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Ausgabe:

1881 Nr. 3

Spalte:

59

Autor/Hrsg.:

Kurtz, Joh. Heinr.

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchengeschichte für Studirende. 8., zum großen Theil neu ausgearbeitete Aufl. 2 Bde. in 4 Theilen 1881

Rezensent:

Harnack, Adolf

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59

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 3.

60

Kurtz, Wirkl. Staatsr. em. Prof. Dr. Joh. Heinr., Lehrbuch
der Kirchengeschichte für Studirende. 8., zum grofsen
Theil neu ausgearbeitete Aufl. 2 Bde. in 4 Theilen.
Leipzig 1881, A. Neumann's Verl. (XI, 291, VIII, 344;
VIII, 319 u. VII, 284 S. gr. 8.) M. 14. —

Diefe 8. Auflage des vielgebrauchten, bald in ca.
20000 Exemplaren verbreiteten Lehrbuches ift wirklich,
wie der Titel befagt, gröfstentheils neu ausgearbeitet.
Zwar der Standpunkt des Verf.'s ift wefentlich derfelbe
geblieben — der erfte Satz des § 1 ,die chriftliche Kirche
ift die durch Jefum Chriftum geftiftete Heilsanftalt'
ftimmt noch immer übel zu dem betreffenden Artikel
der Augsburgifchen Confeffion — aber er ift doch infofern
freier geworden, als der Verf. fich eine Reihe der
neueren kritifchen Unterfuchungen namentlich zur Ge-
fchichte der alten Kirche in ihren Refultaten unbefangen
angeeignet hat und feine Lefer auf wichtige Controverfen
aufmerkfam macht. Mit grofsem Fleifse ift der Verf.
den Fortfehritten der Unterfuchungen in allen Zweigen
der kirchengefchichtlichen Forfchung gefolgt und hat
fich bemüht, ihre Ergebnifse für fein Lehrbuch zu ver-
werthen. Ref. will es fcheinen, als habe er des Guten
dabei etwas zu viel gethan, und als ftünde das Neue
auch fchon im Räume, den es einnimmt, nicht immer im
richtigen Verhältnifse zur Ökonomie des Lehrbuches.
Auch flicht dasfelbe manchesmal von den in den Paragraphen
niedergelegten Gefammturtheilen ab. Dies wird
namentlich bei der Gefchichte der alten Kirche fehr
merklich. Hier wäre eine radicale Umarbeitung nöthig
gewefen; hoffentlich ift dem Verf. vergönnt, für die
9. Auflage eine folche noch zu vollziehen. Die erften
Schritte dazu hat er bereits gethan. — ,In der Darftellung
und Beurtheilung der Zuftände, Ereignifse und Perfön-
lichkeiten, fowie der noch sttb judicc befindlichen Streitfragen
habe ich mich, als dem Zwecke des Buches mehr
entfprechend, einer gröfseren Objectivität und Zurückhaltung
eigenen Urtheils befleifsigt.' In der That ift
Vieles, namentlich im letzten Theile fortgefallen, was
zum gerechten Anftofs gereichen konnte. Der Verf. ift
milder geworden in feinen Urtheilen über Richtungen
und Perfönlichkeiten. Aber in dem Abfchnitte *j 183 ift
doch noch manches ftehen geblieben, was thatfächlich
unrichtig oder fchief ift, und auch die Gruppirung der theo-
logifchen Richtungen ift nicht immer zutreffend. Uebrigens
ift die Darfteilung der K.-Gefchichte des 19. Jahrhunderts
befonders reichhaltig, vor allem in den die katholifche Kirche
betreffenden Partieen ein fehr nützliches Repertorium.

Giefsen. Adolf Harnack.

Wiedemarin, Dr. Thdr., Geschichte der Reformation und
Gegenreformation im Lande unter der Enns. 1. u. 2. Bd.

Prag 1879 u. 80, Tempsky. (X, 674 u. 686 S. gr. 8.)
M. 24. —

Diefes Werk ift nach der Vorrede auf den Umfang
von 5 Bänden berechnet. Der erfte giebt unter den
Titeln: 1) die reformatorifche Bewegung, 2) die Vifi-
tationen [von 1544 bis 1575], 3) das Concil von Trient
in feinen Beziehungen zu dem Lande unter der Enns,
4) der Kelch, 5) die ntue Lehre, 6) die Gegenreformation,
eine bis zum Regierungsantritt Ferdinand's III herabgehende
Gefammtdarftellung. Der zweite Band aber
beginnt die fpecialgefchichtlichen Mittheilungen mit
denen über das Bisthum Wien und feine Pfarreien und
das Bisthum Paffau mit feinen niederöfterreichifchen
Dekanaten vor und am Böhmerwald und am langen
Walde. Für das Material, welches die übrigen niederöfterreichifchen
Dekanate Paffau's fowie das Bisthum
Neuftadt und die betr. Antheile von Salzburg und Raab
betrifft, find noch 2 Bände in Ausficht genommen; der
5. wird dann an den erften anknüpfend die Gefchichte

des Proteftantismus in Oefterreich u. d. E. von 1648 bis
1848 behandeln. Die vorliegenden beiden Bände genügen
nun freilich den Anfprüchen, die man an eine
,Gefchichte' der Reformation und Gegenreformation zu
(teilen berechtigt ift, nur in fehr geringem Grade. Wenn
der Verf. am Schlufs der Vorrede mit den Worten des
Johannes Dantiscus vorbittet: Si quid forte minus solidum
vel forte %iä£eiv Passini conspicies, consule quaeso boni etc.,
fo würde damit nur fehr fchonend auf die Mängel des
Buchs hingewiefen fein. Von wirklicher wiffenfehaftlicher
Verarbeitung und Geftaltung des umfangreichen Stoffes
ift nur wenig zu fpüren; es fehlen fchon die äufser-
lichften Erfordernifse guter Ordnung und Ueberfichtlich-
keit; Zufammengehöriges ift auseinandergeriffen oder
ohne Verknüpfung gelaffen, Wichtiges nur obenhin berührt
; die innere gefchichtliche Entwicklung kommt in
der lockern Stoffanhäufung in keiner Weife zur An-
fchauung; die erforderliche Verknüpfung mit den allgemeinen
kirchlichen und politifchen Bewegungen der Zeit
ift eine völlig ungenügende. Wir haben vielmehr nur
eine Sammlung von Materialien zur betr. Gefchichte vor
uns, welche unter gewiffe keineswegs immer genau den
Inhalt bezeichnende Rubriken gebracht und mit noth-
dürftiger Füllung verfehen find. In diefen Materialien
allein, insbefondere dem bisher ungedruckten Theile
derfelben, liegt der nicht zu unterfchätzende Werth des
Buchs. Der Verf. hat vornehmlich aus dem fürfterz-
bifchöflichen Confiftorial-Archiv Wien, fodann auch aus
dem fchon viel benutzten Klofterraths-Archiv, dem A.
des niederöfterr. Regiments, dem N. Ö. Lehensarchiv und
den Paffauer Acten der k. k. Statthalterei von N. Ö.
gefchöpft, und des Neuen, das uns hier geboten wird,
ift in der That gar nicht wenig. Wir verweifen, was
den I. Band betrifft, auf einige Stücke zur Rcgensburger
Reformation von 1524 gehörig (S. 32. 41), auf ein reiches
Material zu den auf Ferdinand's Betrieb unternommenen
Vifitationen von 1528 (53 ff. 58. 62), von 1544 (90 ff. 93).
Von hervorragendem Werth für die Beleuchtung des
beftändigen Antagonismus der weltlichen und geiftlichen
Intereffen ift die Inftruction Ferdinand's vom 24. Aug.
1549 für die durch das Salzburger Provinzialconcil vom
Febr. 1549 veranlafsten Verhandlungen mit den Bifchöfen
(106 ff.), desgleichen die Mittheilungen über die Verhandlungen
zu Mühldorf 1553 und über die Vifitation von
1555 (132 ff.), über die Kloftervifitationen von 1562 und
1566(151 ff. Inftruction Ferdinands 161 ff.; Commiffions-
Bericht 182; Generalordnung 187), über den Klofterrath
(195 ff.). F"erner Einiges zum Trident. Concil und zu den
Bemühungen um Promulgation feiner Befchlüffe in Oefterreich
, zur Gefchichte der Zugeftändnifse an die Proteftanten
und der Gegenbemühungen, z. B. ein Gutachten Klefel's
vom 20. März 1596 (499) und der Wortlaut der Vor-
ftellungen des Erzherzog Leopold, Bifchof von Paffau
v. 1609 (529 ff. vgl. Hanfitz, Germ. Sacr. I, 685 ff.), endlich
auch einiges Neue zur Gefchichte der Contrareformation
. Wir verzichten darauf, aus dem 2. Band, der in
der That eine grofse Fülle neuer Notizen, wichtiger und
unwichtiger, bietet, Einzelnes weiter namhaft zu machen
und befchränken uns darauf, auf die fehr umfallenden
Mittheilungen über den fogen. Paffauer Vergleich
(394 ff.) hinzuweifen, Verhandlungen, welche zeigen, wie
der aus völliger Ohnmacht und kirchlicher Zerrüttung
fich wieder aufraffende Epifkopat feine grofsentheils an
die weltliche Gewalt verloren gegangene geiftliche Jurisdiction
wieder zu erlangen fich bemüht. — Leider ift
nur dies recht reiche Material in fehr wenig zufrieden-
ftellender und zuverläffiger Weife mitgetheilt. Wir wollen
uns nicht dabei aufhalten, dafs der Verf. die Angabe
,Confiftorial-Acten', ,Klofterraths-Acten' u. dgl. für genügend
hält, auch wohl einmal jede Angabe feiner
Quelle fehlen läfst (I, 484 ff.). Aber indem der Verf. den
Inhalt feiner Actenftücke in den Text verwebt, dabei
die alte Schreibart bald mehr bald weniger fallen läfst,