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Ausgabe:

1881

Spalte:

77

Autor/Hrsg.:

Warschauer, Adolf

Titel/Untertitel:

Ueber die Quellen zur Geschichte des Florentiner Concils. Inauguraldissertation 1881

Rezensent:

Lemme, Ludwig

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77

Thcologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 4.

78

Chriften gefälfcht, in den wichtigften Theilen feines
wahren Inhaltes von M. rcproducirt wird (S. 74); Jefus
war ,von der Zahl der Gerechten' (S. 75). An directen
Entlehnungen aus der neuteftamentlichen Schrift ift im
Koran fehr wenig zu finden; am ficherften find Nachahmungen
zu erkennen von Matth. 6, 3 f.; Luk. 12, 24
(Matth. 6, 26) S. 77. M/s fabelhafte Nachtreife ift eine
gemifchte Imitation der Verfuchung, Verklärung und
Himmelfahrt Chrifti (S. 78). Einen Zufammenhang zwi-
fchen feiner Miffion und den heiligen Schriften der Juden
und Chriften begnügte fich M. dadurch herzuftellen, dafs
er Jefu eine auf feine Perfon hinweifende, wahrfchein-
lich aus der Verheifsung des Parakleten gebildete Weif-
fagung in den Mund legte, im übrigen Juden und Chriften
der Verfälfchung ihrer heiligen Schriften auch in diefem
Punkte befchuldigte (S. 81 f.). Anders die fpätere mus-
limifche Theologie, welche in der Bibel zahlreiche Hin-
weifungen auf ihren Propheten entdeckte (S. 82 ff.)

Etliche Verftöfse gegen die franzöfifche Orthographie
verrathen, dafs der Druck in Deutfchland beforgt wurde.

Strafsburg i. E. Wolf Baudiffin.

Warschauer, Adolf, Ueber die Quellen zur Geschichte des

Florentiner Concils. Inauguraldiffertation. Breslau 1881,
Druck von S. Schottländer, (gr. 8.)

Im Anfchlufs an Prommann's kritifche Beiträge zur
Gefchichte der Florentiner Kircheneinigung unterzieht
der Verf. mit Ignorirung der neuerdings veröffentlichten
Documente die drei Hauptqucllen über das Florentiner
Concil einer kritifchen Beleuchtung hinfichtlich ihrer
Glaubwürdigkeit. Das Refultat fcheint mir der Beachtung
werth, umfomehr da Hefele feine Gefchichte diefes
Concils hauptfächlich auf Grund der griechifchen Acten
entworfen hat. Diefe, nicht, wie Frommann meinte,
von Dorotheus von Mitylene, überhaupt wahrfcheinlich
nicht von einem einzelnen Verfaffer herrührend, find
unvollftändig und nachläffig, im unionsfroundlichen
Intercffe des Kaifers parteiifeh bis zur Fälfchung. Die
lateinifchen Acten, beftehend aus Protokollen und aus
hiftorifchen Bemerkungen, welche die Protokolle mit
einander verknüpfen, find gewiffenhaft in den erfteren,
unzuverläffig in den letzteren. Am glaubwürdigften find
die ,Erinnerungen' des Sylvefter Syropulos abgefehen
von falfchen Auffaffungen feines orthodoxen Parteiftand-
punktes und Gedächtnifsirrthümern.

Breslau. L. Lemme.

Landerer, weil. Prof. Dr. Max. Alb., Neueste Dogmengeschichte
(von Scmler bis auf die Gegenwart). Vor-
lefungcn. Hrsg. von Pfr. Lic. Paul Zeller. Heilbronn
1881, Henninger. (X, 385 S. gr. 8.) M. 7. 50.

Diefe Vorlefungen enthalten eine reiche Fülle von
Stoff in lesbarer Form. Bei dem geringen Umfang der
literarifchen Publicationen des verftorbenen Tübinger
Theologen find fie ein erwünfehtes Mittel, um erkennen
zu laffen, wie er die Dogmengefchichte behandelt, ins-
befondere fie als Vorbereitung feiner eigenen fyftema-
tifchen Theologie verwerthet hat. Denn diefer Gcfichts
punkt beherrfcht die Gruppirung des Stoffes ganz unverkennbar
. Das erfte Stadium der Gefchichte der
Theologie feit Scmler umfafst die Erfcheinungen des
Rationalismus und die des fog. Supranaturalismus gefon-
dert nach den Rückfichtcn der negativen und der con-
fervativen Tendenz diefer Richtungen. Das ift fchon
keine hiftorifche, fondern eine dogmatifche Betrachtungsweife
, in welcher fich die Abficht des Autors geltend
macht, feine eigene thcologifche Leiftung an die zweite
Reihe anzuknüpfen, welche in einer ausführlichen Dar-
ftcllung der Beftrebungen der älteren Tübinger Schule

(Storr, Flatt, E. G. Bengel, Steudel) culminirt. Bei diefem
Verfahren kommt in der Mitte jeder diefer Reihen Kant
vor, das einemal mit der Kritik der prakt. Vernunft, das
anderemal mit der Religion innerhalb der Grenzen der
blofsen Vernunft. Wegen der Kritik der prakt. Vernunft
erfährt Kant das Urtheil, dafs er den Deismus und Pela-
gianismus kanonifirt habe (S. 57), als wenn jenes philo-
fophifche Werk einen direct theologifchen Charakter
hätte, und (ich nur graduell von der eudämoniftifchen
Moral der Leute aus Wolfs Schule unterfchiede. Wegen
der Religion innerhalb der bl. V. mufs fich Kant als
confervativen Theologen anfehen laffen, weil er das ra-
dicale Böfe lehrt (das er übrigens nicht, wie es S. 137
heifst, aus einem Act der intelligibeln Freiheit ableitet,
fondern, weil er kein Pelagianer ift, für unerklärlich hält)
und weil er die Ideen der Verhöhnung und Wiedergeburt
allegorifirt, obgleich der Autor nicht verhehlen kann, dafs
der Gefammtcharakter des Buches die Religion degra-
dirt. Zugleich ergiebt fich, dafs vor Kant die aufklärerifchen
und die fupranatural gehaltenen Schriften nur einen graduellen
Abftand gegen einander behaupten, dafs fie
beide den Inhalt des Chriftenthums in lauter relativen
Beziehungen auffaffen, und dafs derfelbe Fall auch unter
der Nachwirkung Kant's ftattfindet, wo man in den
Gegenfätzen von Rationalismus und rationalem Supranaturalismus
fich mit lauter. Vorfragen befchäftigte, ohne
eine Ahnung von den praktifchen Gefichtspunkten, aus
denen der Lehrftoff erft überhaupt verftändlich wird.
Man darf an diefe Vorlefungen den Anfpruch richten,
dafs die Aufklärung des vorigen Jahrhunderts gefchicht-
lich erklärt werde, wenigftens andeutungsweife. So
würde das von dem Autor erörterte Dilemma, ob jene
Geiftesbewegung ein Fortfehritt oder ein Abfall fei, eine
fiebere Entfcheidung gefunden haben. Dafs der Autor
fich über diefe Aufgabe hinweggefetzt hat, und dafs fich
durch die ganzen Vorlefungen eine gereizte Antipathie
und Geringfehätzung gegen das, was Rationalismus heifst,
hindurchzieht, fleht ohne Zweifel in directem Verhältnifs
zu einander. Der Beginn der Darftellung mit Semler
ift demnach wie aus der Piftole gefchoffen, und der Schufs
geht an der Scheibe vorbei. Denn Semler ift für die
dogmatifche Theologie, auf die es doch ankommt, gar
nicht der Hauptmann, fondern nur für die Veränderung
des Urtheils über den Kanon. Deshalb werden die
Seiten über Scmler mit Mittheilungen über feine Kritik
der Bibel, über feine Anficht von Dogmengefchichte und
feine praktifchc Stellung zwifchen Privatreligion und
kirchlichem Lchrbegriff angefüllt. Der Mann eignet fich
gar nicht dazu, eine Epoche der Dogmengefchichte
nach ihm zu bezeichnen. Ich möchte aber ferner behaupten
, dafs alle Gedanken der Theologen der Aufklärungsperiode
, der negativen wie der confervativen,
einer Regiftrirung unter den theologifchen Loci nicht
werth oder nicht fähig find, wenn man nichts über den
Charakter der aufklärerifchen Stimmung, über die durchaus
relative Weltanfchauung jener Epoche und über
deren Herkunft erfährt. Wenn der Autor diefe Aufgabe
ergriffen hätte, fo war er vielleicht auch berechtigt, fich
der Kategorie des ,frivolen Rationalismus oder des Naturalismus
' (S. 38) zu bedienen. Für die Dogmengefchichte
ift das kein Titel, und die Männer, die unter
demfelben behandelt werden, Edelmann, Reimarus, Bahrdt
find nicht nur wiffenfehaftlich ungleich, da Edelmann
ein Ausläufer des myftifchen Pietismus ift, fondern auch
moralifch, da die beiden erften eben nicht frivol find.
Der Titel wird alfo auch nur dadurch wahr gemacht,
dafs der Dogmenhiftoriker die bekannten Skandale von
Bahrdt erzählt. Und wenn der Autor bei diefer Gelegenheit
feinen Widerwillen gegen die eudämoniftifche und
utilitarifchc Moral zum Ausdruck bringt, fo wäre es mehr
feines Amtes gewefen, deren 100jährige Vorbereitung
durch das Naturrecht von Thomafius, durch den Optimismus
von Leibnitz und Wolf und durch einen ana-