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Ausgabe:

1881

Spalte:

108-109

Autor/Hrsg.:

Laurin, Franz

Titel/Untertitel:

Der Cölibat der Geistlichen nach canonischem Rechte mit besonderer Beziehung auf das Recht der österreichisch-ungarischen Monarchie 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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in diefem Abfchnitt zeigt fich auch fonft — ein Beifpiel
ftatt vieler — wie der Verfaffer in liebevoller Aneignung
des Gegenstandes Sowohl, als auch fremder Auf-
faffungen gerne doch des Guten zu viel Sieht. Denn was
foll es heifsen, wenn hier in der Vorgefchichte eben
jenes deutschen epifkopaliftifchen Verfuches auch der
Kurfürft Maximilian I von Baiern fein glänzendes
Lob erhält als tapferer Verfechter der Unabhängigkeit
und Selbständigkeit des Staats gegenüber den Machtan-
fprüchen des Römifchen Hofes! Ueberhaupt ift ja wohl
etwas daran, dafs wir Protestanten immer noch auch ein
Stück von Einfeitigkeit in kirchlicher Geschichtsbetrachtung
abzulegen haben, und gerne wollen wir gerade in
den letzten Jahrhunderten bis in das gegenwärtige herein
allen Reformbeftrebungen auf katholifchem Gebiet
ihren moralifchen Werth laffen. Aber keine folche Anerkennung
darf uns andeferfeits vergeffen laffen, wie alle
diefe Bestrebungen von Haufe aus fo angelegt find, dafs
eine wirkliche Reformation dadurch eine Sache der Unmöglichkeit
ift. Und ebenfo wäre noch der erfte Beweis
dafür zu liefern, dafs die katholifche Aufklärung des
achtzehnten Jahrhunderts eine Selbständige Erfcheinung
bildete, die fleh mit ebenbürtigem Rechte dem Protestantismus
zur Seite Stellen könnte. Ich kann mich auch in
die Anfchauung nicht finden, welcher die Reformation
eine kirchliche Gefammtbewegung ift, aus welcher dann
die neuen Einzelkirchen, alfo auch die katholifche, mit
gleicher individueller Berechtigung hervorgehen (S. 33).
In jedem Falle aber ift es unrichtig, die Schuld dafür,
dafs in einzelnen Territorien erasmifche Reformpläne
bald der jefuitifchen Reaction weichen mufsten, nur in
dem Ausfeheiden der Proteitanten aus dem Gefammtver-
bande zu fuchen, vgl. S. 36. Warum mufsten fie denn
hinaus? Und haben denn diefe erasmifchen Reformgedanken
je eine fchaffende und gestaltende Kraft gehabt?
Aus neuerer Zeit erlaube ich mir noch Sailer anzuführen, an
deffen warmer Frömmigkeit fich gewifs jedermann erbaut
, der aber doch kaum, wie es hier gefchieht (S. .519)1
ein eigentlicher Myftiker zu nennen ift, und wenn man
auch in einem gewiffen Sinne mit dem Verfaffer fagen
will, dafs er ,dem Streite der Lehrformen kühl gegenüberstehe
', doch niemals in allen Perioden feines Lebens
eine derartige Stellung feiner Kirche gegenüber gehabt
hat, fondern eben in dem entfeheidenden Punkte, nämlich
der Schätzung der Kirche, jederzeit ganzer und voller
Katholik war. Oder was foll es heifsen, dafs er fich
(ebend.) zumal zu den Gegenfätzen des Katholicismus
und Protestantismus ganz ähnlich verhalten habe wie
Staupitz? Für den letzteren gab es eben doch Sicher
keinen Gegenfatz von Katholicismus und Protestantismus,
wohl aber auch für ihn eine Kirche, von der er fich nicht
trennen konnte. Und ich wüfste nicht, wo in allen
Lebensäufserungen und Bewegungen des Katholicismus,
die in diefem Bande zur Sprache kommen, das anders
gewefen wäre. Darin müffen wir auch diefem nachrefor-
matorifchen Katholicismus den Ruhm laffen, dafs er und
er allein die Fortfetzung des Mittelalterlichen ift. Für
uns aber wollen wir uns dabei befcheiden oder vielmehr
es in Anfpruch nehmen, dafs wir die Abgefallenen find,
eben darum aber trotz allem und allem auch die Neuzeit
für uns haben. Und fchliefslich bin ich darin ja
auch der UebereinStimmung des Verfaffers um fo mehr
gewifs, als er doch felbft und in viel Strengerem Sinne
als wir anderen in dem geistigen Fortfehritt des achtzehnten
Jahrhunderts die treibende Kraft der Reformation wieder
erkennt. Es ift daher feine Werthfehätzung katholifcher
Reform wohl als eine Uebung der Billigkeit und Unparteilichkeit
aufzufaffen, die- niemandem gerne feine
Freude fchmälert, und fo können wir uns auch die jeweilige
Beurtheilung der Fortfehritte der ruffifchen Kirche
erklären, die doch damals wie jetzt noch die erften
Proben abzulegen hat, um mitgezählt werden zu können.
Ich fchweige von der anglikanifchen Kirche, und will

nur zum Schluffe nicht unerwähnt laffen, dafs der Verfaffer
vgl. 9 und 12 auch den deutfehen Pietismus fo
hoch ftellt und epochemachend anfleht, um von ihm die
weitgehendsten Nachwirkungen für die deutfehe Cultur-
entwicklung abzuleiten. Es würde fich angefichts deffen
wohl lohnen, den umgekehrten Weg einzufchlagen, und
den Pietismus, wie es übrigens im allgemeinen fchon oft
gefchehen ift, vielmehr als Folge und Symptom der allgemeinen
Culturentwicklung zu erklären, was Selbstverständlich
eine gewiffe Rückwirkung nicht ausfchliefst.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Laurin, Hofcapl. Prof. Dr. Franz, Der Cölibat der Geist
liehen nach canonischem Rechte mit befonderer Beziehung
auf das Recht der öfterreichifch-ungarifchen
Monarchie. Wien 1880, Manz. (VIII, 242 S. gr. 8.)
M. 3. 20.

Die vorliegende Schrift, dem Cardinal Jacobini gewidmet
und mit fürft-erzbifchöflicher Approbation gedruckt
, foll laut Vorrede den Nachweis erbringen, ,wie
erhaben und hehr die kath. Kirche auch in diefer ihrer
Institution (dem Cölibat) daftehe'. Geift und Charakter
der Arbeit ift daraus zur Genüge kenntlich. Der Verf.
giebt im 1. Abfchnitt (,Begriff und Gründe des Cölibates
der Geiftlichen und Einwürfe gegen denfelben') die theo-
logifche Begründung des Inftitutes, fodann (2. ,Entstehung
und Ausbildung, — 3. Gefchichte des Cölibates der
Geistlichen') einen Ueberblick feiner gefchichtlichen Ent-
wickelung, weiter (4. ,Rechtsfolgen der Verletzung des
Cölibates, —• 5. rechtliche Natur des Cölibates der Geistlichen
', die Folge beider Abfchnitte follte logifcher Weife
die umgekehrte fein) eine Darfteilung des geltenden
Rechts der römifch- und griechifch-katholifchen Kirche
bezüglich des Cölibates. Ein 6. Abfchnitt, ,Literatur
des Cölibates der Geistlichen' überfchrieben, giebt Nachricht
von einer Abhandlung Möhler's und von einer, vom
Verf. ausgiebig benutzten, 1841 erfchienenen Schrift
eines ungenannten Convertiten zu Gunften des Cölibates
und wendet fich dann apologetifch gegen die Angriffe,
welche der Cölibat neuerdings von Fr. v. Holtzendorff,
Schulte und Ihering erfahren hat. Ein Anhang endlich
ftellt die beftehende Gefetzgebung der öfterreichifch-
ungarifchen Monarchie bezuglich des Priefter-Cölibates
dar. — Der theologifche Theil der Arbeit bietet weder
Neues, noch Eigenes. Gut katholifch befchränkt fich
der Verf. darauf, Autoritäten der Tradition aus alter
und neuer Zeit zu reproduciren. Die Argumente für
den Cölibat find die herkömmlichen und gehen kaum
über den Gesichtspunkt äufserer Zweckmäfsigkeit hinaus.
Die angeblich für die Sache redenden Schriftftellen
Schreibt der Verf. einfach ab ohne exegetifche Erörterung
ihrer Beweiskraft. Die tiefere Begründung aus der

: Gefammtauffaffung des Katholicismus über Chriftenthum
und Welt, Reich Gottes und Kirche, vollends der Erweis
der Berechtigung der letzteren fehlt gänzlich. Mit
den Argumenten der Gegner macht es fich der Verf. recht
leicht; gleich der Eingang feiner bezüglichen Erörterungen
zeigt die Befchränktheit des Standpunktes (S. 46). Die

I der proteftantifchen Polemik dienenden Schriftftellen werden
gewaltfam genug abgethan, die gräulich entsittlichenden
Wirkungen, welche der Cölibat nach dem Zeugnifs der
Gefchichte geübt hat, nur leife und flüchtig berührt.
Ein Verftändnifs von dem Sittlichen Wefen und Werthe
der Ehe fucht man vergeblich. Klüger als andere kath.
Polemiker, welche zum Ruhme des Cölibates die Unbequemlichkeiten
und Verdriefslichkeiten des Ehelebens ins
Feld führen, weifs der Verf. viel davon zu fagen, dafs
der ehelofc Priefter auf Freuden und Genüffe verzichte

— er denkt erfichtlich vorzugsweife an die finnlichen :

— von dem ,Kreuz, fo Gott auf diefen Stand gelegt hat',
wie Luther im Traubüchlein fagt, und dem Segen diefes