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Ausgabe:

1881 Nr. 26

Spalte:

620-623

Autor/Hrsg.:

Bühler, Chrn.

Titel/Untertitel:

Der Altkatholicismus, historisch-kritisch dargestellt 1881

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 26.

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vulgär-evangelifche Anfchauung, welche nur die Schatten I
und Schäden des mittelalterlichen Kirchenthums kennt,
wie im Gegenfatze gegen das trügerifche Lichtbild, welches
Janffen neuerdings gezeichnet hat, treffend charak- j
terifirt. — Im Einzelnen fei noch Folgendes bemerkt.
Ueber Friedrich's Charakter, feine confervative, allen
Neuerungen abholde Sinnesart ift Melanchthon's Schil- 1
derung Corp. Ref. XVI 420 zu vergleichen. Dafs Friedrich
's Intereffe für Luther zunächft gar nicht dem Re- |
formator, fondern dem beliebten Docenten galt, erhellt
u. A. auch aus ScheurLs Briefbuch II 72 (vgl. dafelbft |
die ,frequentia scholasticorum'). Wie verhielt fich wohl I
Friedrich's Beichtvater, der Franziskaner Jacob Vogt, |
zur Reformation? Ich erinnere daran, dafs Carlftadt es
wagen konnte, feine 1520 gegen Eck gerichtete Streit-
fchrift , Vcrba Dei qvanto candorc et quam syncere praedi-
cari . . debeant1 diefem Manne zu widmen. Auf S. 75
hat K. die Brüderfchaft u. 1. Frauen ,zu der Dame' mit
einem r verfehen; gemeint ift das Städtchen Dahme bei
Jüterbogk; über die dortige Marienkirche und eine bei 1
derfelben befindliche, 1512 confirmirte Annenbrüderfchaft
vgl. v. Mülverftedt in Magdeb. Gefchichtbl. II '1867) S.
299 flg. 305. Das Citat S. 24 ,Schade, Satiren II, 9' ift
in II 109 zu verbeffern.1)

Klemzig. Kawcrau.

Strickler, Staatsarchivar Dr. Joh., Actensammlung zur
schweizerischen Reformationsgeschichte in den Jahren
1521 —1532, im Anfchlufs an die gleichzeitigen eid-
genöffifchen Abfchiede bearb. u. hrsg. 4. Bd. (1531,
üct. 11 —1532, Dez.k Zürich 1881, Meyer & Zeller
in Comm. (736 S. gr. 8.) M. 20. —

Mit diefem Bande ift das umfangreiche Sammelwerk
zum Abfchlufs gebracht, in welchem das in den Archiven
zerftreute Actenmaterial zur fchweizerifchen Re-
formationsgcfchichte in chronologifcher Ordnung zufam-
mengeftellt und für die allgemeinere Verwerthung zugänglich
gemacht werden follte. Ueber die Anlage und
die Bedeutung des dankenswerthen Unternehmens ift
fchon bei den früheren Bänden, welchen diefer vierte in
jeder Hinficht gleichförmig fich anfchliefst, gefprochen
worden; ich füge in Bezug auf den Inhalt des letzten
nur noch hinzu, dafs derfelbe hauptfächlich für die Fnt-
ftehungsgefchichte des zweiten Kappeler Friedens und
für die Kenntnifs der durch ihn gelchaffenen Zuflände
von Intereffe ift, aber allerdings in einer Weife, welche
nur in feltenen Fällen dem evangelifchen Lager zur
Ehre gereichen dürfte. Es ift ein trauriges Bild zunehmender
Fntmuthigung und Verwirrung, welches diefe
Documente für die letzten Monate des Jahres 1531 entrollen
: die mafsgebenden Stände, Zürich und Bern,
durch die Unbotmäfsigkeit ihres Kriegsvolks und durch
gegenfeitige Eiferfucht daran gehindert, ihre auch nach
der Niederlage vom 11. Oct. noch immer bei Weitem
überlegene Trupperizahl zur Action zu bringen ; die verbündeten
Cantone, die von Anfang an nur widerwillig
fich in den Krieg hatten hineinziehen laffen, durch diefe
Haltung verftimmt und des Feldlagers überdrüffig; jeder
auf einen möglichft rafchen Abfchlufs des Friedens hindrängend
und dann doch wieder,- nachdem derfelbe zum
Nachtheil der eigenen Sache erfolgt ift, die Schuld dafür
je aen andern zufchiebend. Man fleht, es bedarf durchaus
nicht der fo oft zu Hilfe gezogenen Annahme eines
Verrathes (vgl. fchon N. 1312), um den Gang fowohl

I) Bei diefer Gelegeheit fei mir geftattet, zwei irrige Angaben zu berichtigen
, die fich in meiner Anzeige von Roth, ,Augsburgs Ref.-Gefch.'
in diefer Zeitung 1881 Nr. 11 Sp 264 befinden. Durch ein Verfehen
habe ich dafelbft die Baumann'fche Schrift ,Queilen zur Gefchichte des
Bauernkrieges' als vom Verf. unbeachtet geladen bezeichnet, und irrthüm-
lich als Druckfehler die Form Altomünfter aufgeführt, welches vielmehr
der richtige Name jenes Benedictinerklofters ift (Monast. S. Altonis).

der Kriegsoperationen als auch der Friedensverhandlungen
begreiflich zu finden; es wird vielmehr beftätigt,
was der St. Galler Vadian in feinem gleichfalls erft kürzlich
veröffentlichten Tagebuch aus jener Zeit, deffen gelegentliche
Erwähnung als einer nicht minder werthvollen
Quelle für die Gefchichte derfelben hier wohl am
Platze fein wird (Vadian's deutfche hiftorifche Schriften,
herausgegeben von Götzinger. Dritter Band, 1879L als
Grund namhaft macht: ,niemand gloubt, was zwitracht
zwüfchet Zürich und Bern was, Gott erbarms: jedweder
teil forcht der ander wurd im ze mächtig, welichs hochmutz
die überigen ort zu fchand und fchaden kommend'
(S. 307, 27 f.).

Bafel. Rudolf Staehelin.

Bühler, Ffr. Chrn., Der Altkatholicismus, hiftorifch-kritifch
dargeftellt. Eine von der Haager Gefellfchaft zur
Vertheidigung der chriftlichen Religion gekrönte
Preisfchrift. Leiden 1880, Brill. (XI, 367 S. gr. 8.)
M. 6. 50.

Diefer Preisfchrift war die Fintheilung durch die Stellung
der Frage vorgezeichnet. Dcmgemäfs befchäftigt fich
der erfte Haupttheil mit dem Urfprung, der Fntwickelung
und dem Charakter der gegenwärtigen altkatholifchen Bewegung
^. 1 —144), Hellt der zweite eine Vergleichung derfelben
mit verwandten Erfcheinungen in der früheren Gefchichte
der chriftlichen Kirche an (S. 145 — 250), und
erwägt der dritte die Berechtigung jener und ihre Ausfichten
für die Zukunft (S. 251 — 318). Die Einleitung in
den erlten Haupttheil, die das vatikanifche Concil behandelt
, fowie das erfte, die Fntwickelung des A. 1) in
Deutfchland, 2) in der Schweiz und 3) in Holland, Oefter-
reich, Frankreich und Italien darfteilende Capitel geben
einen klaren, die Hauptmomente — trotz einer ausgesprochenen
Vorliebe, ja Bewunderung für den A. — im Ganzen
richtig zeichnenden hiftorifchen Ueberblick, der jedoch
eine gleichmäfsige Behandlung vielfach vermiffen
läfst. So ift der altkatholifchen Kirche der Schweiz, der
Heimath des Verfaffers, eine verhältnifsmäfsig eingehendere
— und auch auf genauerer Kenntnifs beruhende —
Würdigung zu Theil geworden, als der Deutfchlands.
Was B. hier über das Verhalten des Staates zum Altkatholicismus
(S. 52 — 57) giebt, ift doch allzu oberflächlich
, und die (S. 57—61) verfuchte Charakterifirung der
Begründer, E'ührer oder E'örderer der altkatholifchen Bewegung
in Deutfchland finkt mit wenigen Ausnahmen
zu einer mit etlichen epitheta oniantia verfehenen No-
menclatur herab. Noch weniger befriedigt die kaum
eine Seite (102—103) umfaffende Darfteilung des A. in
Oefterreich.

Wenn der Verf. den A. als eine, aus wiffenfchaftlichen,
patriotifchen und humanen, vor allem aber religiöfen Beweggründen
cntfprungene cvangelifch-proteftantilche Bewegung
auf dem Boden der katholifchen Kirche' bezeichnet
(S. 110), fo kann fich Ref. diefe Definition wohl
aneignen aber nur mit folgender Umftellung: ,der A. ift
eine aus religiöfen, patriotifchen und humanen, vor allem
aber aus wiffenfchaftlichen Beweggründen ent-
fprungene evangelifch-proteftantifche Reformbewegung'.
Eine proteftantifche Bewegung nennt B. den A. nicht
nur, weil er Proteft erhob gegen die vatikanifchen De-
crete, fondern auch mit Beziehung darauf, dafs die fpä-
teren Führer des A. fchon während des Concils für die
Berechtigung der Lehrauffaffung einer Concilsminorität
gegenüber der der Majorität eintraten, mithin im Sinne
der Reformation die Majorifirung in Glaubensfachen verwarfen
. Dafs man in einem noch entfehiedeneren Sinne
in dem A. das Walten des die proteftantifche Kirch-
beherrfchenden Geiftes erblicken kann, wird fich fpäter
zeigen. Mit Recht macht der Verfaffer auf den Unter-
fchied in der Reformbewegung zwifchen der altkatho-