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Ausgabe:

1881

Spalte:

615-617

Autor/Hrsg.:

Der Codex Teplensis, enthaltend ‚Die Schrift des newen Gezeuges‘. Aelteste deutsche Handschrift

Titel/Untertitel:

welche den im 15. Jahrhundert gedruckten deutschen Bibeln zu Grunde gelegen. 1. Thl. Die vier heiligen Evangelien 1881

Rezensent:

Bertheau, Carl

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Theoiogifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 26.

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werthe Analyfe der die Chriften beftreitenden und ver-
theidigenden Schriften ift intereffant, doch füllten z. B.
bei Juftin die leitenden Grundgedanken präcifer hervorgehoben
werden (vgl. v. Engelhardt, d. Chrift. Juftins).
Es kann nicht die Aufgabe diefer Anzeige fein, im Einzelnen
namhaft zu machen, worin Ref. vom Verf. differirt.
So namentlich auch nicht hinfichtlich der chronologischen
Befhmmungen, welche dazu noch Keim meift felbft fpäter
modificirt oder näher begründet hat. Nur in Betreff der
Apologie Tatians möchte ich auf Zahn (Forfch. I, 274 ff.)
verweifen, wonach diefelbe fchon etwa 150 gefchrieben
ift (fo auch Harnack, Ztfchr. f. K. G. IV, 494). Die feit
der Niederfchrift des Keim'fchen Werkes erfchienene
Literatur hat Ziegler zu ergänzen gefucht. Doch wäre
noch Manches nachzutragen. Zu Lucian z. B. wäre auf
Zahn, Ignat. v. Ant. S. 517—28 aufmerkfam zu machen
gewefen. Dasfelbe Werk S. 586 vermifst man zum Brief
des Plinius, indem dort nachgewiefen ift, wie diefer gar
nicht von einer Vereinigung des Abendgottesdienftes
mit dem Frühgottesdienfte redet. Jene Statthalterfchaft
des Plinius in Bithynien ift nach Mommfen (Hermes III, 5 5 ff.)
nicht um 105 (fo Keim S. 512) fondern um 111—113
anzufetzen. Von andern übergangenen Schriften nenne
ich nur das Gebet der römifchen Gemeinde 1 Clem. 61
zu S. 346 und das Fragment des Ariftides zu S. 423.
Keim hatte nur gelegentlich die neuere Literatur be-
rückfichtigt. Wünfchenswerth wäre gewefen, wenn der
Herausgeber die häufigen Wiederholungen der überhaupt
breiten Darftellung befeitigt und Widerfprüche (wie in
Bezug auf den I. Petrusbrief S. 181 und S. 194 A.) ausgeglichen
hätte. Die zu S. 167 citirte Stelle Tert. apol. 21
beftätigt nicht das im Text Ausgefagte, und ep. Plin.
zu S. 381 und Tert. pud. 22 zu S. 504 befagen das
directe Gegentheil. — Noch eine Bemerkung. S. 638
ift Keim entrüftet, dafs der römifche Bifchof der Marcia
fchmeichelte, indem er durch den guten Zweck das
Mittel heiligte. Wo berichten die Quellen etwas von
folcher Schmeichelei? Es gab eine Zeit, da fah man nur
Licht bei den Vertretern der alten Kirche. Schweben
wir nicht in Gefahr, in das entgegengefetzte Extrem zu
gerathen?

Dorpat. Bonwetfch.

Der Codex Teplensis, enthaltend .Die Schrift des newen Ge-
zeuges'. Aeltefte deutfehe Handfchrift, welche den im
XV. Jahrhundert gedruckten deutfehen Bibeln zu
Grund gelegen. 1. Thl. Die vier heiligen Evangelien
. München 1881, Literarifches Inftitut von Dr. M.
Huttier. (IV, 157 S. 4.) M. 6. —

Mit dem vorliegenden Theile beginnt die Verlagshandlung
die Veröffentlichung einer Handfchrift des Prä-
monftratenferftiftes zu Tepl, welche angeblich aus der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts flammt und eine
Ueberfetzung des ganzen N. T. in oberdeutfeher Sprache
enthält. In zwei weiteren Lieferungen foll die Ausgabe
vollendet und der letzten foll eine ausführliche Einleitung
beigegeben werden. Der Abdruck gefchieht, wie in dem
.vorläufigen Vorwort' mitgetheilt wird, nach einer Ab-
fchrift, welche der Bibliothekar des genannten Stiftes,
P. Philipp Klimefch, mit diplomatifcher Treue von dem
Codex genommen hat. Der Codex felbft, eine Perga-
menthandfehrift, befteht aus 629 Seiten, deren befchrie-
bener Raum 54 mm breit und 83 mm hoch ift, d. h.
alfo etwa fo breit wie der Druck in der bekannten
Mendelsfohn'fchen editio academica des N. T. gr. und
ungefähr zweidrittel fo hoch wie diefer Druck. Auf jeder
Seite flehen 31 Zeilen, fo dafs die Schrift alfo fehr klein
ift; doch ift fie nach dem in dem vorläufigen Vorwort'
abgedruckten Facfimile einer Seite (Mt. 6, 7 bis 23, den
erften und letzten Vers nur theilweife, enthaltend) fehr
deutlich und nur mit wenigen allbekannten Abkürzungen.

Der vorliegende Abdruck ift fehr fauber und beinahe,
infofern fich nämlich daraus der hohe Preis erklärt, zu
elegant; er ift in deutlicher, fchwabacher Schrift, in ganzen
Zeilen; die Seitenüberfchriften, die Versangaben am
Rande, die der Handfchrift natürlich fehlen, die erften
Buchftaben jedes Verfes im Texte und ähnliche Zuthaten
find roth gedruckt. Druckfehler Rheinen, foweit fich das
bei der fchwankenden Orthographie, die beibehalten ift,
beurtheilen läfst, kaum vorhanden zu fein; nur ab und
an findet fich ein u mit einem n vertaufcht. Jedenfalls
ift auf genaue Wiedergabe der Handfchrift grofser Fleifs
verwandt.

Der Werth diefer Ueberfetzung wird fich erft völlig
beftimmen laffen, wenn die Ausgabe vollendet ift und
namentlich die Einleitung vorliegt. Der Herausgeber
fcheint von diefem Werthe eine übertriebene Vorftellung
zu haben, wenn er die Handfchrift auf dem Titelblatt
als ,ältefte deutfehe Handfchrift, welche den im 15. Jahrhundert
gedruckten Bibeln zu Grunde gelegen', bezeichnet
; eine Bezeichnung, deren Sinn nicht einmal völlig
deutlich ift. Dafs es, auch wenn der Codex Teplensis aus
der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts flammt, woran wir
zunächft nicht zweifeln wollen, ältere Ueberfetzungen
des N. T.'s und namentlich Theile von folchen in nicht
geringer Anzahl giebt, hat der Herausgeber überfehen.
Vergleichen wir die Ueberfetzung des Codex Teplensis mit
den Proben vorlutherifcher Bibelüberfetzungen, welche
Kehrein in feinem bekannten Werke ,Zur Gefchichte der
deutfehen Bibelüberfetzung vor Luther' (Stuttgart 1851)
mitgetheilt hat, fo mag die angegebene Zeitbeftimmung
wohl zutreffend fein; namentlich finden fich dann auch
in den wenigen Proben der im J. 1404 gefchriebenen
oberdeutfehen Ueberfetzung der Evangelien und der Apo-
ftelgefchichte, welche Goeze befafs (vgl. Goeze, Verfuch
einer Hiftorie der gedruckten niederdeutfehen Bibeln,
Halle 1775, S. 6 ff.), neben überrafchenden Aehnlich-
keiten mit dem teplenfer Texte auch fchon folche Abweichungen
, welche hernach in den erften gedruckten
Bibeln fich wiederfinden. Wie der Text in den bekannten
14 Ausgaben der Bibel vor Luther (vgl. Herzog
und Plitt, Realencyklopädie, 2. Aufl., Bd. 3, S. 546)
im ganzen ein und derfelbe ift, der in den einzelnen
Ausgaben überarbeitet und dialektifch verändert wurde,
fo bietet auch der Codex Teplensis im wefentlichen
denfelben Text, und zwar in einer ältern Geftalt als
z. B. die des erften Druckes von 1462 (?) ift; genaueres läfst
fich aber über diefes Verhältnifs nicht fagen, bis nicht
viel eingehendere Unterfuchungcn vorliegen. Dafs die
Ueberfetzung nach der Vulgata gearbeitet ift, zeigen
auch in ihr die bekannten Mifsverftändnifse, wenn es
noch eines Beweifes bedürfte; quid tibi (vobis) videtur
wird ,was ift dir (euch) gefehen?' überfetzt Mt. 17, 24;
18, 12. Statt Spiritus blasphemia las der Ueberfetzer Mt.
12, 31 in feinem Exemplar der Vulg. Spiritus blasphemiae
wie die Ausgabe von 1590 und überfetzt: ,wan der Geift
des fpotes wirt nit vergeben' u. dgl. m. Andererfeits
fehlt es auch nicht an Abweichungen von der Vulgata,
wie folche bei aller Verbreitung derfelben auch fonft fich
in der Kirche erhalten hatten, z. B. in der vierten Bitte.

Der Herausgeber hat dem Abdruck des Textes die
abweichenden Lesarten einer der genannten gedruckten
Bibeln hinzugefügt; nach der Vorrede diejenigen der
in Augsburg 1477 gedruckten, nach einer Anmerkung auf
S. 1 die der Ausgabe Augsburg 1487. Abgefehen davon,
dafs die Angabe Augsburg 1477 jedenfalls ungenau wäre,
da fie auf zwei verfchiedene Ausgaben paffen würde, fo
fcheint uns nach einem Vergleich mit den verfchiedenen
Ueberfetzungen des von Kehrein (im angeführten Buche)
aus allen diefen Ausgaben abgedruckten fünften Capitel
des Matthäus die Augsburg 1487 erfchienene Bibelüberfetzung
gemeint zu fein; aber diefer Vergleich ergiebt
auch, dafs die Angabe der Abweichungen keinen-
falls vollftändig ift. Die Angabe felbft ift auch darum