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Ausgabe:

1881 Nr. 4

Spalte:

82-84

Autor/Hrsg.:

Aurbach, O.

Titel/Untertitel:

Die evangelische Kirche im neuen Deutschen Reiche 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 4

82

dafs noch grofse Arbeit für die dogmatifche Erkenntnifs
übrig und nöthig fei, und dafs es dem Herrn der Kirche
gefallen möge, neue ^ap<f/«««a Tt]g yvioatiog mitzuthcilen.
Was L. von feinen eigenen Vorlcfungen über Dogmatik
im Vergleich mit diefem Bekenntnifs gedacht hat, fleht
mir nicht zu, zu erforfchen oder zu vermuthen. Allein
es ifl mir auch nicht verbändlich, welcher pofitive Zu-
fammenhang ihn mit der zuletzt dargeftellten Gruppe
verbinden konnte, deren einzelne Glieder (mit Ausnahme
von Sendling) immer zu Nichte geurtheilt werden, und
zwar nicht mit Bedauern, fondern meift fchlankweg und
mit fichtlichem Behagen. Angefichts diefer Thatfache
theile ich das Bedauern, welches der Herausgeber im
Vorwort äufsert, nämlich dafs ein Urtheil über Ritfehl
in den Vorlcfungen vergeblich werde gefucht werden, —
gar nicht. Ich nehme an, dafs diefe Aeufserung aus
Theilnahme an meinem Vernich von Theologie gethan
ifl; aber ich kann nicht verftehen, wie man in folcher
Gefinnung wünfehen kann, dafs ich fchon in diefe Dog-
mengefchichte cingefargt, oder in einem Fache der
Vcrdammnifs untergebracht fein möchte, welche über
jeden Truppentheil in diefer theologifchen Parade verhängt
wird. Ich würde auch kein Urtheil von einem
Manne annehmen, der mit feinen eigenen fyftematifchen
Leiflungen ftets hinter dem Berge gehalten hat, und der,
wie die Vorlefungen verrathen, fich immer zwifchen einer
Anzahl von Kanones oder Vorurtheilen herumgedreht
hat, die mir wie Etiketteregeln vorkommen, unter deren
Geltung überhaupt keine felbftändigc Bewegung und
Arbeit möglich ifl. Vielleicht dient es zum Verftändnifs
der Art von Landerer's Theologie, wenn ich zum Schlafs
diefe Normen zufammenftelle. 1. Die durchgängige gereizte
und geringfehätzige Haltung gegen alles, was
lationaliftifch heifst. 2. ,Die alte proteftantifche Orthodoxie
war ein in fich confequentes Syftem, das in feinen
eigenen Prämiffen ficher und feft ruhte' (S. 97). 3. ,Die
Thatfachen des Chriftenthums find die Träger eines göttlichen
neufchaffenden Lebensprincips, und nicht blofs
ethifche Ideen' (S. 153!. 4. An dem ehemaligen Tübinger
Süskind wird vermifst .wirklich fpeculativer Sinn und
Tieflinn, der fich nicht begnügt, von gegebenen Prämiffen
aus durch die logifche Confequenz die Möglichkeit
diefer oder jener einzelnen Pofition ficher zu ftellen,
fondern über die Gegenfätze, wie fie in der Erfahrung
erfcheinen, hinausgreift und eine Einheit und ein
organifches Ganze von einer höchften Idee aus zu gewinnen
ftrebt' (S. 167). 5. Es kommt an auf ,die nüchterne
Fortbildung des Dogma aus feinem Princip, theils dem
biblifchenGrundprincip, theils fpeciell dem proteftantifchen
Grundprincip, durch welche den Forderungen einer fort-
gefchrittenen Wiffenfchaft nicht weniger Gerechtigkeit
widerfahren foll, als dem religiöfen Bedürfnifs , das fich
durch alle Lanzcnftichc der fpeculativen Kritik nicht er-
tödten liefs' (S. 325). 6. wird an die oben ausgehobenen
mit Anerkennung L.'s begleiteten Annahmen Schelling's
zu erinnern fein. Wer felbft nach fo verfchiedenartigen,
und dabei theils falfchen, theils fehiefen Methodcnlehren
fich richtet, dem ift keine gerechte Auffaffung einer theologifchen
Forfchung zuzutrauen, welche fich um folche
fremden Mafsftäbe nicht gekümmert hat. Endlich möchte
ich dem Herausgeber in Beziehung auf den Schlufs der
Vorrede meinen Widerfpruch dagegen nicht verfchwei-
gen, dafs er die vernichtenden Urtheile L.'s über lebende
Theologen mitgetheilt hat. Wenn L., was ich gern
glaube, darin keine perfönliche Ueberhebung geübt hat,
und in diefer Hinficht von feinen Zuhörern richtig verbanden
worden ift, fo ift die Veröffentlichung feiner Urtheile
über theologifche Perfonen durch den Druck, wozu
der Pierausgeber keinen Auftrag des Autors nachweifen
kann, vor einem ganz anderen Eindruck eben
nicht gefchützt. Indiscretion richtet Zorn an.

Göttingen. A. Ritfchl.

Aurbach, Paft. O., Die evangelische Kirche im neuen Deutschen
Reiche. Berlin 1880, Schleiermacher. (VIII, 194 S.
gr. 8.) M. 3. 60.

Ueber Begriff, Wefen und Aufgabe der Kirche fagt
der Verf. vieles Gute und Beherzigenswerthe, wenn auch
die Deductionen, vermitteln welcher er zu feinen Sätzen
gelangt, zu manchen Ausheilungen Anlafs bieten könnten
, worüber hier nicht ins Einzelne eingegangen werden
kann. Die Kirche ib Gemeinde, nicht Anbalt (S. 42),
fie ib die Zufammenfaffung der im Glauben geheiligten
Perfönlichkeiten (S. 124) zum Zweck gemeinfamen Handelns
für das Reich Gottes auf Grund der grofsen Tha-
ten Gottes (S. 103). Ihr conbitutives Moment liegt im
Glauben als religiöfem Lebensprincip, nicht im Dogma
(S. 41. 78. IOO). Der Glaube wird allerdings mit Noth-
wendigkeit zum Dogma, fofern er das Bedürfnifs in fich
hat, fich reflectirend über fich felbb klar zu werden (S.
59), aber dies ib immer nur das Secundäre (S. 63). Die
Kirche mufs eine Mannigfaltigkeit dogmatifcher Denkweifen
in fich ertragen (S. 83), eine folche hebt nicht
nothwendig die Einheit im Glaubensgrunde und in der
daraus entfpringenden Lebensrichtung auf (S. 163. 184):
je mehr das Bekenntnifs theologifch wird, um fo mehr
verringert fich feine normative Geltung (S. 88). Gegenband
des Glaubens ib die lebendige Perfon des Erlöfers
j (S. 78. 100 f.) — oder find es, wie an andern Stellen
; nicht minder angelegentlich betont wird, die .Heilsthat-
: fachen'. Welche das feien, erfährt man nicht eigentlich.
■ Dafs nicht allein der Schrift erzählten Thatfachen Heils-
thatfachen und deshalb nothwendiges übject des Glaubens
feien, fpricht der Verf. bebimmt aus (S. 33), nicht
aber, woran die letzteren als folche zu erkennen feien. Er
bebeht darauf, dafs die unwandelbar febzuhaltendenHeils-
thatfachen im apobolifehen Symbolum niedergelegt feien;
aber der Ueberblick, den er felbb davon giebt (S. 35),
fällt mit dem Apobolicum keineswegs völlig zufammen. Ob
auch die jungfräuliche Geburt, der descensus ad inferos, die
körperliche 1 limniclfahrt, die fichtbare Wiederkunft zum
Gericht, die leibliche Todücnauferbehung dazu gehören,
eventuell worauf die Eigenfchaft diefer Thatfachen als
Heilsthatfachen, die heilwirkende und heilbedingende
Kraft der Anerkennung ihrer Wirklichkeit beruhe, dar-
! über findet man keine Erklärung. Die leichten Aender-
j ungen am Texte des Apobolicums, welche der Verf.
| vorfchlägt (S. 107, z. B. niedergefahren zum Todtenreich
anbatt zur Hölle), werden die gewichtigen Be lenken,
welche fich in diefer Richtung erheben, fchwerlich be-
feitigen. Ebenfowenig ib die Rede von den Dogmen
über die Trinität und die Perfon Chribi. Der Verf. ver-
j fiebert, dafs er die Anerkennung der commwücatio idio-
j matuin nicht fordere, fondein nur die der ,realen gott-
: menfehlichen Natur Chribi' (S. 171); was heifst das? —
' Man fieht wohl, dafs die tiefben Principienfragen doch
unberührt bleiben. Wohl aber wird mit Nachdruck
wiederholt betont, dafs die ungeschmälerte Zubimmung
zum Apobolicum die Bedingung jeder activen Berech-
i tigung in der Kirche fei, jegliche Abweichung eines Grift-
liehen von demfelben deffen fofortige Amtsentlaffung
zur Folge haben müffe. Aufserdem foll für die Geib-
lichen auch die Augsb. Confeffion eine richterliche Autorität
haben (S. i6t5) — in welchem Sinne und Umfang,
ib wieder nicht zu erfehen: anderswo ib zu lefen, dafs
die allgemeine Zubimmung zum Lehrfybem der Augu-
bana keineswegs gefordert werden könne (S. 83). Das
I Ganze kommt nicht über eine gewiffe dunkele Unbe-
ftimmtheit hinaus. Hätte der Verf. mit dem, was er
z. B. S. 50 über das Verhältnifs von Kenntnifs und
Vertrauen im Acte des Glaubens fagt, confequent
Ernft machen wollen, fo würde er zu der klaren
Pofition gekommen fein, dafs es im Grunde nur Eine
.Heilsthatfache' giebt, nämlich die religiöfe Pcrfönlich-
keit Jefu. —