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Ausgabe:

1881 Nr. 6

Spalte:

125-128

Autor/Hrsg.:

Ernesti, Th. L.

Titel/Untertitel:

Die Ethik des Apostels Paulus in ihren Grundzügen dargestellt. 3., neu bearb. Aufl 1881

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 6.

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deren Vermittelung Herodot beffere Kunde erhielt, als
von feinen ägyptifchen Gewährsmännern (S. 99).
Gröfseren Werth als die Herodoteifchen haben die Angaben
des Diodor (S. 100 ff.). Mit Vorficht foll auch
Manetho benutzt werden, weil er Quellen gebraucht
habe, welche nicht den Zweck verfolgten, ,den wirklichen
Verlauf der Gefchichte zu fchildern', fondern ,die wich-
tigften Begebenheiten in einer runden und hübfehen
Form ihren Lefern vorführen wollten, ohne deshalb ganz
und gar den Boden der Wirklichkeit zu verlaffen'
(S. 110 f.). — Hinfichtlich der afiatifchen Quellen wäre
die Bemerkung S. 74 über die prophetifchen Schriften
des Alten Testamentes zu modificiren, da fie lautet, als
ob diefelben durchweg aus (wirklichen oder angeblichen)
Prophezeiungen beftänden, was doch nur von einem fchr
kleinen Theile gilt.

Was die in diefem Buche behandelte Periode der
ägyptifchen Gefchichte betrifft, fo begnüge ich mich, an
ihre Berührungen mit der Gefchichte Israel's zu erinnern.
Es fällt in diefelbe die Regierung des Necho, des Zeit-
genoffen Jofia's (S. 147 ff.), und des aus dem A. T. unter
dem Namen Hophra bekannten Apries (S. 163 ff.).

Beanftanden mufs ich die Bemerkung S. 190 über
die Götterlifte am Altare des Pepi in Turin, welche als
Gottheiten aufführt die Sonne, das Jahr, die lange Zeit,
die Ewigkeit, das Leben, die Beftändigkcit, die Freude,
die Wahrhaftigkeit. Der Verf. erklärt: ,. . . eine Reihe
abftrakter Begriffe find als göttliche Wefen aufgefafst
und zeigen fo, dafs wir nicht einfach eine Naturreligion
als die urfprüngliche Form der ägyptifchen Mythologie
annehmen dürfen'. Geht aus jener Lifte hervor, dafs
fchon frühzeitig die ägyptifchen Götter nicht fämmtlich
Naturgottheiten waren, fo ift doch damit über die Anfänge
der ägyptifchen Religion nicht das minderte ent-
fehieden und nur dies deutlich, dafs damals die ägyp-
tifchc Religion fchon eine fehr lange Entwickclung durchlaufen
hatte; denn nach allen Analogieen der Gefchichte
fängt keine Religion an mit Dcificirung von Eigen-
fchaften wie Wahrhaftigkeit und Beftändigkeit.

Strafsburg. Wolf Baudiffin.

Ernesti, Confift.-Vicepräf. Abt D. H. Fr. Th. L., Die
Ethik des Apostels Paulus in ihren Grundzügen darge-
ftellt. 3. neu bearb. Aufl. Göttingen 1880, Vanden-
hoeck & Ruprecht's Verl. (XII, 195 S. gr. 8.) M. 4. —

Die auf dem Titel bezeichnete Neubearbeitung, welche
der im vorigen Jahre heimgegangene Verf. feiner Darfteilung
der paulinifchen Ethik bei diefer dritten Herausgabe
(die zweite Aufl. vom J. 1875 war ein unveränderter Abdruck
der erften vom J. 1868) hat zu Theil werden laffen,
beliebt darin, dafs er die ganz kurzen einleitenden Ab-
fchnitte der erften Aufl., welche vom Sittlichen überhaupt
und von den befonderen Gefichtspunkten der Lehre
des Paulus vom chriftlich-fittlichen Leben handelten, und
dann zwei weitere Abfchnitte aus der folgenden ,Lehre
vom chriftlich-fittlichen Leben', nämlich den Abfchnitt
über die vorchriltliche unfittliche Zuftändlichkeit und den
über die objective Norm und die fubjective Form des
chriftlich-fittlichen Wandels, herausgenommen und derartig
umgeftaltet und erweitert hat, dafs daraus jetzt
ein eigener erfter Theil der Darfteilung geworden ift.
Derfclbe ift überfchrieben : ,Die objective Wirkfamkcit des
daschriftlich-fittliche Leben beftimmenden Gciftes' und be-
fpricht zuerft das vorchriftliche unfittliche Leben ohne
den Geift Gottes, dann das chriftlich-fittliche Leben aus
und in dem Geifte Gottes, und zwar in diefem letzteren
Abfchnitte: I. die Gewalt des Gottesgeiftes (1. die Wiedergeburt
, 2. die Wirkfamkcit des Geiftes Gottes in den
Wiedergeborenen), II. das Vorbild Chrifti und feine Rea-
lifirung. Der ganze Inhalt der erften Auflage des Buches
mit Ausnahme der angegebenen kleinen Abfchnitte ift

fodann ohne irgendwelche wefentliche Veränderung als
jetziger zweiter Haupttheil, behandelnd ,die fubjective
Wirklichkeit des vom Geifte Gottes beftimmten chriftlich
-fittlichen Lebens', abgedruckt worden. Als ,Einleitung
' giebt der Verf. jetzt kurze Erörterungen über die
Genefis der Lehre des Paulus vom chriftlich-fittlichen
Leben, über die anthropologifchen Vorausfetzungen für
diefes Leben und über den Gegenftand und die Einthei-
lung der Ethik des Paulus.

Dafs die vorgenommene Erweiterung des Buches
eine wefentliche Verbefferung desfelben bedeutet, kann
keinem Zweifel unterliegen. Die ethifchen Anfchauungen
des Paulus können nach ihrer Eigenthümlichkeit und
nach ihrem Zufammenhangc mit der chriftlichen Gefammt-
anfehauung des Apoftels nicht gehörig gewürdigt werden
ohne Berückfichtigung der Bedeutung, welche Paulus dem
Wirken des Gottesgeiftes im Menfchen beilegt. Hatte der
Verf. in der erften Aufl. diefe Berückfichtigung nur gelegentlich
und andeutungsweife gegeben, fo hat er fie jetzt in
dem neuen erften Haupttheile eingehend und zufammen-
hängend zu geben geflieht. Er hätte m. E. bei diefer
Ausführung nur den Hauptgedanken nachdrücklich zu
Grunde legen müffen, dafs Paulus die Wirkungen des
Gottesgeiftes im Menfchen nicht etwa blofs als neben
der bewufsten und freien Selbftthätigkeit des Menfchen
liegend, diefelbe ergänzend oder unterftützend, betrachtet,
fondern dafs er vielmehr diefe fittliche Thätigkeit des
Menfchen felbft und zwar in ihrem ganzen Umfange,
vom religiöfen Standpunkte aus als Wirkungen Gottes
oder des göttlichen Geiftes beurtheilt. Der Verf. hat
zwar an einigen Stellen diefen paulinifchen Gedanken
angedeutet (S. 72.78), in der Regel aber führt er uns
nicht über die Vorftcllung hinaus, ,dafs der Geift Gottes
das, was objectiv das fubjective Moment der Erfüllung
des göttlichen Willens (nämlich die Dankbarkeit) motivirt,
den Glaubenden zueignet' (S. 76 f.), oder dafs er den
Menfchen, der von fich aus den Dankbarkeitsantrieb zur
Erfüllung des göttlichen Willens hat, bei der Ausführung
diefes Antriebes unterftützt (S. 77 f.), oder dafs er dem
Menfchen giebt, was diefer mit eigener Bewegung des
Willens annehmen mufs (S. 91 f.). Ebendeshalb, weil
der Verfäffer fich der Verfchiedenheit der Betrachtungs-
weife nicht deutlich bewufst geworden zu fein feheint,
wenn Paulus einmal die ganze Willensthätigkeit des Menfchen
, fein äeleiv und fein svEQyelv, als Wirkung Gottes
auffafst, während er doch gleichzeitig diefe Thätigkeit
als eine mit eigenem Bewufstfein, mit eigener Freiheit
und Verantwortung auszuführende Aufgabe des Menfchen
felbft in Betracht zieht (Phil. 2, 12 f.), mag es ihm auch
nicht gelungen fein, in dem erften Haupttheile des Buches
die Darftellung des ,chriftlich - fittlichen Lebens aus und
in dem Geifte Gottes' fo vollftändig und andererfeits auch
fo ungemifcht mit fremdartigen Elementen zu geben,
wie es wünfehenswerth gewefen wäre. Es galt hier feft-
zuftellen, in welchem Sinne und in welchem Umfange
Paulus die ethifche Bethätigung des chriftlichen Subjectes
als göttliche Geiftcswirkung beurtheile. Wir vermiffen
nun aber in jenem erften Theile eine Zufammenftellung
} der verfchiedenen befonderen Beziehungen, in welchen
Paulus den Gottesgeift als im Menfchen wirkend und
j Aeufserungen hervorbringend bezeichnet, — obgleich eine
j folche Zufammenftellung doch dem Verf. auch für die
richtige Begrenzung feiner Aufgabe im zweiten Theile
von grofser Wichtigkeit hätte fein können. Wir finden
1 dort dagegen über das Vorbild Chrifti und feine Reali-
firung eine Erörterung, welche mit der Darftellung des
Lebens aus und in dem Geifte Gottes direct nichts zu
thun hat. Denn nicht fofern das fittliche Wirken fich
| der religiöfen Betrachtung als Wirkung des Gottesgeiftes
darfteilt, fondern nur fofern es auch als Wirkung des
| Gottesgeiftes doch eine vom Menfchen mit Bewufstfein
I und Freiheit zu vollziehende Aufgabe bildet, ift Rück-
I ficht zu nehmen auf das Vorbild Chrifti als auf ein Er-