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Ausgabe:

1881 Nr. 26

Spalte:

613-615

Autor/Hrsg.:

Keim, Thdr.

Titel/Untertitel:

Rom und das Christenthum. Eine Darstellung des Kampfes zwischen dem alten und dem neuen Glauben im römischen Reiche während der beiden ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung 1881

Rezensent:

Bonwetsch, Gottlieb Nathanael

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 26.

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bäude von 1817 bezeichnet, wollen wir nicht weiter mo-
niren; dafs aber eine 1881 verfafste ,Gefchichte der Exe-
gefe bis auf unfere Tage' unter der Ueberfchrift ,chrift-
liche Hebraiftcn' kein Sterbenswort von Olshaufen weifs
(Lehrbuch 1861!!) gefchweige von Böttcher oder Stade,

— das giebt doch zu denken. Der Verf. rügt S. 343
felbft, dafs faft alle neueren jüdifchen Exegeten (die
fogen. Biuriften) die Arbeiten der chriftlichen Exegeten,

— deren Wichtigkeit man zwar nicht übertreiben, deren
Nutzen man indefs ohne Ungerechtigkeit nicht verkennen
dürfe (fehr freundlich!) — entweder nicht gekannt
oder verfchmäht hätten. Dasfelbe aber gilt von feiner
Kenntnifs der modernen grammatifchen Wiffenfchaft.
Während er Luzzatto's im Detail werthvolle, aber aller
wiffenfchaftlichen Methode baare Grammatik bis in den
Himmel erhebt (S. 350), kennt er von Olshaufen nicht
einmal den Namen. Und fo lange dergleichen bei einem
Grofsrabbiner von Frankreich und Profeffor am ifraeli-
tifchen Seminar zu Paris möglich ift, fo lange wird es
bei dem Urtheil verbleiben, das der Verf. S. 302 felbft
fällt: dafs feit dem Tode des Elias Levita (1549) die
hebräifche Grammatik und die ,gefunde Exegefe' . . .
lange Zeit (wir fagen dafür ,bis heute') unter den Juden
ftationär geblieben find.

Tübingen. E. Kautzfeh.

Keim. weil. Prof. Dr. Thdr., Rom und das Christenthum.

Eine Darftellung des Kampfes zwifchen dem alten
und dem neuen Glauben im römifchen Reiche während
der beiden erften Jahrhunderte unferer Zeit-
rechilung. Aus Th. Keim's handfehriftlichem Nach-
lafs hrsg. von Paft. prim. H. Ziegler. Berlin 1881,
G. Reimer. (XXXVI, 667 S. gr. 8.) M. 10. —

Die Edition diefes Werkes Keim's wird man nur
mit Dank gegen den Herausgeber, H. Ziegler, welcher
fich diefer mühevollen Arbeit unterzogen und auch
S. XVII—-XXXIV einen Keim gewidmeten Nachruf beigefügt
hat, begrüfsen können. Durch die Fülle der
quellenmäfsigen Mittheilungen über die Geftaltungen des
religiöfen und fittlichen Lebens, in deren Mitte das
Chriftenthum heranwuchs und trotz energifchfter Bekämpfung
fich ausbreitete, leiftet diefe Arbeit der Wiffenfchaft
einen werthvollen Dienft. Aber auch das Andenken
des Verf.'s kann durch diefe Veröffentlichung
nur gewinnen. Schon um ihrer irenifchen Haltung willen
giebt fie feiner literarifchen Thätigkeit einen ungleich
fchöneren Abfchlufs als die leidenfehaftliche Schrift
,Aus dem Urchriftenthum'. Auch die Schreibweife Keim's
ift hier viel fchlichter und durchfichtiger, als in den von
ihm felbft edirten Schriften.

Der 1. Theil des Werkes fchildert die erfte Begegnung
der alten Religion und des neuen Gegners im
1. Jahrh. Die Auflöfung der römifchen Religion war
nnerlich begründet in ihrem Wefen als einer Religion
des Nutzens und der Angft, ihrem politifchen Charakter
und mangelnder Abgefchloffenheit gegen andere Religionen
; von aufsen half dazu das Eindringen der religiöfen
Ideen Griechenlands und griech. Philofophie,
deren Negationen durch Dichter, Gefchichtsfchreiber und
den Lebensverkehr ins Volk hinabfickerten. Und ob-
fchon die ftoifclie Philofophie mit ihren humanen Ideen,
fich dem Volksglauben aecommodirend und ihn zu läutern
beftrebt, die confervative Religionspolitik feit der Kaifer-
zeit und die Bemühungen um eine religiöfere Erneuerung
aufbauend wirkten, fo verfiel doch die Religion, untergraben
von der herrfchenden Unfittlichkeit und dem
Kaifercult. Für das noch vorhandene religiöfe Bedürf-
nifs fuchte man Genüge im Dienft der Cybele und noch
mehr der egyptifchen Götter, aber auch im Judenthum.
Als thatfächliche fittliche Gemeinfchaft, ein Reich der
Liebe und Weltverleugnung begründend trat in diefe

! alte Welt das Chriftenthum. Befonders das paulinifche
Heidenchriftenthum fand Sympathie, fügte fich friedlich
in die beftehenden Weltverhältnifse und erlangte grofsen
! Erfolg, zumal beim armen Volk. Der erfte Conflict mit
der Staatsgewalt ift die neronifche Verfolgung, und jene
wird nun nicht mehr fo günftig beurtheilt wie bisher.
Domitian's Chriftenverfolgung gehört erft dem J. 96 an
und hat feinen Sturz unmittelbar oder mittelbar herbeigeführt
(S. 217). — Der 2. Theil zeigt den fchroffen
Widerfpruch von Chriftenthum und Heidenthum im
2. Jahrhundert. Die bereits im 1. Jahrh. wirkfamen, die
heidnifche Religion auflötenden Mächte gelangten nun
zur Entfeffelung. Aber doch ift das heidnifche religiöfe
Bewufstfein nunmehr geweckt. Auch eine gläubige Philofophie
fucht die Grundideen der Offenbarung, Vor-
fehung, Vergeltung zu retten, die Götterlehre zu reinigen
j und durch die Dämonologie zu rechtfertigen. Die fremden
Götter kommen noch mehr in Aufnahme und wer-
j den mit den eigenen identificirt. Zugleich verbreiten
Stoa und Akademie eine humane Sittlichkeitslehre, und
ihre Ideen dringen ins Leben, felbft in die Gefetzgebung
ein. Das Chriftenthum, in feiner Ethik die heidnifche
überbietend und doch fie populär verkündigend und
praktifch verwirklichend, trat wefentlich obwohl nicht
ausfchliefslich in Gegenfatz zum heidn. Staat und Leben,
heidn. Religion und Philofophie. Es ift der heidnifchen
Welt vielfach genau bekannt, trifft aber vorwiegend auf
Hafs und Verachtung und wird literarifch bekämpft.
Daher die aus der Noth der Zeit geborenen Apologien
feiner gebildeten Vertreter (und die Bemühungen der
Sibyllinen). Sie haben zunächft nichts erreicht. Alle
Kaifer von Trajan bis Mark Aurel, zumal diefer durch
neue Edicte, fchritten gefetzlich gegen fie ein; die ihnen
zugefchriebenen chriftenfreundlichen Erlaffe find unecht.

Eine Beurtheilung diefes Werkes mufs ftets im Auge
behalten, dafs dasfelbe bereits vor 20 Jahren niederge-
fchrieben und von feinem Verf. felbft nicht für druckfertig
gehalten und edirt worden ift. Sein Werth befteht
vornehmlich in der eingehenden Darlegung der aus den
Quellen felbft gefchilderten ,politifchen und focialen
Verhältnifse' des römifchen Reiches und ,aller fittlichen,
religiöfen, intellectuellen Gewalten des Alterthums gegenüber
d em Evangelium' (S. XIV). Die Gliederung des
Stoffs nach den beiden Jahrhunderten ift zu billigen, nur
ift es Keim nicht gelungen, auch wirklich den Unter-
fchied beider Perioden allfeitig fcharf genug hervortreten
zu laffen. Mit Recht hat Keim im Ganzen darauf verzichtet
, aus der Abgelebtheit des heidnifchen Glaubens
I den Sieg des Chriftenthums zu erklären, vielmehr auch
die aufbauenden Momente bef. in der Philofophie und
j den Auffchwung des heidnifchen religiöfen Bewufstfeins
I hervorgehoben, und zu zeigen verfucht, wie das Chriften-
j thum auch gegenüber der gefteigertften Form und den
concentrirteften Machtmitteln des Heidenthums feine
Ueberlegenheit bewährte. Keim ift auch fichtlich bemüht,
das charakteriftifche Wefen des römifchen Heidenthums
gegenüber dem mit ihm kämpfenden Chriftenthum aufzuzeigen
. Die römifche Religiofität beftimmt er als
Gottesangft; wo eines liebevollen Waltens der Götter
! gedacht wird, da fleht hinter ihnen drohend die Natur-
j gewalt. Die Vertreter der fcheinbar dem Chriftenthum
I verwandteften Anfchauungen betonen zwar energifch die
I allgemeine Sündhaftigkeit, aber auch fie betrachten diefe
I nicht als Schuld, fondern als natürliches Uebel und halten
j den Menfchen ftets für befähigt, durch eigene und fremde
Pflege zur Tugend zu gelangen, deren wichtigftes Stück
fie im Zurückziehen der Seele in fich felbft erblicken
(S. 313 — 322). Dennoch handelt es fich bei Keim ftets
nur um graduelle Unterfchiede, und ift er nicht im
Stande gewefen, dieErkenntnifs des principiellcn Gegen-
fatzes der mit einander ringenden Mächte zu geben. —
Was die Darftellung anlangt, fo ift es öfters fchwer, ein
klares Gefammtbild zu gewinnen. Die fehr dankens-