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Ausgabe:

1881 Nr. 2

Spalte:

37-39

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Chr. Ernst

Titel/Untertitel:

Die modernen Weltanschauungen und ihre praktischen Konsequenzen. Vorträge über Fragen der Gegenwart aus Kirche, Schule, Staat und Gesellschaft, im Winter 1880 zu Leipzig gehalten 1881

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 2.

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tragenen Annahmen und überhaupt der Vorftellung von
der befonderen Parthenie des Johannes im Allgemeinen
ausführt, beftreiten zu müffen, aber durchaus beftreitet
er, dafs Auguflin hier Leucius citirt und fich ,nicht nur
auf angefehene Schriftausleger beruft, fondern auch in-
direct aber deutlich auf eine apoeryphe Darfteilung, indem
er fagt, dafs dies aus den kanonischer) Schriften
nicht deutlich erhelle' (p. CI). Man kann einen Text
nicht widerfinniger preffen. Vielmehr follte die Stelle
des Auguftin überhaupt mahnen, forgfältiger, als es bei
Zahn gefchieht und fowie es zur reinlichen Löfung feiner
Aufgabe unerläfslich war, die Fälle zu unterfcheiden, wo
angeblich leucianifche Traditionen direct auf den Text
des Leucius zurückgehen und wo fie fich fchon in den
Strom der allgemeinen, kirchlich reeipirten und anonymen
Tradition übergegangen zeigen.

Soviel Anlafs zum Widerfpruch der Behandlung der
Quellen durch den Herausgeber bietet fchon der einzige
Auguftin. Weiter in das viel verfchlungene Detail feiner
Unterfuchungen einzugehen verbietet aber diefe ohnehin
über Gebühr ausgedehnte Anzeige umfomehr, als z. B.
die Frage, ob Alles, womit Zahn feinen Leucius aus-
ftattet, ihm wirklich angehört hat, eine ganz andere Bedeutung
erhält, fobald das Fundament der Zahn'fchen
Darlegungen, dafs die Johannesacten des Leucius fich
nur in Einer Geftalt verbreitet haben, in Frage gefleht
ift. Indem aber Ref. dies thut oder doch mindeftens beftreitet
, dafs Zahn diefe Grundannahme in einer haltbaren
Weife begründet hat, ergiebt fich daraus von
felbft die Behauptung, dafs das vorliegende Werk das
Problem des Leucius noch weit von feiner Löfung zu-
rückgelaffen hat. Allerdings wird wer es wieder aufnimmt
kaum minder Urfache haben, der Zahn'fchen Arbeit
zu danken, als Zahn felbft in der Lage gewefen ift,
Thilo's Vorarbeiten auszunutzen und anzuerkennen
(p. LXXXI). Ift aber Zahn damit im Rechte, dafs das
leucianifche Werk zwar keine vollftändige Apoftel-
gefchichte gewefen ift, aber aufser den ,Wanderungen'
des Johannes auch die der Apoftel Thomas und Andreas
behandelt hat (p. LXXIl ff.) — und fchon Euf. KG. III, 1
führt auf die Vermuthung, dafs an irgend einer Stelle der
früheren Tradition diefe drei Apoftel zu einer befonderen
Gruppe verbunden worden find, — fo wird fich eine
künftige Unterfuchung auf den ganzen Leucius zu richten
haben und mit der Ifolirung, in welcher Zahn die Johannesacten
des Leucius betrachtet, vermieden fein, was
dem Referenten als ein Hauptfehler feiner Arbeit er-
fcheint. Geht doch Zahn an der für die Gefchichte der
Johannesacten fehr wichtigen Vorfrage, ob fie fich überhaupt
von jenen anderen ,Wanderungen' losgelöft verbreitet
haben, ganz vorbei. — Für Mellitus konnte noch
die Ausgabe von G. Heine {Biblioth. aneedotor. Lips. 1848)
leicht herangezogen werden. — Schliefslich erlaubt fich
Referent noch eine Befchwerde über den recht incor-
recten Druck des Buches auszufprechen.

Bafel. Franz Overbeck.

Luthardt, D. Chr. Ernft, Die modernen Weltanschauungen
und ihre praktischen Konsequenzen. Vorträge über
Fragen der Gegenwart aus Kirche, Schule, Staat und
Gefellfchaft, im Winter 1880 zu Leipzig gehalten.
Leipzig 1880, Dörffling & Franke. (X, 260 S. gr. 8.)
M. 5. _

Diefe Vorträge, welche inzwifchen bereits in einem
zweiten Abdruck erfchienen find, bekunden aufs Neue
das grofse Gefchick des Verf.'s zu populärer Schrift-
ftellerei. Die Discuffion wird immer nur fo weit getrieben
, dafs es möglich bleibt, durch Anknüpfung an
geläufige Schlagworte eine Entfcheidung herbeizuführen.
Dabei können Unklarheiten nicht ausbleiben. Aber die-
felben werden nur demjenigen auffallen, der gewohnt ift,

über die behandelten Dinge gründlicher nachzudenken.
Ein Vorzug ift der mafsvolle Ton, der diefen Vorträgen
bei allem Eifer der Ueberredung feiten verloren geht.
Man erhält den wohlthuenden Eindruck, dafs der Verf.
trotz des tiefen Pathos, mit welchem er die befprochenen
Zeiterfchcinungen begleitet, mit aller Anftrengung die
Aufgabe, friedfertig und gerecht zu fein, fich vor Augen
hält. Leider aber wird ihm die Durchführung feines
guten Willens durch die Art, wie er fein Thema gefafst
hat, erheblich erfchwert. Der Verf. will die Weltan-
fchauungen des Rationalismus, Pantheismus, Materialismus
, Peffimismus durch den Nachweis ihrer verderblichen
Confequenzen widerlegen. Zu diefem Zwecke müfste er
zeigen, dafs mit jenen Formen metaphyfifcher oder re-
ligiöfer Weltanfchauung eine beftimmte Stellung zu den
fittlichen und politifchen Aufgaben durch eine logifche
, Nothwendigkeit verknüpft ift. Bei der ZurückfüTirung
1 beftimmter hiftorifcher Ereignifse auf jene Motive müfste
! die gröfste Vorficht obwalten, damit nicht über dem
vermeintlichen Aufdecken einer principiellen Begründung
viel näher liegende praktifche Anläffe überfehen werden.
Der Verf. verfährt aber anders. Er fubfumirt Zeiterfchcinungen
, welche er aus anderen Gründen bekämpft,
unter die Titel des Rationalismus und Pantheismus —
die beiden anderen Gegner kommen aus naheliegenden
Gründen weniger in Betracht —, um fie zu richten. Es
kommt ihm weniger darauf an, diefe Weltanfchauungen
, zu widerlegen. Die deutfehe Gefetzgebung des letzten
Jahrzehnts ift das eigentliche Angriffsobject. Der fchwerfte
Schlag gegen dasfelbe befteht aber darin, dafs es als
Werk des Pantheismus behandelt wird. Nach einem
ernften hiftorifchen Nachweis für diefe Benennung fucht
man vergebens. In Folge deffen dürfte leider Manchem
die Art, wie der Verf. fein Thema behandelt, als ein
polemifcher Kunftgriff erfcheinen, den man nicht wahrnehmen
kann, ohne fich in dem Vertrauen zu feinen
fonftigen Ausführungen erfchüttert zu fühlen. Es kann
dem Verf. naturgemäfs nicht recht gelingen, gegen eine
Erfchcinung gerecht zu fein, die er auf folche Weife zu
discreditiren verfucht hat. Man mufs dies gerade dann
beklagen, wenn man in der Lage ift, feine Kritik, wo fie
ehrlich nach praktifchen Gcfichtspunkten verfährt, zu
billigen, wie z. B. in der trefflichen, an G. Baur und
Schräder angefchloffenen Ausführung über die Simultan-
fchule. Von einem näheren Eingehen auf die Kritik
jener Gefetzgebung darf hier umfomehr abgefehen werden
, als diefelbe aus der vom Verf. geleiteten Kirchenzeitung
zur Genüge bekannt ift. Nur an einigen fpeciell
theologifchen Punkten möchte ich nicht vorüber gehen.
Am Schluffe des Ganzen fpricht der Verf. aus, dafs es
fich in jeder religiöfen Weltanfchauung um Gott, Menfch
und Welt handle. So trivial diefe Wahrheit klingt, fo
erfreulich ift es, fie an diefer Stelle ausgefprochen zu
fehen. Daran kann fich ja mit der Zeit die weitere Er-
kenntnifs knüpfen, dafs in der religiöfen Weltanfchauung,
welche um ihres Zweckes willen ein Ganzes fein mufs,
weder Gott noch Menfch noch Welt in Betracht kommen
kann, aufser in Beziehung auf die beiden anderen. Wenn
der Verf. dazu gelangte, fo würde er wahrfcheinlich in
feiner Dogmatik die Gotteslehre nach den trefflichen
Worten Luther's umgefüllten, welche er ihr jetzt als die
ftärkftc Kritik dcrfelben voraufgefchickt hat. Auffallend
ift, dafs der Verf. noch immer die verkehrte Anficht von
der Reformation befolgt, nach welcher diefelbe das Recht
der Subjectivität zur Anerkennung in der Kirche gebracht
haben foll. Die perfönliche Wendung, welche dem ob-
jectiven Heil gegeben wurde, foll der Fortfehritt fein,
welchen die Entwickelung des religiöfen Geiftcs der Reformation
zu danken habe. Ich möchte wohl wiffen, ob
jemand im Ernft glauben kann, dafs eine folche perfönliche
Wendung, wie fie der Verf. aus Luther's Auslegung
der drei Glaubensartikel anführt, frommen Chriften im
Mittelalter unbekannt geblieben fei. Und was jenes