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Ausgabe:

1881

Spalte:

609-613

Autor/Hrsg.:

Wogue, L.

Titel/Untertitel:

Histoire de la Bible et de l‘exégèse biblique jusqu‘à nos jours 1881

Rezensent:

Kautzsch, Emil

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Theologische Literaturzeitung,

Herausgegeben von D. Ad. Hamack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 26. 17. December 1881. 6. Jahrgang.

Wogue, Histoire de la Bible et de l'exegese

biblique (Kautzfeh).
Keim. Rom und das Chriftenthum, hrsg. von

Ziegler (Bonwetfch).
Der Codex Teplensis enthaltend ,die Schrift des

newen Gezeuges' (Bertheau).

Kolde, Friedrich der Weife und die Anfange
der Reformation (Kawerau).

Strickler, Actenfammlung zur fchweizerifchen
Reformationsgefchichte (Staehelin).

Bühler, Def Altkatholicismus (Zoepffel).

Schultz, Lehre von der Gottheit Chrifti (Gott-

fchick). [Schlufs.]
Het tinger, Die ,Krifis des Chriftenthums'

Proteftantismus und katholifche Kirche

(Ritfehl).

Wogue, Grand Rabbin Prof. L., Histoire de la Bible et de
l'exegese biblique jusqu'ä nos jours. Paris 1881, (Fifch-
bacher). (V, 383 S. gr. 8.) Fr. 12. -

Eine ,Gefchichte der Bibel und der biblifchen Exe-
gefe bis auf unfere Tage', die ein Grofsrabbiner von
Frankreich und Profeffor am Israelitifchen Seminar zu
Paris veröffentlicht, hat ficherlich von vornherein einen
Anfpruch auf das regfte Intereffe auch der chriftlichen
Bibelforfcher. Man ift gefpannt zu fehen, wie fich die
kritifchen Fragen, die uns jetzt vornehmlich bewegen,
auf den Höhen der Jüdifchen Wiffenfchaft' ausnehmen,
wie vieles dort als ficherer Erwerb oder als noch zu
löfendes Problem taxirt werde. Man darf um fo mehr
gefpannt fein, als fich der Verf. nach S. III des Vorworts
bewufst ift, keiner ernftlichen Schwierigkeit und keinem
gegründeten Einwand aus dem Wege gegangen zu fein.
Nun ift zwar für den Verf. ,die Bibel' felbftverftändlich
identifch mit dem A. Teft. und er rügt es als eine arge
Gedankenlofigkeit, wenn fich auch Juden des letzteren
Ausdrucks bedienen, aber wir find fchon zufrieden, über
einen Theil der Bibel neue Belehrung zu erhalten. Dafs
die Arbeit des Verf.'s urfprünglich nicht für den Druck,
fondern nur zu Vorlefungen vor den Zöglingen des
israelitifchen Seminars beftimmt war, kann unfere Erwartungen
nicht fchmälern. Ebenfowenig die Verficherung

derartige Einfchränkung auf dem Titel anzubringen ge-
wefen wäre. Zu rügen ift es aber, wenn fich der Verf.
dennoch hier und da anftellt, als wolle er die Aufftellungen
der neueren deufchen Einleitungswiffenfchaft berückfich-
tigen, während er von derfelben abfolut nichts weiter
kennt, als die zweite Auflage von Eichhorn's Einleitung
(1790, 3 Bde.), Michaelis (ohne ihn zu benutzen) und des
Katholiken Jahn introduetio von 1814 (alfo den caftigirten
Auszug aus dem gröfseren deutfehen Werk). Bei fo be-
fchaffener Literaturkenntnifs erklärt fich freilich das S. 4
über Carpzov gefällte Urtheil, derfelbe habe mit feinem
unabhängigen (!), aber weifen und mafsvollen Geift den
gröfsten Theil der modernen deutfehen Rationaliften ('.'.)
infpirirt; weniger erklärlich ift uns freilich die Unverfrorenheit
, mit der man bei fo befchaffener Sachkenntnifs
eine Gefchichte der Bibel jusqu'ä nos jours 'd. i. laut
Titel 1881, laut S. 367 der Dec. 1880, laut S. 344 Note I
doch wenigftens das Jahr 1867) fchreiben kann.

Aber fehen wir von alledem ab und verlangen wir
von dem Verf. nicht mehr, als dafs er uns über den
Stand der Bibelkunde auf dem Boden der Jüdifchen
Wiffenfchaft' orientire. Hier lernen wir nun allerdings
etwas, freilich etwas anderes, als man zunächft
erwarten dürfte, — dafs nämlich unfere modern chriftlichen
Begriffe von Wiffenfchaft, Kritik und dergl. von
den fpeeififeh jüdifchen, wie fie der Verf. vertritt, durch

(S. II), dafs sie nicht für Gelehrte von Fach, fondern für j eine Kluft getrennt find, die keine Redensart zu über-

das gröfsere Publicum verfafst fei; hat doch trotzdem
der bedeutende Archäologe und Orientalin: de Saulcy
dem Verf. bekannt, dafs er (der Verf.) ihn une infinite
de choses gelehrt und dafs er (nämlich de Saulcy) nicht
gewähnt habe, dafs es für ihn noch fo vieles zu lernen
gebe (Vorwort S. II). Wie werden nun die alfo in uns
rege gemachten Erwartungen von dem Verf. befriedigt?
Wir müffen leider fo unbefcheiden fein, zu bemerken,
dafs der verftorbene de Saulcy fchr befcheidene Anfprüche
an das Werk und überhaupt an eine Gefchichte der biblifchen
Exegefe gcftellt haben mufs, wenn fein Urtheil
etwas anderes war, als eine Höflichkeitsphrafe. Ohne im
entfernteften leugnen zu wollen, dafs auch der mit dem
betr. Gebiet Vertraute hier und da auf eine rabbinifche
Fineffe ftöfst, die ihm noch nicht vorgekommen oder
nicht mehr erinnerlich ift, glaubt fich doch Referent nach
dem ermüdenden Durchlefen des ganzen Buches zu dem
Urtheil berechtigt, dafs die meiften Partien desfelben
auf eine gefchickte und wohlftilifirte Compilation aus den
verbreitetften jüdifchen Darftellungen hinauskommen; der
Verf. macht felbft kein Hehl daraus, wie vieles er Munk's
Paläftina, Luzzatto u. a. verdanke. Dafs er fich dabei
,thunlichft auf das Gebiet des Judenthums, feine Gefchichte
, Literatur und Traditionen befchränkt' (S. 4),
wäre ihm an fich nicht zu verargen, wenn fchon eine

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brücken vermag. Es ift eine anders fundirte Gedankenwelt
, in die wir hier wieder hineinfehauen; darüber vermag
uns weder das mafsvolle Urtheil des Verf.'s über Chriften
und Karaiten, noch feine Verficherung Amicus Talmud,
sed magis amica veritas hinwegzutäufehen. Denn in Wahrheit
ift es eben doch der Babylonifche Talmud, der im
Mittelpunkt feiner Weltanfchauung fteht. Auf die Autorität
des Talmud zielt der Verf., wenn er S. III erklärt,
das Buch habe gemäfs feinem Urfprung ,orthodox' fein
müffen; dem entfprechend wird S. 58 das Problem des
Hohenliedes mit der Bemerkung gelöft: ,wir als rabba-
nitifche Israeliten können uns von der allgemeinen Tradition
der Synagoge nicht entfernen, welche u. f. w.'
(vergl. ähnliches S. 63 Mitte), und nicht minder charakte-
riftifch ift es für den Standpunkt des Verf.'s, wenn man
trotz aller Betonung des Unterfchiedes von peschät, und
deräsch (wörtlicher und midrafch-artiger Exegefe), trotz
aller Hervorhebung der ,gefunden Exegefe' durch das
ganze Buch hindurch nicht recht klug wird, ob der Verf.
der midrafchiftifchen und kabbaliftifchen Tradition auch
eine wiffenfehaftliche Berechtigung zufchreibe oder nicht.
Eine kurze Uebcrficht über Anlage und Inhalt des
Werkes mag erhärten, welche Differenz zwifchen diefer
jüdifchen und der uns geläufigen Betrachtungsweife fich
aufthut.