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Ausgabe:

1881

Spalte:

88-89

Autor/Hrsg.:

Hermann, Theodor

Titel/Untertitel:

Theologische Studien aus Württemberg. 1. Jahrgang 1880 1881

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 4.

SS

eine uns fremd gewordene Weife der Sprache, der Metrik,
des Gefchmacks zurückzuverfetzen vermag, werthvoll !
erfcheinen mögen, für unfere heutigen Gemeinden nicht
mehr als Ausdruck ihrer Erbauung gebraucht werden
können und deshalb auch nicht mehr zu diefem Zwecke
geboten werden follten.

Zu ihnen gehören manche der vorreformatorifchen
Lieder, die entweder Ueberfetzungen lateinifcher Hymnen
oder deutfche Originale find, z. B. Nr. 32: ,Der Tag
der' etc., Nr. 35: Da Chriflus geboren' etc., Nr. 37: ,Nun
finget und feid froh' etc., welches wenigftens in der Re-
cenfion des Eifen. E.'s geboten werden follte; Nr. 99:
,Alfo heilig ifl der Tag' etc.; Nr. 144: ,Seit Lob, Ehr,
Preis' u. a.

Auch hinfichtlich der Lieder der böhmifchen Brüder
will die Frage nach der Möglichkeit der Aneignung für
unfere heutigen Gemeinden ernftlich erwogen fein. Der
literarhiftorifch Gebildete mag immerhin einftimmen in
das lobpreifende Wort Her der's, das nach Vi 1 mar
die Veranlaffung geworden in, neuerlich jene Lieder
über Gebühr zu erheben, obgleich Herder feinem Wunfche,
dafs, ,aus diefen Bergen doch wenigftens das Gold möchte
gefucht und etwa nach unferem Bedürfnifs zum gemeinen
Nutzen verwandt werden', refignirt hinzufügt: ,Doch vielleicht
ift es auch beffer, dafs es für wenige Liebhaber
aufbewahrt bleibt'. Hat er doch felbft in fein Wei-
marifches Gefangbuch von 1795 nur ganz wenige diefer
Lieder aufgenommen, obgleich in den bisherigen Gefangbüchern
eine weit gröfsere Zahl geftanden hatte. Jedenfalls
würde er jetzt nach Unterbrechung aller Tradition
noch zurückhaltender gewefen fein und ficher nicht Nr.
16 des Hannöv. Entw. ,Lob fei dem' etc. in originaler
Geftalt aufgenommen haben, das auch der Berliner Entwurf
von Bachmann nur in bedeutender Ueberarbcitung
zu bieten gewagt hat. Es bleiben von den Brüderliedern,
wenn man hinfichtlich ihrer Aufnahmefähigkeit das kirchliche
Intereffe und heutiges Bedürfnifs befragt, felbft nach
dem Urtheil einfichtsvoller Kenner nur wenige, z. B.
,Aus tiefer Noth lafst' etc., ,Nun lafst uns den Leib begraben
' etc., ,0 hilf, Chrifte, Gottes Sohn' u. a., und auch
diefe nur unter der Vorausfetzung einer fchonenden Re-
daction, für unfere Gefangbücher übrig. Auch ein Thi-
baut, der grofse Jurift und feinfinnige Kenner kirchlichen
Gefanges, in deffen Haufe der Schreiber diefer Zeilen
als junger Mann zuerft Lieder der böhmifchen Brüder
durch den von Thibaut geleiteten akademifchen Gefangverein
in ergreifender Weife hat ausführen hören, hat
folches unbedenklich geftanden, trotz feiner Begeifterung
für jene Lieder und ihre Melodien.

Dafs die Grund legende Zeit unferes evangelifchen
Kirchenliedes befonders ftark in dem Entwürfe vertreten
ift, erfcheint ganz natürlich, obgleich damit noch nicht
gerechtfertigt wird, dafs von Luther 31 Nrn. Aufnahme
gefunden haben. Jedenfalls könnten Lieder wie Nr. 102:
Jefus Chriftus, der den Tod' etc., Nr. 153: ,Wär Gott
nicht mit uns' etc., Nr. 185: ,Chrift, unfer Herr zum Jordan
' etc., Nr. 477: /Der du bift drei' etc., Nr. 500: ,Wohl
dem, der in' getroft wegbleiben, ebenfo 171: ,Diefs find
die heiigen' etc., eine Verfification der 10 Gebote, die
für jene Zeit aus kirchlich-pädagogifchen Zwecken begreiflich
, für unfere Tage in Gefangbüchern unerträglich
erfcheint.

Im Nachfolgenden will ich Beifpiels halber eine weitere
Anzahl Lieder anführen, die bei einer Revifion des
Entwurfs nebft manchen andern befeitigt werden follten.
Nr. 51: ,Helft mir Gottes' etc., Nr. 73: ,ü wir armen
Sünder', Nr. 186: ,Laffet die Kindlein kommen zu mir'
etc., Nr. 211: ,Durch Adams Fall ift ganz' etc. trotz feiner
gefchichtlichen Bedeutung; Nr. 215 •. ,Wär'n meiner Sünd
auch noch fo viel' etc., Nr. 216: ,Dafs ich ein armer
Sünder bin' etc., Nr. 245: ,Wenn dein herzliebfter Sohn,
o Gott' etc., Nr. 246: ,Herr, ich bekenn von Herzensgrund
' etc., Nr. 250: ,Der Glaube macht allein gerecht'

etc., Nr. 252: ,Der Glaub ift eine Zuverficht' etc., Nr.
272: ,0 Lebensbrünnlein, tief und grofs' etc., Nr. 302:
,Ich will mich mit dir verloben' von Sinold, an deffen
Stelle des Verfaffers wcrthvolleres Jcfuslied ,Lebft du in
mir, o wahres Leben' Aufnahme verdient hätte; Nr. 314:
,Kommt her zu mir' etc., Nr. 318: Dies ift ja doch die
letzte Zeit' etc., Nr. 374: ,Ach Gott, wie manches Herzeleid
' müfste wegfallen oder an mehreren Stellen nach
der Redaction des Lüneburger Gefangbuches geboten
werden; Nr. 375: ,Keinen hat Gott verlaffen' etc., Nr.
380: ,Mag ich denn nicht' etc., Umdichtung des Liedes
,Mag ich Unglück nicht widerftan' etc. (von der Königin
Maria von Ungarn), verdient wohl kaum eine Stelle; Nr.
409: .Gott forgt für mich' etc., Nr. 410: ,Ich trau auf
meinen' etc., Nr. 482 : ,Wir danken dir, Herr Jcfu Chrift,
etc. von Seinecker; Nr. 519: ,Bift du gleich ferne' etc.,
Nr. 525: ,Du Friedefürft, Plerr Jefu Chrift' etc., in der
hier gebotenen Geftalt eine zu ftarke Zumuthung; Nr.
559: ,Hört auf mit Trauern' etc.; Nr. 590: ,Nun lieg ich
armes' etc.; Nr. 596: ,Es mag dies Haus' etc. wegen V. 2;
Nr. 598: ,0 froher Auferftehungstag' etc.; Nr. 603: .Wacht
auf, ihr Chriften' etc., Nr. 605: ,Der Bräutigam wird bald
rufen'.

(Schlufs folgt.)

Friedberg. Dr. Schwabe.

Theologische Studien aus Württemberg. Unter Mitwirkung
von Braun, Frohnmeyer, Häring, Knapp, Neftle, herausgegeben
von Diaconus Theodor Hermann
und Pfarrer Lic. Paul Zeller. I. Jahrgang 1880.
Ludwigsburg, Neubert'fche Buchh. (332 S. 8.) M. 8.—

Das hier anzuzeigende Unternehmen ift ein Verfuch,
die einft von Klaiber begründeten, dann lange Zeit
hindurch von Stirm redigirten .Studien der evangelifchen
Geiftlichkeit Würtem berg's' (20 Bde.,
1827—1848) nach mehr als dreifsigjähriger Paufe wieder
aufleben zu laffen. Wie jene älteren fo follen auch diefe
neuen .Studien' in erfter Linie ein wiffenfehaftliches Organ
für die evangelifche Geiftlichkeit Würtemberg's fein.
Die Herausgeber, Diaconus Theod. Hermann in Brackenheim
und Pfarrer Lic. Paul Zell er in Neipperg bei
Brackenheim, fprechen im Vorwort die Hoffnung aus,
.dadurch mancher Arbeit, die fonft im Pult verfchloffen
geblieben wäre, den Weg zur Oeffentlichkeit zu bahnen,
manche Feder, die fleh ohne äufseren Anftofs fchwer zu
theologifcher Production entfehlöffe, in Bewegung zu
fetzen. Dem fchwäbifchen Theologen foll es in unfern
Blättern, unter lauter ihm bekannten Namen recht
heimifch zu Muthe fein'. Die Zeitfchrift fucht alfo ihre
Mitarbeiter lediglich unter der evangelifchen Geiftlichkeit
Würtemberg's. Bei diefem local begrenzten Kreife
von Mitarbeitern feheint es uns etwas bedenklich, dafs
ein regelmäfsiges Erfcheinen in vierteljährlichen Heften
in Ausficht genommen wird. Denn bei allem Refpecte
vor dem wiffenfehaftlichen Sinne der fchwäbifchen Theologen
glauben wir doch nicht, dafs bei fo häufigem Erfcheinen
ftets werthvolles Material vorhanden fein wird.
Es ift zu fürchten, dafs auf diefe Weife Manches den
Weg in die Oeffentlichkeit findet, was ohne Schaden
für die Sache im Pulte hätte verfchloffen bleiben können.
Schon bei dem vorliegenden erften Jahrgange möchten
wir dies hinfichtlich einiger Artikel behaupten. Es find
zwar lauter fchätzbare speeimina eruditionis. Aber mufs
denn jedes speeimen eruditionis gedruckt werden? Für
die weitere Fortfetzung des Unternehmens möchten wir
uns daher den unmafsgeblichen Vorfchlag erlauben, auf
ein regelmäfsiges Erfcheinen in vierteljährlichen Heften
zu verzichten, und flatt deffen die Zeitfchrift in zwang-
lofen Heften je nach Mafsgabe des vorhandenen Stoffes
auszugeben. Ein weiterer Wunfeh ginge dahin, in diefen
Studien mit befonderem Nachdruck die lokal-