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Ausgabe:

1881

Spalte:

603-605

Autor/Hrsg.:

Zirngiebl, Eberh.

Titel/Untertitel:

Johannes Huber 1881

Rezensent:

Carrière, Moriz

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603 Theologifche Literaturzeitung. i88r. Nr. 25. 604

Ausdruck, welche die Perfon Jefu als einheitliche im
Zufammenhang ihres Lebenswerkes für die Gemeine hat, '
das zweite von Jefus als dem Chriftus löft die Aufgabe,
die Perfon Jefu in ihrer menfchlichen Entwicklung religiös
zu verflehen. Das IL wird in einem Anhang behandelt
, das L ift der Gegenftand des Buches. — Hier
kann Ref. ein Bedenken nicht unterdrücken. Stimmen
ichon die Titel beider Dogmen nicht recht zu dem angegebenen
Inhalt, erinnern fie vielmehr an die von Kant
bis auf Biedermann und Lipfius die Geifter irreführende
Unterfcheidung des idealen Chriftus und des gefchicht-
lichen Jefus, (0 find fie auch nicht wohl begreiflich aus
der jetzt vom Verf. vertretenen Anfchauung, nach der
es fich ja nicht um ein ewiges Princip in Gott oder um
ein Idealbild, fondern um eine gefchichtliche Perfon in
der Einheit ihres Lebenswerkes auch beim I. Dogma
handelt; fie laffen fich nur fo verliehen, dafs er, als er
vor dem Erfcheinen des III. Bandes von Ritfchl's Buch
über die Verföhnungslehre fich das chriftol. Problem
formulirte, etwa bei Biedermann mehr Momente der
Wahrheit fand als jetzt. Ift nun eine religiöfe Beur-
theilungjefu ohne gleichzeitige littliche nie vollziehbar, fo
hat das II. Dogma kein Recht auf Sclbftändigkeit, wie
auch thatfächlich der Anhang wenig Neues bietet.

[Schlufs folgt.]

Magdeburg. J. Gottfchick.

Zirngiebl, Dr. Eberh., Johannes Huber. Gotha 1881,
F. A. Perthes. (VII, 334 S. gr. 8. mit Portr. in Lichtdr.)
M. 6. —

Dies anziehend gefchriebene Buch giebt uns im
Lebensbild und Lebensgang eines geiftvollen Mannes
ein Stück von der inneren Entwicklungsgefchichte unferer
Zeit. Aus niederen Verhältnifsen arbeitete fich Huber
empor; zum katholifchen Theologen beftimmt, von phi-
lofophifchen Studien genährt, angehaucht von dem freieren
Geifte, den die von König Max an die Münchener Uni-
verfität berufenen Gelehrten mit fich brachten, habilitirte
er fich und ward bald durch feine Leiftungen als Lehrer
undSchriftfteller zum Profeffor der Philofophie befördert.
Er war nicht blos ein wiffenfchaftliches, fondern auch ein
agitatorifches Talent, und bewährte (ich als folches in
dem Kampf gegen den Ultramontanismus, der durch
Verkündigung der päpftlichen Unfehlbarkeit der Ge-
fchichtskunde wie der Vernunft den Fehdehandfchuh hingeworfen
. Doch während der Jugendtraum von dem
einen freien Vaterland fich erfüllte, fah er als einer der
Führer des Altkatholicismus fich mehr und mehr ver-
einfamen. Doch verlor er die Hoffnung nicht, dafs auch
die Volksfeele in der Verföhnung von Chriftenthum und
Bildung genefen und in einer focialen Reform der Kampf
ums Dafein leichter und menfchenwürdiger werde. Seit
Jahren erörterte er wiffenfchaftliche Zeitfragen in der
Augsburger Allgemeinen Zeitung und liefs dann die
Abhandlungen alsFlugfchriften erfcheinen; er betrachtete
fie als Baufteine eines philofophifchen Syftems, und wollte
an die zufammenfaffende Darftellung desfelben Hand
anlegen, als der Tod ihn abrief. Sein Biograph, ein
Schuler und Freund des Verewigten, hat es unternommen,
fein Buch durch ein Gefammtbild von Huber's Weltan-
fchauung würdig abzufchliefsen.

Huber hatte fein Lebenlang ein warmes Herz für die
Nothzuftände der Gefellfchaft, für das phyfifche und
moralifche Elend, das ihm auf feinen Wanderungen in
London erfchütternd entgegengetreten. Er betrachtete
das Proletariat gefchichtlich, er folgte den Bcftrebungen
von Schulze-Delitzfch oder von Lafalle, er fah in der
Förderung der geiftigen und materiellen Volkswohlfahrt
den Zweck des Staates, welcher nicht blofs Eigenthum
und Recht der Einzelnen fichert, fondern durch die Vereinigung
der Einzelnen auch Guter erreicht, die den Vereinzelten
verfagt bleiben. Es kommt vor allem auf die
Selbftthätigkeit, damit auf die Selbfthilfe an, und ohne

fie wäre jede Staatshilfe erfolglos; aber auch diele ift
unentbehrlich, die Gemeinfchaft mufs den Ringenden
die Hand reichen, die Affociation derfelben fchützen
und fördern; der Staat darf nicht ruhig zufchen, wenn
im Kampf ums Dafein'Millionen feiner Bürger zu Grunde
gerichtet werden, er mufs in die Bewegung der Gefellfchaft
felbft ordnend und lenkend eingreifen. Dabei fah
Huber ein nationales Unglück darin, dafs der Socialis-
mus fich mit dem Materialismus verquickte, und hoffte
von einer Religiofität, welche mehr die ethifchen als die
dogmatifchen Elemente betont, von einem praktifchen
Chriftenthum, fiegbringenden Beiftand. Der ftillarbcitende
Denker begegnet (ich hier mit dem, was der weitwirkende
heldifche Staatsmann auf der Höhe feiner Macht als die
Vollendung feiner Lebensaufgabe bezeichnet.

Huber ift von der Theologie ausgegangen, und fo
galten feine Doctordiffertation, feine Habilitationsfchrift
dem Cartefianifchen Beweife für das Dafein Gottes und
dem Gottesbegriffe Platon's. Er felber wandte fich der
Aufgabe zu, die ich als die Ueberwindung und Verföhnung
des Deismus und Pantheismus charakterifirt
hatte; es gilt, die Einheit alles Lebens und zugleich die
Subjectivität, das bewufste Wollen des Unendlichen zu
erfaffen, Gott zu begreifen, wie er als der einwohnende
Grund aller Dinge zugleich über allem bei fich felbft ift.
Huber fand, dafs der grofse Scotus Erigena von diefer
Idee aus als ein ihr zudrehender Geift verftändlich werde,
und befchlofs ihm ein umfaffendes Werk zu widmen; die
Einleitung dazu erfchien als ein Buch über die Philofophie
der Kirchenväter, und zeigt, wie diefe felbftändig
und mannigfaltig in ihren Lehren waren gegenüber heutiger
dogmatifcher Gebundenheit. So kam die Schrift
auf den römifchen Index, und da der Verfaffer fich nicht
unterwarf, begann hier fein Kampf mit dem Ultramontanismus
für die freie Wiffenfchaft. Zirngiebl fchildert
es ausführlich, wie er feinem greifen Lehrer Döllinger als
vordrängender Genofs zur Seite trat, wie er am Janus,
an den Concilsbriefen Antheil nahm, wie er in einem vorzüglichen
Buch über den Jefuitismus feinen Scharfblick
wie feinen Gerechtigkeitsfinn offenbarte.

Wie einem vernunftwidrigen Dogmatismus, fo (teilt
fich Huber dem Materialismus wie der verneinenden
Richtung im alten und neuen Glauben von Straufs und
in Hartmann's Selbftzerfetzung des Chriftenthums entgegen
. Er befchäftigte fich mit dem Darwinismus, indem
er fich mit demfelben zu einer auffteigenden Entwicklung
des Lebens bekannte, aber einen idealen
Weltplan, und einen nicht blinden, fondern fehenden
Willen für diefelbe vorausfetzte und als nothwendig erwies
. Er fetzte fich mit den Peffimismus auseinander,
und fah im Kampf ums Dafein und in der ,grofsen
Meifterin, der Noth' die unentbehrlichen E-rreger der
Kraft, und im Ungenügen der materiellen Welt und ihres
Glücks die Hinweifung auf eine moralifche Welt, auf
die geiftigen Güter, auf die fittliche und ewige Beftim-
mung der Menfchheit. Früher fchon hatte er die Unfterb-
lichkeit in den Kreis feiner Betrachtungen gezogen und
die Gründe für diefelbe lichtvoll erörtert.

Indem Zirngiebl die bedeutendften Ausfpruche Huber's
in der Beantwortung fo vieler und mannigfacher Fragen
der Zeit, des Glaubens und Wiffens mittheilt, fehen wir
einen reichen Geift fich entfalten, und gewinnen eine
Fülle von Anregungen, indem wir an feinem Ringen
und Kämpfen Antheil nehmen. Ausgang und Ziel desfelben
, den innerften Grund feiner Weltanfchauung mag
er uns felbft in nachfolgenden Sätzen kennzeichnen:
,Der Geift fucht in feinem bewufsten Leben nur zu rea-
lifiren, was er unbewufst an fich ift. Nur weil er mit
feinem Grund und Wcfen in Gott ift, darum fucht er in
feinem Bewufstfein wieder in Gott einzukehren. Nur
Verwandtes, nicht völlig Ungleiches fucht fich und zieht
fich an. Ohne ein Organ für das Göttliche in uns würden
wir diefes nicht fuchen, aber ein folches Organ ift