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Ausgabe:

1881 Nr. 26

Spalte:

617-619

Autor/Hrsg.:

Kolde, Theodor

Titel/Untertitel:

Friedrich der Weise und die Anfänge der Reformation. Eine kirchenhistorische Skizze mit archivalischen Beilagen 1881

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 26.

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nützlich, weil durch fie zugleich ab und an einzelne
altere, jetzt nicht gleich verftändliche Worte, die hernach
mit andern vertaufcht wurden, für den heutigen
Lefer erklärt werden, üafs der Herausgeber gerade die
Ausgabe von 1487 verglichen hat, wird nur darin begründet
fein, dafs ihm eben diefe zu Gebote ftand; ein
gröfseres hiftorifches Intereffe würde es haben, wenn ftatt
ihrer die Abweichungen der alterten gedruckten Ausgabe
(vgl. oben) angemerkt wären; die Anzahl der zu
notirenden Abweichungen wäre dann auch bedeutend
kleiner geworden.

Für die Gefchichte der deutfehen Bibelüberfetzungen
des MA. hat auch diefe Ueberfetzung als ein Glied in
der langen Kette Bedeutung, wenn fie auch wohl eben
nur ein Glied in diefer Kette ift. Bei der grofsen Seltenheit
aller diefer, auch der gedruckten Ueberfetzungen
ift diefe neue Ausgabe auch deshalb dankenswerth, weil
wir aus ihr instar otnniutn fehr wohl Charakter und Art
diefer Ueberfetzungen kennen lernen können; das Ge-
meinfame in ihnen überwiegt in diefer Hinficht die Ver-
fchiedenheiten bei weitem.

Hamburg. Carl Bertheau.

Kolde, Prof. Dr. Thdr., Friedrich der Weise und die Anfänge
der Reformation. Eine kirchenhiftorifche Skizze
mit archivalifchen Beilagen. Erlangen 1881, Deichert

(III, 75 s- §r- s0 iVL 50- ! Kolde erkennt ja doch felber an, dafs jener ,eine hell-

,nur blinder Unverftand oder Unwiffenheit könne ihn
einen Anhänger und Beförderer der Reformation nennen
'. Allein wenn diefer dann feine eigene Auffaffung
der Stellung Friedrich's damit bezeichnete, dafs er fagte,
derfelbe habe nur Anfpruch auf den Namen eines gerechten
Fürften, der dem verfolgten Reformator
kein Unrecht habe wollen anthun laffen, fo hat er damit
denn doch das complicirte Verhalten desfelben auf
einen zu einfachen und keineswegs ausreichenden Kanon
zurückgeführt. — Jedenfalls war es eine anziehende Aufgabe
, die fich Th. Kolde für feine Erlanger Antrittsvor-
lefung gewählt hatte, das Verhalten Friedrich's zu Lu-
ther's Werk und Perfon auf's Neue zu unterfuchen und
ein einheitliches Charakterbild des edlen Fürften zu
zeichnen. Er ift dabei zu dem Rcfultate gelangt, dafs
das Verhalten desfelben gegen Luther beftimmt gewefen
fei zuvörderft durch fein Intereffe an dem Auffchwunge
feiner Univerfität Wittenberg, daneben durch fein Gerechtigkeitsgefühl
, das Luther nicht unüberführt feinen
Feinden in die Hände liefern wollte, endlich auch durch
die Ueberlegung, dafs es unpolitifch fei, Luther's Sache
wo anders als in deutfehen Landen vornehmen zu laffen.
Damit hat er neuerlich für das anfängliche Verhalten des
Kurfürften in Luther's Conflict mit Rom uns ein genügendes
Verftändnifs crfchloffen. Zweifelhaft will es mir
jedoch feheinen, wenn er urtheilt, Friedrich fei Luther
gegenüber niemals über diefe Stellung hinausgefchritten.

Die Frage nach dem Antheil, der dem Kurfürften
Friedrich dem Weifen an dem Fortfehreiten der Wittenberger
Reformation beizumeffen fei, und im Zufammen-
hange damit die Frage, welche innerliche perfönliche
Stellung er zu dem Werke Luther's gehabt habe, ift oft
erörtert, aber in fehr verfchiedener Weife beantwortet
worden. Der Thatfache, dafs er über Luther's Leben
fchützend feine Hand gehalten, indem er nicht nur feine
Citation nach Rom verhindert, fondern auch dem Geächteten
ein .Patrnos' bereitet hat, fteht die andere gegenüber
, dafs feine Frömmigkeit durchaus die Formen
mittelalterlicher Devotion an fich getragen, fo dafs er
z. B. nachweisbar noch im J. 1522 eifrig für die Mehrung
feiner in Wittenberg zufammengetragenen Reliquien
beforgt gewefen ift. Und wenn er auch dicht vor feinem
Ende noch nach evangelifchem Ritus communicirt hat,
fo fehlt es doch gänzlich an vorangehenden oder gleichzeitigen
Zeugnifsen feinerfeits, die uns darüber zu belehren
vermöchten, dafs er wirklich die evangelifchen
Anfchauungen vom Heilsweg klar und bewufstermafsen
fich angeeignet hätte. So kann denn wohl das Urtheil
über feine Stellung zu den Fragen, die feine letzten Lebensjahre
fo bewegt gemacht haben, erheblich fchwanken
. Es hat nicht an Zeitgenoffen gefehlt, die fchon bei
den erften öffentlichen Schritten Luther's den thörichten
Verdacht geäufsert haben, dafs diefer nur Jussu vel fa-
vore Priucipis' gegen den Ablafshandel feine Stimme erhoben
hätte; Friedrich habe ihn vorgefchoben, um fich
auf diefe Weife an Erzbifchof Albrecht reiben zu können
(vgl. de Wette I 76. 92). An diefen Pragmatismus

dunkle Ahnung davon gehabt, dafs vieles, fehr vieles in
Luther's Schriften chriftlich fei'; und dafs ,die gewaltige
Perfönlichkeit Luther's, die fo Grofses gewagt, ihm im-
ponirt habe'. Eben diefer Eindruck, fo wenig er auch
jemals aus Friedrich einen Lutheraner gemacht hat, hat
doch wohl unbewufster Weife fehr wefentlichen Einflufs
auf fein Verhalten gehabt. Wenn Friedrich nicht nur
Luther befchützt, fondern auch feit 1522 feinem refor-
matorifchen Vorgehen Schritt für Schritt — oft recht
gegen feine eigene Neigung — Raum zur Entfaltung gewährt
hat, fo hat man darin meines Erachtens doch auch
den Tribut zu erblicken, den auch er der geiftigen Ueber-
macht Luther's, die deffen gefammte Umgebung willig
oder widerwillig gefühlt und anerkannt hat, feinerfeits
hat zollen müffen. Es ift wohl zu viel behauptet, wenn
Kolde S. 29 fagt, dafs Friedrich, ,hoch über feine Zeit
hervorragend, anerkannt habe, dafs Religion nichts fei,
was fich gebieten laffe , was zu beftimmen Sache der
Obrigkeit fei, fondern dafs fie lediglich Privat- und Gewiffensfache
fei'. Zwar macht er tür diefen ,Grundfatz'
des Kurfürften die Thatfache geltend, dafs diefer auch
den Zwickaucr Propheten diefelbe Duldung gewährt habe
wie Luther. Allein ich möchte gerade hier an das Dictum
Melanchthon's erinnern: ,Dux Fridcriats vehementer
iratus erat Ciconiae: ac nisi a nobis tecius esset,
Fasset de komme furioso et perdite malo sumtum supplicium1
. Corp. Ref. II 17. Ich glaube vielmehr, dafs Friedrich
weit weniger nach bewufstem Grundfatz fein Verhalten
bemeffen, als dafs er von Schritt zu Schritt gedrängt
, in feinen früheren Ueberzeugungen unficher

der Reformationsanfänge glaubt nun zwaq niemand j geworden, vor dem neuen religiöfen Geifte, der in Lu
mehr; wohl aber darf es als vulgäre Anficht auf evan- , ther ihm entgegentrat, zurückgewichen ift.' Ref. wollte
gelifcher Seite gelten, dafs Friedrich ein warmer Anhän- j diefen dissensus nicht verfchweigen, um im Uebrigen um
<rer Luther's gewefen fei und wefentlich aus innerer Zu- fo rückhaltlofer feine F.reude an diefer neuen Frucht der

ftimmung zu Luther's Lehre der Reformation feinen
fchützenden Arm geboten habe. Katholifcherfeits hat
man auch gern darein gewilligt, Friedrich zum defensor
fidei lutheranae zu erheben; denn je mehr man ihn fich
für Luther engagiren liefs, um fo leichter konnte man

Kolde'fchen Studien zur Luthergefchichte bezeugen zu
können. Den Werth vorliegender Schrift erhöht nicht
nur eine fehr dankenswerthe Beilage von 24 bisher ungedruckten
Urkunden (zumeift aus dem Briefwechfel
Friedrich's), fondern auch eine Einleitung, welche bei

Luther's glaubensfreudigen Muth im Kampfe zu wohl- aller Kürze doch eine treffliche Charakteriftik der reli

feiler Phrafe herabdrücken, und um fo fchwungvoller giöfen Zuftände Deutfchlands bei Beginn des 16. Jahr

den Kurfürften des Treubruchs gegen Kaifer und Reich hunderts darbietet. Die eigenthümliche Anfpannung und

bezichtigen. Gegen jene vulgäre Auffaffung ift nun freilich Aufregung des religiöfen Bedürfnifses in jenen Tagen,

fchon längft begründeter Widerfpruch erhoben worden. Es fowie der Einflufs, den fpeciell die Bettelorden darauf

fei nur an Muther erinnert, deffen Urtheil dahin lautete ausgeübt haben, ift fowohl im Gegenfatze gegen die