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Ausgabe:

1881

Spalte:

110-113

Titel/Untertitel:

Gesangbuch für Kirche, Schule und Haus. (Schluß.) 1881

Rezensent:

Schwabe, ...

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I io

Kreuzes vveifs er fo wenig wie jene. Auch was er im
6. Abfchnitt zur Kritik der Gegner vorbringt, ift dürftig,
wenn auch nicht ungefchickt. Gegen Schulte wird hauptfächlich
nur der Widerfpruch feiner jetzigen Stellung
mit dem, was er in feinem ,Syftem des Kirchenrechts'
1856 zu Gunften des Cölibates gefagt hat, geltend gemacht
. Aus Holtzendorffs Schrift (der Priefter-Cöhbat,
1875) g'ebt der Verf- lediglich die Sätze wieder, welche die
Anerkennung der Unentbehrlichkeit des Inftitutes für die
hierarchifchen Zwecke der Kirche enthalten; und auf
das, was Ihering vom Standpunkte romaniftifcher Staats-
raifon gelegentlich gegen dasfelbe gefagt hat (Der Zweck
im Recht I, 445 ff.), war nicht fchwer zu repliciren.
Einen Einblick in den eigentlichen Status controversiae
erhält man aus allem Vorgebrachten nicht. Hätte doch
der Verf. beachten wollen, was K. Hafe zur Sache ausgeführt
hat, Handb. der Polemik (7. Aufl.) S. 107 ff. —
Der gefchichtliche Ueberblick im zweiten Theile
(Abfchn. 2—3) ift mit eingehender Sachkenntnifs gearbeitet
und im Allgemeinen gut orientirend. Der vernichte
Nachweis freilich, dafs der Prieftercölibat bereits
in der Apoftelzeit thatfächlich beftanden habe (S. 64),
ift nicht gelungen. Auch ift nicht zu überfehen, dafs die
Zeugnifse für das Vorhandenfein desfelben in den älteren
Jahrhunderten nicht ohne Weiteres verallgemeinert und
auf alle Theile der Kirche bezogen werden dürfen (vgl.
Mosler, zur Gefchichte des Cölibats, S. 36). Wo die
üppofition der Proteftanten zur Sprache kommt, fehlt
wieder ganz die Einficht in deren tiefere Gründe. — Alle
Anerkennung verdient der juriftifche Theil der Arbeit
(Abfchn. 4—5). Der Verf. zeigt eine Virtuofität jurifti-
fcher Technik, wie fie bei katholifchen Theologen viel
häufiger als bei proteftantifchen zu finden ift, nicht eben
zum Vortheil der Unferen. Der pofitive Rechtsftoff ift
mit Gelehrfamkeit, Scharffinn und löblicher Genauigkeit
durchgearbeitet; mit den Ergebnifsen des Verf.'s im Einzelnen
kann man fich faft überall einverftanden erklären,
fo mit dem, was er über die Präge des Rechtsgrundes
des Cölibates — ob Gelübde oder Kirchengefetz? —
entwickelt (S. 178 ff). Er ift unbefangen genug anzuerkennen
, dafs das Inftitut nicht jure divino, fondern eccle-
siastico liuniano beftehe (S. 169 ff.). Gleiche Anerkennung
gebührt der particular-rechtlichen Darftellung im Anhang.
Von allgemeinem Intereffe ift hier die Frage, ob die Beftim-
mung im öfterreichifchen bürgerlichen Gefetzbuch v. 1811
(Art. 63), wodurch der Prieftercölibat als bürgerliches
Ehehindernifs anerkannt ift, auch für folche Priefter
Geltung habe, die von der kath. Kirche zur evangelifchen
ubertreten. Die Rechtfprechung der öfterreichifchen Gerichte
ift ungleich. Der Verf. entfeheidet felbftverftänd-
lich bejahend, u. E. mit Unrecht. Seitdem der Staat,
wie in Oefterreich durch das Kirchengefetz v. 1868 ge-
fchehen ift, den Austritt aus der Kirche, der doch nach
Kirchenrecht rechtlich unmöglich und nichts anderes als
ein (trafbares Verbrechen ift, gefetzlich zugelaffen und
fo mit dem kathol. Kirchenprincip gebrochen hat, kann
er fich an den aus eben diefem Princip fliefsenden Satz
von der fortdauernden Wirkfamkcit des cliaracter indclc-
bilis der Weihe auch für den apoftafirenden Priefter ahne
inneren Widerfpruch nicht gebunden halten. Die ein-
fchlagenden Rcchtsfällc, welche der Verf. in belehrender
VVeife darftellt, fowie die bezüglichen Verhandlungen
im öfterreichifchen Reichsrathc geben ein anfchaulich.es
Bild von dem unfertigen, an inneren Schwierigkeiten
reichen Zuftand, worin fich das Eherecht dort zur Zeit
befindet. Dafs der Verf. von der Befeitigung jenes Art. 63
ernftlichft abmahnt, war nicht anders zu erwarten; feine
Gründe find freilich mehr als naiv.

Friedberg. K. Koehler.

Gesangbuch für Kirche. Schule und Haus. (Entwurf zur Vorlage
an die Bezirksfynoden beftimmt.) Hannover 1880,
(Feefche). (IV, 432 u. Gebete 80 S. 8.) M. 1. 35.

(Schlufs.)

Ich follte meinen, dafs es hinfichtlich der auszu

j fcheidenden Lieder nicht allzufchwer werden dürfte, zu
einer Verftändigung zu gelangen. Schwieriger ftellt fich
dagegen die Sache hinfichtlich der doch dringend noth-
wendigen Revifion der im Entwürfe gebotenen Redaction
der Lieder, und zwar hauptfächlich deshalb, weil gerade
in Betreff der Redaction in Wort und Schrift immer aufs
neue fchon fo oft widerlegter Wahn und Unverftand
wiederholt und eben damit der fo wünfehenswerthen
Gefangbuchserneuerung ein gefährliches Hindernifs bereitet
wird. Es war fehr zu bedauern, dafs feiner Zeit
der als hymnologifcher Kritiker und Forfcher mit Recht
hochgefchätzte Ph. Wackernagel und fein Schwieger-
fohn Scholz durch ihre unbegreifliche Parallelifirung

I eines Gefangbuches mit einer Anthologie weltlicher Dichtung
fo viele Menfchenkinder, die doch das Falfche des
Vergleichs hätten einfehen müffen, irre geführt haben.
Ganz unverantwortlich aber ift es, wenn auch jetzt wieder

; der grobe Irrthum erneuert und mit ftolzer Zuverficht
gefragt wird: ob denn die Griechen ihren Homer und

] Hefiod, oder wir Deutfche unfern Goethe und Schiller
geändert hätten und änderten?

Bei folcher Auffaffung fehlt alles Verftändnifs für
die Aufgabe eines Gefangbuchs mit feinen Liedern, in
welchen eine Chriftengemeinde das fie innerlich Erfüllende,
ihr eignes Fühlen und Denken, in einer von ihr anzueignenden
F'orm und darum nichts, was ihr unverftändlich
wäre und fie um ihre Andacht bringen würde, finden will.

Man erklärt es als ein Sacrileg, als einen Eingriff
in die Heiligthümer der Kirche, als eine Verletzung der
Pietät gegen die Liederdichter, die doch gerade ihre
beften Lieder zunächft nicht für kirchlichen Gebrauch
gedichtet haben, wenn man vor allem die Pietät gegen
Gott und die religiöfe Gemeinde als das Mafsgebende
betrachtend das fprachlich Veraltete, äfthetifch Häfsliche
und Gefchmacklofe oder auch dem kirchlichen Stil allzu-
fehr Widerfprechende befeitigt und nach dem fchon von
Peter Bufch, dem Hannoverifchen Liederdichter, der
auch in dem neuen Entwürfe vertreten ift, befolgten
Grundfatze verfährt, ,es müffe bei einem Gefangbuche

I billig mehr um Beförderung der Ehre Gottes und unferer
Erbauung, als um die Ehre der Autormn zu thun feyn'.

! Man will nicht wiffen, dafs, wenn auch meift in befchränk-

' tem Mafse, vom Anfang unferes Kirchenliedes an nach
folchem Kanon wenigftens inftinetiv verfahren worden ift;
man fpricht getroft die Behauptung Ph. Wackernagel's

| auf dem Bremer Kirchentag nach, dafs ein P. Gerhardt
und überhaupt die echten Dichter ihre Hand nicht an
die alten Lieder gelegt hätten, obgleich Wackernagel
felber, was er vergeffen haben mufste, in feiner zehn
Jahre vorher erfchienenen kritifchen Ausgabe Gerhardt
's eine Anzahl von diefem überarbeiteter älterer
Lieder geboten hatte; darunter die Bearbeitung des Liedes
von P. Röber, einem Lehrer Gerhardt's, ,0 Tod, o Tod,
du greulichs Bild' (Or. ,0 Tod, o Tod, fchreckliches
Bild'; ,0 Menfch, beweine dein Sünd' nach S. Heyd's
,0 Menfch, bewein dein Sünde grofs'; .Zweierlei bitt
ich von dir' nach P. Ebers (od. Oelers) .Zwei Ding,
o Herr, bitt ich von Dir' u. a. — In völliger Nichtbe-

j achtung der doch auch unter dem Einfluffe des Chriften-
thums miterfolgten Entwicklung unferes Volkes, unferer
Sprache, unferer Sitte haben leider nur zu viele in der
Rückbildung ihres Gefchmacks um Jahrhunderte es fo
weit gebracht, um das zum Theil fchon für damals als
unfehön zu Betrachtende und von manchen auch fchon
damals als folches Erkannte als unantaftbar anzufehen,
Ausdrücke wie ,Wuft, Stank, Mift, Koth, Höllenaas, Sündengrind
, Adams alter Balg u. a.' für nichts weniger als