Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1881 Nr. 2

Spalte:

39-42

Autor/Hrsg.:

Dächsel, K. August

Titel/Untertitel:

Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preussischen Landen 1881

Rezensent:

Krauss, Alfred

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

39 Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 2. 40

Recht der Subjectivität betrifft, fo kann man dasfelbe
nicht als den eigentlichen Gehalt der Reformation hin-
ftellen, ohne damit der Auflöfung der evangelifchen
Kirche durch den Rationalismus den Weg zu bahnen.
Diefe Gefahr wird wenigftens nicht durch die theologifch
durchaus ungenügende Einfchränkung des Verf.'s vermieden
, es fei nur die Subjectivität gemeint, welche ihr
Recht lediglich aus der h. Schrift nehme. Es hat fich,
Gott fei Dank, in der Reformation um concretere Dinge
gehandelt als um folche vagen Kategorieen moderner
Gefchichtsconftruction. Den Rationalismus führt der Verf.
richtig auf die Tendenz zurück, den Menfchen von den
gefchichtlichen Zufammenhängen, in welchen er als Per-
fon wirklich ift, zu ifoliren. Aber diefe Tendenz ift das
Allgemeinere, der Rationalismus die befondere Form, bei
welcher jene Ifolirung nach abftracten Grundfätzen des
Verftandes erfolgt. Diefelbe Tendenz kommt aber auch
da zum Ausdruck, wo die religiöfe Praxis den einzelnen
darauf anweift, fich in feiner Phantafie zu ifoliren. Indem
dabei die Glaubensobjecte nach den verworrenen
Relationen des einzelnen Subjects beftimmt werden,
kommen fie in die Gefahr, ihren allgemeingültigen Inhalt
zu verlieren, der nur in feiner Beziehung auf die
religiöfe Gemeinfchaft zur Anfchauung gebracht werden
kann. Sie werden dann fchliefslich zu äfthetifchen Reizmitteln
der individuellen Phantafie herabgewürdigt. Das
zweite Moment, welches der Verf. am Rationalismus
hervorhebt, die Vorftellung von einer unlebendigen Weltferne
Gottes, ift kein nothwendiges Merkmal an dem-
felben. Noch weniger ift es berechtigt, wenn der Verf.
den letzteren Vorwurf, den er keineswegs zu einem klaren
Gedanken erhoben hat, gegen alle wendet, die die orthodoxe
Lehre von einer Strafitellvertretung Chrifti ablehnen.
An diefem Punkte wird vielmehr jeder den Rationalismus
alsdann vermeiden, wenn er in einem gefchichtlichen Er-
eignifs den Act Gottes fieht, in welchem der göttliche
Wille der Verzeihung für ihn vcrftändlich hervortritt.
Sobald man die Gewifshcit der Verformung nicht aus
einem folchen Eindruck, fondern aus irgendwelcher ver-
ftändigen Ueberlegung ableitet, fo überfchreitet man die
Schwelle des Rationalismus, ,1m Gewiffen trägt der
Menfch das fittliche Gefetz feines eigenen Wefens in fich'
(S. 26) — das foll den kantifchen Gedanken von der
Autonomie des Willens wiedergeben. Von der Schuld,
welche der Verf. durch die Verbreitung eines folchen
veralteten Irrthums auf fich nimmt, reinigt er fich fchwer-
lich dadurch, dafs er fich auf einen Artikel der 1. Aufl.
von Herzog's Realencyklopädie als feine Quelle beruft.

Marburg. W. Herrmann.

1. Ordnung eines sonn* und festtäglichen Haupt-Gottesdienstes,

nebft Abendmahlsliturgie. Von M. B. Gotha 1880,
Schloefsmann. (VIII, 47 u. 36 S. 8.) M. 2. —

2. Dächsei, Paff. K A., Agende für die evangelische Kirche
in den Königlich Preussischen Landen. Nach Mafsgabe
des gegenwärtigen Bedürfnifses überarbeitet und ver-
vollftändigt. (Mit vollffändigem Perikopcnbuch nach
den Beflimmungen des Evangelifchen Ober-Kirchenraths
und den beiden von der General-Synode be-
fchloffenen Trauungsformen.) Berlin 1880, Berggold.
(X, 344 S. Lcx.-8.) M. 7. —; geb. m. Goldfehn. M. 9. —

Ich kann mich nicht von der Ueberzeugung losmachen
, dafs wenn proteftantifche Einrichtungen die Gemeinde
nicht anziehen, der Fehler nicht an den Einrichtungen
, fondern am Pfarrer oder an der Verwahrlofung
der Gemeinde liege, und daher erfcheinen mir alle die
modernen Vorfchläge zur Verbefferung des evangelifch-
proteftantifchen Gottesdienftes als Selbftanklagen nicht des
Proteftantismus, fondern der Pfarrer und ihrer Gemeinden
. Mir ift noch keine Gemeinde bekannt geworden,
welche aus Schuld der Magerkeit oder Dürftigkeit unferes
Cultus unkirchlich geworden wäre. Soll, wie es der
Verfaffer von Nr. 1 beabfichtigt, durch eine beffere
Agende für eine fchwache Predigt, , et was Reales, Ob-
jectives' geboten werden, fo bekenne ich freudig, nichts
Heilkräftigeres zu kennen als das in evangelifchem Sinne
verkündigte Wort des Evangeliums. ,Das Wort mufs
es thun' fagte Luther und meinte damit das ausgelegte,
gepredigte Wort. Entweder die Predigt ift gut, und dann
wird die Gemeinde den Cultus in Ehren halten; oder
die Predigt ift in Verfall gerathen, und dann hilft nichts
Anderes, als wenn die Pfarrer wieder beffere Pfarrer
werden.

Freilich kann eine Agende auch mangelhaft, in ihrer
Anlage verfehlt oder in ihrer Ausführung fei es veraltet
, fei es unvollftändig fein. In diefer Richtung fich
bewegende Verbefferungsvorfchläge find forgfältigfter
Beachtung werth. Der Verfaffer von Nr. 2 will für das
Interimifticum, das bis zurHcrftellung eines neuen Kirchenbuches
in Preufsen eingetreten fei, ein Aushülfsbuch

I bieten. An dem Hauptbeftande der feit 50 Jahren in
gefegnetem Gebrauch befindlichen Agende für die evang.
Kirche in den Königl. Preufsifchen Landen will er nicht
rütteln, fondern nur Revifion und Fortbildung ins
Auge faffen. Eine Recenfion feiner Arbeit hat fich dem
gemäfs wefentlich auf das Verhältnifs zu richten, in
welchem diefe Revifion und Fortbildung zu den in der
alten Agende befolgten Grundfätzen fteht.

Nun darf wohl als ausgemachte Thatfache feftgeftellt

1 werden, dafs die alte Agende unter vorzüglicher Berück-
fichtigung der von Luther ausgefprochenen liturgifchen

i Grundfätzc der Union dienen und ein den beiden evangelifchen
Hauptconfeffionen annehmbares Kirchenbuch
fein wollte. Aber fchon auf S. 2 bei Dächfei begegnen
wir der Forderung, der Geiftliche habe die im Namen
der Gemeinde vor Gott gebrachten Gebete und Bekennt-
nifse dem Altar zugewendet zu fprechen. Gerade dies
verwirft Luther (deutfehe Mcffe und Ordnung des Gottesdienftes
Erl. Ausg. Bd. XXII S. 237) ausdrücklich und
zwar gerade in dem Sinn, in welchem es Dächfei fordert.
Letzterer verlangt es nämlich als correcte Ausfuhrung
der Liturgie, und Luther fagt, in der rechten Meffe unter
eitel Chriften dürfe es nicht fo bleiben. Natürlich: Luther
wufste ja wohl, dafs der wahrhaftige chriftliche Altar
das Herz felber, alfo im fichtbaren Gotteshaufe die ver-
fammelte Gemeinde ift. In feiner Bibelüberfetzung hat
Luther bekannter Mafsen ,unfer Vater' gefagt, in den
kirchlichen Hülfsbüchern das Mönchsdeutfeh , Vater
unfer' gelaffen. Die alte Agende folgte dem Bibelüber-
fetzer Luther; Dächfei dagegen meint S. 9, religiös kämen
nur die hebräifche, griechifche und lateinifche Sprache
in Betracht und diefe hätten das ,unfer' nach dem
,Vater'. Alfo ändert er die in der alten Agende vorhandene
Stellung der beiden Wörter. Man müife aufser-
dem den Zufammenhang mit der gefammten Chriften-
heit, die unter dem Himmel ift, beim Gottesdienft zum
Ausdruck bringen. Nun freilich, auf die reformirten
Deutfchen und Schweizer, auf die Franzofen und die
Engländer fcheint bei diefer gefammten Chriftenheit
unter dem Himmel Nichts anzukommen. — S. 10 ift der
in der alten Agende S. 12 ohne alle confeffionaliftifche
Zuthat enthaltene, rein evangelifchc Eingang des Gebetes
vor dem Abendmahl lutherifch confeffionell umgeändert.
Dafs Chriftus (ibid.) ,um unfrer Sünden willen' (alte
Agende) Menfch geworden, ift ftreng orthodox und zugleich
ein echt liturgifcher Ausdruck, weil auf die bevor-
ftehende Handlung Bezug nehmend; die Aenderung von
Dächfei ,um unfertwillen', befitzt keinen zureichenden
Grund. — Die Paraphrafe des Unfervater's ift, wie jede
derartige Bearbeitung, Reflexion über das Gebet, und mehr
homiletifch als liturgifch gedacht. — Der Zufatz S. 15
betreffend die Macht des Sacramentes, uns von allen