als die theologifche Apologetik zu thun pflegt.
An Belefcnheit und rhetorifcher Kunft fteht er den hervorragenden
Vertretern der letzteren nicht nach. Aber
er verfchwendet diefe Schätze nicht, um zu überreden,
zu unterhalten und zu glänzen, fondern verwendet fie
als Hülfsmittel und Schmuck einer ernfthaften Unter-
fuchung. In diefer einleitenden Schrift, welcher das Hauptwerk
hoffentlich bald folgen wird, werden die Gefichts-
punkte entwickelt, welche das Verfahren des Verfaffers
beftimmen follen. Sie find im Wefentlichcn nicht neu;
indeffen erhöht es das Intereffe an diefer Darftellung, einen
Nichttheologen bei dem Bemühen, fich felbft Klarheit
zu fchaffen, von denfelben Gedanken ergriffen zu fehen,
welche auch in der neueren Theologie fich hie und da
mit dem Anfpruch geregt haben, über die unwahre
Apologetik ebenfo, wie über die gefühlsfeligc Nichtachtung
des Hiftorifchen an der Religion hinauszufuhren.
Der Grundgedanke des Verf.'s ift ebenfalls, dafs wir nur
das als Glaubenswahrheit verliehen, was wir moralifch
aneignen. Er geht auch von der Ueberzeugung aus,
dafs die Bedürftigkeit, in welche uns das Wollen des
Guten verfetzt, durch das Bewufstfcin von dem Zufammenhange
unferer Exiftenz mit Chriftus gedeckt wird. Er
ficht ebenfalls hierin den Antrieb, den chriftlichen Glauben
auch Anderen zuzumuthen, und den Hinweis auf
die Mittel zu feiner richtigen Begründung. Der Verf.
hat das Alles fo frifch und anziehend ausgeführt, dafs
es mir fchwer wird, mit ihm über Einzelnes zu rechten.
Aber für fein ganzes Unternehmen fcheint es mir gefahrvoll
, dafs er den Unterfchied der Glaubensobjecte
von Allem, was Gegenftand des Wiffens fein kann, zu
wenig hervorhebt. Wenn aber die Gewifsheit von jenen
wirklich nur moralifch angeeignet werden kann, fo heifst
dies: fie treten nur dadurch in den Horizont des Men-
fchen, dafs derfelbe fich im Bewufstfein des Sittenge-
fetzes nicht mehr als blofses Naturwefen anficht, fondern
als etwas Anderes. Dann hat es aber keinen Sinn mehr,
zu Gunften des Glaubens auf die Befchränkthcit des Erkennens
und Wiffens zu provociren. Ob das Erkennen
auf feinem eigenen Wege weit oder nicht weit komme,
kann uns dann gar nicht mehr intereffiren, wenn es fich um
die Geltung der Glaubensobjecte handelt. Sie liegen
ja doch nicht in der Fortfetzung der vom Erkennen be-
fehrittenen Bahn, fo dafs der Glaube in diefelbe einträte,
wenn jenen die Kräfte vertagen. Diefe Folgerungen aus
feinen eigenen Sätzen hat der Verf. nicht genügend im