Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1881 Nr. 3

Spalte:

66-67

Autor/Hrsg.:

Hackenschmidt, K.

Titel/Untertitel:

Die Kirche im Glauben des evangelischen Christen. Zwei Vorträge 1881

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

65

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 3.

66

über ihn, die wie es fcheint zuerft im Journal von und
für Deutfchland', 1785 und 1786, gedruckt erfchienen,
und aufserdem wurden ihm Bruchftücke einer Predigt
und einer Trauungsrcde und namentlich zwei längere
Leichenreden beigelegt, welche theilweife nach älteren
Drucken, von denen aber wohl keiner zu Sackmann's
Lebzeiten erfchienen ift, in dem Journal v. u. f. D. und
im ,Vaterländifchen Archiv' 1819, 1820 und 1824 abgedruckt
find. Diefe Reden wurden dann mit einer kurzen
Lebensfkizze, deren Hauptinhalt jene Anekdoten bilden,
und unter Beigabe einiger anderer ähnlicher Reden, die
aber nicht von ihm herrühren follen, unter dem Titel:
Jobft Sackmann's Predigten' in einem befonderen Buche,
Celle 1827 bei Schulze, herausgegeben und mehrfach
wieder aufgelegt; die 6. Auflage erfchien 1860 (dem
Unterzeichneten liegt die fünfte v. J. 1853 vor) Durch
diefe Ausgabe feiner .Predigten' ift er wohl zuerft auch
in weiteren Kreifen bekannt geworden.

Dem Verfaffer der hier anzuzeigenden Schrift ift es
gelungen, in den Archiven des Confiftoriums und des
Ämtsgerichts zu Hannover, des Klofters Marienwerder
und in Limmer felbft einige Actenftücke zu entdecken,
welche fich auf Sackmann beziehen, und in welchen fich
auch einige Briefe und Eingaben von feiner eignen Hand
befinden. Auf Grund derfelben ift er im Stande, uns
ein Bild Sackmann's zu zeichnen, nach welchem wir den-
felben für einen zwar nicht bedeutenden, aber doch
höchft originellen und energifchen Mann halten müffen,
der in feiner Gemeinde treu und fegensreich gewirkt hat,
aber wohl mitunter durch die Art, wie er fich in feinen
Predigten zu den Leuten herabliefs und auch die Fehler
einzelner Gemeindeglieder auf der Kanzel rügte, Anftofs
gegeben hat. Was fich in den betreffenden Acten von
Sackmann's eigner Hand vorfand, ift dabei unverkürzt
mitgetheilt.

Diefem auf ficherem hiftorifchen Grunde ruhenden
Theil feiner Schrift hat unfer Verfaffer S. 43 ff. die meift
fchon in den früheren Schriften veröffentlichten Anekdoten
und von S. 77 an die erwähnten Leichenpredigten und
die beiden Bruchftücke einer Predigt und einer Traurede
beigefügt; und hier fcheint er uns nicht mit derfelben
Kritik verfahren zu fein. Den Haarkünftler, der fich den
wohl ziemlich bekannten unfeinen Spafs machen
wollte, läfst er zwar nicht mehr mit jener Celler Ausgabe
dem König Friedrich I von Schweden fprechend
ahnlich gefehen haben, — diefer ift auch zu Sackmann's
Lebzeiten freilich noch nicht König von Schweden ge-
wefen, — fondern dem König Friedrich I von Preufsen;
aber es wäre doch wohl zu unterfuchen gewefen, ob
diefer denn am Sonntage Oculi 1706 in Hannover war,
was fich doch leicht möchte feftftellen laffen; war Friedrich
I von Preufsen im Jahre 1706 nur vom 16. bis 20.
Juni in Hannover, wie nach Förfter (Friedrich Wilhelm I,
Band 1, S. 116) nicht unwahrfcheinlich ift, fo ift damit
diefer Gefchichte ihr gefchichtlicher Hintergrund genommen
und fie kann dann auch nicht in der hier erzählten
Weife gefchehen fein. Noch mifslicher aber fteht es,
und das ift die Hauptfache, um den Beweis, dafs die
mitgetheilten Reden wirklich von Sackmann herrühren.
Die hier an erfler Stelle S. 83 ff. abgedruckte Leichenrede
auf den Küfter Michael Wichmann, die zuerft im
J. 1819 gedruckt ift, wird fchon dadurch verdächtig,
dafs fich die Perfon diefes Küfters nicht nachweifen läfst;
unfer Herausgeber fieht fich, um die Rede nur unterzubringen
, zu der Annahme genöthigt, dafs diefer Wichmann
von 1696 bis 1706 emeritirt gewefen fei, vgl. S. 79;
aber diefe Annahme findet in der Rede felbft nicht den
genngften Anhalt. Die andere Leichenrede und die
beiden Redebruchftücke finden fich freilich fchon in
älteren Drucken vor; alle drei (nach einer Angabe in der
Cellcnfer Ausg. S. 52) in einem Drucke, der angeblich
Frankfurt und Leipzig bei J. Dan. Süfsemilch s. a. erfchienen
ift; der Abfchnitt aus der Predigt am 10. Sonnt.

nach Trin. auch in einem Einzeldruck s. a. (vgl. ebenda
S. 66); aufserdem die Leichenrede auf Nottelmann auch
im Rccucil von allerhand collcctancis u. f. f. vom J. 1720
(vgl. unfere Ausg. S. 79). Auch die beiden erften diefer
Drucke find nicht aus Sackmann's Zeit, wie es fcheint;
nur bei dem zweiten wird fein Name genannt; einen
Buchhändler Namens J. Daniel Süfsemilch hat es vielleicht
nicht gegeben, wenigftens findet fich, foviel wir fehen,
in Schwetfchke's codex nundinarius diefer Name nicht
als der eines Verlegers in Frankfurt und Leipzig genannt;
ift diefer Name aber fingirt, fo werden wir auch um fo
weniger daran zu denken haben, dafs diefe Reden wirklich
einmal fo gehalten wären. Auch nachträglich aus
dem Gcdächtnifs von Zuhörern aufgefchriebene Reden
Sackmann's werden wir in ihnen nicht fehen dürfen, ob-
fchon dies die Meinung unferes Herausgebers zu fein
fcheint, vgl. S. 78. Sie haben doch auch weder in ihrer
Form noch in ihrem Inhalt etwas, was an die nun bekannt
gewordenen echten Schriftftücke Sackmann's erinnerte
; einerfeits find fie bedeutender als diefe, fofern
ihnen theilweife Witz und Geift nicht abzufprechen ift,
andererfeits aber mangelt ihnen doch gerade der heilige
Ernft, der die eignen Schriftftücke Sackmann's kennzeichnet
. Ein ficheres Urtheil über fie hängt übrigens
noch von einer genaueren Unterfuchung der genannten
älteften Drucke der drei letzten ab. Vielleicht findet fich
der Verfaffer des vorliegenden Buches, der jedenfalls
fchon bedeutend mehr für die Gefchichte Sackmann's
geleiftet hat, als alle feine Vorgänger, bei einer zweiten
Auflage feines Werkes auch zu einer folchen Unterfuchung
veranlafst.

Hamburg. Carl Bertheau.

H ackenschmidt. Pfr. Lic. K., Die Kirche im Glauben des
evangelischen Christen. Zwei Vorträge. Erlangen 1881,
Deichert. (VI, 100 S. 8.) M. 1. —

Das Thema diefer in Strafsburg i. E. gehaltenen
j Vorträge ift der Satz: ich glaube die Kirche, oder die
Bedeutung der Kirche für unfere Seligkeit. Der Redner
ftellt die pofitive Löfung diefer Frage erft im zweiten
Vortrag dar. Der erfte befchäftigt fich damit, was die
Kirche für uns Evangclifche nicht ift, nämlich mit der
katholifchen Auffaffung der Kirche als Heilsanftalt, als
Lehrauctorität, als Reich Gottes. Die Erörterung diefer
für uns nicht mafsgebenden Prädicate ift fehr correct,
und wird dadurch befonders wichtig, dafs der Redner
jene falfchen Deutungen der Kirche auch in den Formen
beleuchtet, in welchen fie in die evangclifche Lehre und
Praxis importirt worden find. Vom zweiten Vortrag befchäftigt
fich der erfte Theil, wie gefagt, mit der pofi-
tiven evangelifchen Deutung der Kirche als der Gemein-
fchaft, aufser welcher kein Einzelner Subject der ehr ift-
! liehen Religion fein kann. Von da aus wird die Kirche
als Gemeinfchaft des Bekenntnifses und des Wirkens,
insbefondere des Wirkens in den Formen des Rechts
beurtheilt. Diefe beiden Punkte gehören eigentlich nicht
unter den Gefammttitcl, den der Redner gewählt hat;
allein es war unumgänglich, fie folgerungsweife zu behandeln
. Das polemifche Intereffc, welches in dem erften
I Vortrag dominirt, verläfst den Redner auch nicht im
zweiten. Er wendet fich hier, den pofitiven Sätzen ent-
fprechend, gegen den Liberalismus, welcher zwifchen
Princip des Chriftenthums und Perfon Chrifti einen Ab-
ftand behauptet, gegen Unionismus und gegen Separatismus
. Der Redner erweift fich feines Stoffes durchaus
mächtig; nur unter der Beftreitung der Union finde ich,
dafs die Charakteriftik des reformirten Kirchenwefens
nicht deutlich und gerecht ift. Wenn die Frage zweck-
mäfsig geftellt werden foll, fo mufs ermittelt werden,
was von dem urfprünglichen Beftandc des Calvinismus
in den deutfehen Territorien überhaupt noch übrig ift.