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Ausgabe:

1881 Nr. 24

Spalte:

567-570

Autor/Hrsg.:

Scheurl, Adolf v.

Titel/Untertitel:

Das gemeine deutsche Eherecht und seine Umbildung durch das Reichsgesetz vom 6. Febr. 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung, mit besonderer Rücksicht auf die

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 24.

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in diefem zuletzt entdeckten Welttheil das Heidenthum J Das bis jetzt vorliegende erfte Heft umfafst die Ein-
dem Chriftenthum gewichen in. Möge der reiche Inhalt , leitung und die zwei eriten Theile, welche 1. das Ehe-
diefer Hefte, zu welchem aufser den Miffionsfchriften fchliefsungsrecht und 2. die Rechtswirkungen der Ehe

behandeln. Jedesmal wird zuerft das bis 1875 in Geltung
gewefene gemeine — katholifche und proteffantifche
— Eherecht da rgeftellt, fodann die Umbildung desfelben
durch das Reichsgefetz von 1875 nachgewiefen und
endlich das Verhältnifs der ftaatlichen Eherechtsnormtn
zu der kirchlichen Eheordnung befprochen. — Ueber
den eigentlich jurifhfchen Inhalt des Buchs mufs dem
theologifchenBerichterftatter das Urtheil erlaffen bleiben.
Ref. kann nur fagen, dafs den Erörterungen des Verf.'s
durchweg Klarheit, Scharffinn und Objectivität eignet,
und dafs fie, fo weit man ohne Fachmann zu fein darüber
urtheilen kann, fich faft überall als zutreffend er-
weifen. Treffend ift die grundlegende Auffaffung des
Verf.'s von Ehe und Eherecht. Das Wefen der Ehe er-
fchöpft fich keineswegs in ihrer Auffaffung als Rechts-
verhältnifs; fie ift vorwiegend ein fittliches Inftitut, ihr
Inhalt nur zum kleineren Theil geeignet die Rechtsform
anzunehmen: mehr noch als bei anderen Inftitutionen ift

Meinicke, Gerland, Buchner u. A. forgfältig benützt
wurden, viele dankbare Lefer finden!

Möffingen bei Tübingen. F. Wurm.

Scheurl, Dr. Adolf v., Das gemeine deutsche Eherecht und
seine Umbildung durch das Reichsgefetz vom 6. Febr.
1875 über die Beurkundung des Perfonenftandes und
die Ehefchliefsung, mit befonderer Rückficht auf die
Kirchen-Eheordnung dargeftellt. I. Fleft. Einleitung.
Formelles und materielles Ehefchliefsungsrecht.
Rechtswirkungen der Ehe. Erlangen 1881, Deichert.
(266 S. gr. 8.) M. 4. —

Als gemeines, d. h. in Ermangelung von particular-
gefetzlichen Beftimmungen allgemein in Anwendung zu
bringendes Eherecht galt in Deutfchland bis zu dem
Reichsgefetz vom 6. Februar 1875 das kanonifche Recht,

für Katholiken mit den Modificationen, welche es durch j darum gerade hier die Aufgabe des Rechts Erhaltung und
das Tridentinifche Concil, namentlich deffen Decret über 1 Pflege der Sitte, d. h. der guten Volksfltte, und mög-
die Ehefchliefsungsform, erhalten, für Proteftanten in lichfte Verhütung des Aufkommens fchlechter Sitte (S.
der, von der Urgeftalt freilich vielfach abweichenden 13 ff. 23). Auch darin ift dem Verf. beizuftimmen, dafs
Geftalt, welche die proteftantifche Doctrin und Praxis ! er, eben weil ihm das Wefen der Ehe in der vollkom-
ihm gegeben hatte. Durch das genannte Reichsgefetz menen flttlichen Lebensgemeinfchaft befteht, die ein-
ift eine Aenderung darin eingetreten, freilich keine folche, j feitige Betonung der copula carnalist wie fie dem kano-
wodurch ein klarer und einheitlicher Rechtszuftand ge- j nifchen Rechte eigen ift (und neuerdings wieder von
fchaffen worden wäre. Das Reichsgefetz hat eine von J Rödenbeck verfucht wurde, ,von der Ehe', Stud. u. Krit.
der feitherigen katholifchen wie proteftantifchen Form I 1881. H. 2—3) ablehnt (S. 157). Am Eingang des erften
abweichende Form der Ehefchliefsung mit allgemein Theils findet man eine überlichtliche Darftellung der Geverpflichtender
Kraft vorgefchrieben, dabei jedoch das 1 fchichte des Ifhefchliefsungsrechtes (S. 38—73); man
materielle Eherecht im Allgemeinen unberührt gelaffen, j kann darin das abfchliefsende Refultat der Verhandwenn
auch einzelne in dasfelbe, zum Theil tief ein- lungen, die in den letzten Jahren über diefen Gegenftand
greifende Beftimmungen nicht fehlen. So weit das ältere geführt wurden, erblicken. Der Verf. hat feine in
Eherecht durch das Reichsgefetz nicht ausdrücklich abgeändert
ift, befteht dasfelbe — alfo überall da, wo
Landeseherechte fehlen, das gemeine Recht — noch in
Kraft und mufs, wo das Reichsgefetz fchweigt, auf dasfelbe
zurückgegriffen werden. Das Ganze kennzeichnet
fleh als ein in hohem Grade unfertiger, fragmentarifcher
Zuftand, welcher nothvyendig nur ein proviforifcher fein
kann. Er wird durch das in Bearbeitung begriffene
bürgerliche Gefetzbuch für das deutfehe Reich in voraus-
fichtlich nicht ferner Zeit fein Ende erreichen. — Eine
fyftematifche Darfteilung des im Augenblick geltenden
gerneinen Eherechts erfcheint fonach in gewiffer Hinficht
als ein undankbares Unternehmen, fofern deren praktifche

früheren Arbeiten (namentlich feiner .Entwicklung des
kirchlichen Ehefchliefsungsrechts' 1877) niedergelegten
Anfchauungen an einzelnen Punkten modificirt, fo hin-
fichtlich des Verhältnifses der priefterlichen Trauung zu
der Laientrauung des früheren Mittelalters (S. 58, vgl.
Entwickl. d. Ehefchliefsungsrechts S. 113), wo er jetzt
Sohm beitritt, deffen Sätze andererfeits manche Berichtigung
durch ihn erfahren (S. 44). Ob der Verf. darin
Recht hat, dafs das priefterliche Zufammenfprechen {ego
conjungo vos) von Anfang nur im fymbolifchen Sinn (als
,Darfteilung der göttlichen Zufammenfügung' S. 59) gemeint
gewefen fei, mag bezweifelt werden: Dieckhoff
hat hier wohl nicht mit Unrecht auf die Analogie der
Bedeutung nur eine vorübergehende fein kann. Gleich- gleichzeitig aufkommenden indicativen Form der Abfo-
wohl ift man dem Verf. des oben genannten Werks für ; lution {ego absolvo tc) aufmerkfam gemacht (die kirchl.
die gediegene wiffenfehaftliche Gabe, die er uns bietet, ; Trauung etc. S. 98). Darin ift indeffen dem Verf. jeden-
allen Dank fchuldig. Abgefehen davon, dafs die gegen- J falls zuzuftimmen, dafs das Wort bei Luther im Trau-
wärtige Uebergangszeit immerhin von unbeftimmter | büchlein keine andere Bedeutung hat als jene. In dem

Dauer ift und während derfclben, gerade bei dem verworrenen
Zuftande des in Rede flehenden Rechtsgebietes
eine Orientirung auf demfelben dem Praktiker willkommen
fein mufs, fowie ferner, dafs das künftige bürgerliche
Gefetzbuch im Eherecht wie in anderen Rechts-

Uebergang zur o.bligatorifchen Civilehe fleht der Verf.
einen durch keine gefetzgeberifche Notwendigkeit bedingten
Bruch mit der gefchichtlichen Entwickelung und
erachtet die facultative Civilehe den gegebenen Verhält-
nifsen gegenüber für ausreichend und allein angemeffen

materien an den beftehenden Rechtszuftand anzuknüpfen 1 (S. 84. 114).
und denfelben weiter zu entwickeln haben wird, daher Von befonderem Intereffe für den Theologen find

eine Durcharbeitung desfelben von dem wiffenfehaftlichen die Erörterungen des Verf.'s über das Verhältnifs des

Werth wie die hier gebotene fich als ein beachtens
werther Beitrag zu der im Werk befindlichen gefetz-
geberifchen Arbeit darfteilt, — bietet das Buch v. Scheurl's
in mehrfacher Hinficht, über das augenblickliche Intereffe
hinaus, einen Inhalt von bleibendem Werthe. Wir rechnen
dahin die principiellen Erörterungen über Ehe, Ehe-
recht und einzelne eherechtliche Inftitutionen, dann die
gefchichtlichen Nachweife über die Entwickelung der

vom Staate geordneten Eherechtes zu der kirchlichen
.Eheordnung' — von einem kirchlichen .Eherecht' redet
er correcter Weife grundfätzlich nicht. Dadurch, dafs
das feitherige Eherecht für die bürgerliche Rechtsordnung
theilweife befeitigt wurde, hat es feine Geltung als kirchliche
Eheordnung nicht verloren (S. 30 ff. ÜJ), beruht
doch die neuefte Staatsgefetzgebung ausdrücklich auf
dem Grundfatze der Loslöfung beider Gebiete von einan-

ietzteren, namentlich des Ehefchliefsungsrechts, endlich I der. So weit das frühere Eherecht als kirchliche Ehe-
dic Unterfuchungen über das Verhältnifs des jetzt völlig 1 Ordnung beftand - was freilich auf proteftantifcher Seite
verftaatlichten Eherechts zu der kirchlichen Flheordnung. j nur theilweife der Fall war, denn das proteftantifche