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Ausgabe:

1881 Nr. 3

Spalte:

68-69

Autor/Hrsg.:

Seyffarth, L. W.

Titel/Untertitel:

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. 15. Jahrg. 1879 1881

Rezensent:

Strack, Carl

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67

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 3.

6,3

Denn nur für diefen Umfang ift auch das Problem jemals
praktifch geworden. Die Vorträge find auch deshalb
der Beachtung befonders zu empfehlen, weil der Redner
in der theoretifchen Theologie ficher ift, — man beachte
namentlich die Ausführungen über religiöfe Auctorität —
weil fein Blick eine Fülle kirchengefchichtlicher Erfahrung
umfafst, und fein Urtheil von Milde und Geduld
Zeugnifs giebt. Er giebt fich als einen ftrammen
Lutheraner zu erkennen; aber fein Lutherthum ift nicht
die felbftgefällige, particulariftifche, parteiifche Richtung,
welche aus dem Boden des Pietismus aufgewuchert ift,
welche fich darauf befchränken wollte, die alten abgebrauchten
Stichworte zu erneuern, aber zugleich alle
möglichen katholifirenden Neigungen in fich zugelaffen
hat. Sein Gefichtskreis ift univerfell, und fein theologifches
Streben weitherzig.

Göttingen. A. Ritfchl.

Schulze, Pfr. GufL Vorschläge zur Revision resp. Ergänzung
der preussischen Sonn- und Festtags-Liturgie. Ein

Conferenz-Vortrag. Mit einem Anhange. Magdeburg
1881, Heinrichshofen. (IV, 48 S. gr. 8.) M. —. 60.

Dem Verfaffer find neu und fchlecht im Allgemeinen
ebenfofehr gleichbedeutend wie alt und gut. S. Vorwort.
Das hindert ihn aber nicht S. 7 zu bekennen: ,Fällt auch
die Autorität der alten Kirchenordnungen noch fo
fchwer ins Gewicht, fo kann es uns doch nicht beikommen
, einer rein äufserlichen Herübernahme altkirchlicher
Formen, blofs darum, weil fie alt find, das Wort
zu reden'. Sein Vortrag betrifft die brennende Frage
der Revifion der preufsifchen Agende. Bekanntlich ift
letztere eine Haupturkunde der Union. Das hindert den
Verfaffer nicht, S. 21 zu fchreiben: ,Gleichwohl mufs
von der neuen Agende, da fie auch für lutherifche Gemeinden
und vorzugsweife für folche beftimmt fein wird,
erwartet werden, dafs fie die lutherifche Weife des
HErrengebets wieder herftelle'. Sein Ideal ift die alt-
katholifche Meffe. Altar und Kanzel follen nicht immer
fchwarz ausgefchlagen fein, fondern je nach Feftzeit
roth, violett etc., wie es der alte Katholicismus gefchmack-
voll.fand. Eine Hauptfache ift, dafsfdie alten Introiten
wiederhergeftellt werden. S. 13 verlangt der Verf. die
forgfältige Wiederherftellung der ,alten, meift viel kräftigeren
Collekten'. Ich möchte fragen, ob auch forg-
fältig der alte fprachliche Ausdruck wiederhergeftellt
werden foll? ,Das verftummende Hallelujah predigt'
nach S. 17 ,vielleicht eindringlicher vom Kreuze
Chrifti als unfere Worte'. Arme Gemeinde, die Du einen
folchen Prediger zum Pfarrer haft! Nach S. 26 kann
man ,fich des Zweifels nicht erwehren, ob das agen-
darifche Abendmahl [d. h. das nach Anleitung der
Agende gefpendete, auf welche Herr Schulze amtlich
verpflichtet ift und fein Amt als Pfarrer angetreten hat]
wirklich für das von Chrifto eingefetzte Sacrament des
Altars, d. h. für eine Mittheilung SEines Leibes und
Blutes gehalten werden dürfe'. S. 29 wird geklagt: ,So
fehr hat man bei uns das Singen verlernt, dafs man es
überhaupt nicht mehr für möglich hält, fingend zu beten'.
Ich bekenne, dafs ich ein fingendes Beten auch für eine
Unmöglichkeit halte, fobald man entweder mit dem
Singen oder mit dem Beten Ernft macht, und dafs ich
die beiden unentbehrlichen Elemente eines Hauptgottes-
dienftes, Singen und Beten, Beide zu hoch halte, "um fie
in einander zu mengen. Ich denke aber, an diefen
Proben aus dem Vortrag ift es genug. Es ftünden freilich
noch verfchiedene andere intereffante Stellen in dem-
felben angezeichnet.

Strafsburg i. E. Alfred Kraufs.

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. Herausgegeben
von Paft.prim.L. W. Seyffarth. 1879. 15. Jahrg. Breslau
1880, Morgenftern. (XVI, 496 S. gr. 8.) M. 6. —

Diefer neue Jahrgang der früher von uns angezeigten
Chronik hat bei feinem Ausflug in die Welt feine Phy-
fiognomie nicht verändert; der moderne pädagogifche Liberalismus
tritt von Anfang bis Ende unverkennbar hervor
. Dem abgetretenen Minifter Falk wird mit vollen
Händen Weihrauch geftreut, während die Ausfchreitungen
des Socialismus, die ruchlofen Attentate auf den Kaifer,
die zunehmenden Verbrechen mehr auf Rechnung der
Regulative gefchrieben werden. Das Minifterium Falk
habe neue Liebe zur Religion hervorgerufen, welche vorher
mehr in den Hintergrund gedrängt worden fei. Der

| Beweis für diefe Behauptung wird fchwerlich erbracht
werden können. Weit eher können wir beiftimmen, wenn

J die Verdienfte Falk's um Verbefferung der Lehrer-

! befoldungen, um Vermehrung der Schulen u. f. w.
hervorgehoben werden. Dafs die preufsifchen Lehrer dem-
felben zu grofsem Dank verpflichtet find, erkennen wir
an und glauben ihm auch unfere Zuftimmung deswegen
nicht vertagen zu dürfen. Dagegen können wir das Be-
ftreben desfelben, die Simultan- oder paritätifchen Schulen
an die Stelle der Confefflonsfchulen einzuführen, nicht
für glücklich halten, während die Chronik überall diefer
Veränderung das Wort redet, wie auch der Herausgeber
felbft in einer längeren Rede folches gethan hat.
Dafs durch H. von Puttkamer ein Stillftand in diefer
Beziehung eingetreten ift, wird fchmerzlich beklagt. Als
eine erfreuliche Thatfache wird dagegen erwähnt, dafs
faft überall in Deutfchland, ja auch in den meiften euro-
päifchen Ländern dem Volksfchulwefen mehr Aufmerk-
lämkeit gewidmet und dafs ein gröfserer Aufwand für
dasfelbe weniger gefcheut wird. Schweden wird Deutfchland
faft gleich gehellt; aber auch in England, in Frankreich
und felbit in Italien mehren fich die Schulen mit
jedem Tag, wenn auch namentlich im letztgenannten
Land noch viel zu wünfehen übrig bleibt. Ueberaus traurig
fleht es auch in Spanien und kaum viel beffer in
Griechenland aus, obgleich in beiden Staaten die Gefctz-

I gebung bis zu einem gewiffen Grade den obligatorifchcn
Unterricht eingeführt hat. Uebcr den Kampf wegen der
neuen Schulgefetze zwifchen dem Clerus und der liberalen
Regierung Belgiens wird weitläufig berichtet, wobei
man nicht viel zwifchen den Zeilen zu lefen
braucht, um zu erkennen, wie die Chronik ganz und gar
auf Seite der letzteren fleht und wenigstens für die
dafigen Verhältnifse der rcligionslofen Schule das Wort
redet. In Deutfchland und in der Schweiz will fie von
folcher nichts wiffen: fie läfst einen Lehrer fagen, es fei
nicht zu fürchten, dafs bei uns die religionslofe Schule
eingeführt werde, und tadelt es ernftlich, dafs im Canton
Luzern der grofse Rath der Schule den Religionsunterricht
entzogen und fomit der Geiftlichkcit ganz überlaufen
habe.

Einige Thatfachen werden in der Chronik erwähnt,
welche eine erfreuliche Umkehr zum Beffercn andeuten,
vielleicht auch anbahnen. Bisher wollten die Lehrer
meiftens nichts davon wiffen, wenn behauptet wurde, die
moderne Pädagogik lege zuviel Gewicht auf die intellec-
tuelle Bildung im Gegenfatz zur moralifchen. Dagegen
ift in diefem Jahrgang der Chronik, mehrfach auch auf
Lehrerverfammlungen, ausgefprochen worden, die Schule

; müffe fich ihrer Erziehungsaufgabe mehr bewufst werden
und derfelben eifriger Genüge leiften als bisher. Wir
möchten fagen, mit diefer Erkenntnifs fleht in einigem

; Zufammenhang die andere, dafs der Unterricht in der
Volksfchule mehr vereinfacht und praktifcher werden
muffe. Dies haben befonders in der Schweiz mehrfach
Laien und Lehrer ausgefprochen. Namentlich hat man
auch an die Fortbildungsfchule diefe Forderung gefleht
. Wir glauben, dafs man auch in Deutfchland iolche