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Ausgabe:

1881 Nr. 23

Spalte:

553-554

Autor/Hrsg.:

Vaihinger, H.

Titel/Untertitel:

Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum 100jährigen Jubiläum derselben hrsg. 1. Bd. 1. Hälfte 1881

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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553

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 23.

554

fophie felbft erfcheint es dem Ref. erforderlich, ftatt der
Anwendung des Caufalitätsbegriffcs auf Ueberweltliches,
die dasfelbe in die Welt hereinzieht — auch der Verf.
geht diefe Bahnen nicht ohne Bedenken und meift nur
hypothetifch — ftatt einer Religionsphilofophie, die der
Qualität nach eine gleichartige Weiterführung der Meta
phyfik, dem Geltungswerth nach freilich problematifch ift,
fich auf das qualitativ andere Gebiet der ,äfthetifchcn'
Weltbcurtheilung zu begeben. Wird doch in der Religion
die thatfächlich vorhandene Welt, mit deren Zufammen-
hängen die Wiffenfchaft, in letzter Linie die Metaphyfik
es zu thun hat, auf ihren Sinn und Werth beurtheilt. Es
ift eine andersgeartete, aber nicht minder gültige Realität
, die fich hier aufthut und die der Meffung an der
theoretifchen Realität fich ebenfo entzieht, wie fie der
Bafirung auf diefelbe nicht bedarf. Wenn hier die meta-
phyfifchen Kategorien z. B. in den Begriffen von
Schöpfung, Weltregierung u. f. w. gebraucht werden, fo
ift damit doch nicht ein Wirken Gottes gemeint, welches
der Naturcaufalität gleichartig gedacht würde, fondern
diefelben find hier Symbole für die Beurtheilung des weltlichen
Gefchehens auf feinen Sinn und Werth für den
fühlenden und wollenden Menfchen. Wenn die Anhänger
Herbart's für die Religionsphilofophie von diefen Gedanken
, die doch auch fie aus dem Erbe Kant's bewahren,
Gebrauch machen, fo werden fie der Theologie nicht
blofs in der Abwehr gemeinfamer Feinde, wie bisher
ichon, fondern auch in pofitiver Arbeit dankenswerthe
Dienfte leiften.

Magdeburg. J. Gottfchick.

Vaihinger, Privatdoc. Dr. H., Commentar zu Kants Kritik
der reinen Vernunft. Zum 100jährigen Jubiläum der-
felben hrsg. 1. Bd. I. Hälfte. Stuttgart 1881, Spe-
mann. (XVI, 208 S. Lex.-8.) M. 4. 50.

Nach dem Vorwort werden folgende Grundfätze die
leitenden fein. Die Methode foll die ftreng philologifch-
hifforifche fein, wie fie von Bonitz, Waitz an den grie-
chifchen Philofophen geübt ift. Es foll gegeben werden
eine fortlaufende und erfchöpfende Interpretation des
Textes, und zwar fo, dafs die Parallelftellen als die
wichtigften Interpretationsbehelfe angeführt werden, das
gefammte bisherige exegetifche Material, natürlich mit
kritifcher Sichtung hineingearbeitet, die gefammte apo-
logetifche und polemifche Literatur herbeigezogen wird,
die Anknüpfungspunkte der Epigonen hervorgehoben
werden, auch der moderne Streit zwifchen Rationalismus
und Pimpirismus u. f. w. Berückfichtigung findet.
Was die Kritik der Kant'fchen Philofophie betrifft, fo
will der Verf. fich auf die immanente befchränken. In
angehängten Excurfen follen die Fragen über A priori,
Ding an fich u. f. w. erörtert werden. Den Schlufs
follen Namen- und Sachrcgifter bilden. — Ref. hat den
Gedanken eines Commentars zur Kritik mit Freuden
begrüfst; der vorliegende nun wird ein wefentliches
Hülfsmittel für ein eingehenderes Studium Kant's fein,
wenigftens für den, der einigermafsen in Kant und die
Kantliteratur fich hineingearbeitet hat; für den Anfänger
freilich wird die erdrückende Menge des von dem Verf.
mit dankenswerthem Fleifs zufammengetragenen Mate-

Berichtigung.

Gegen die Recenfion meines Buches: ,Das völlige gegenwärtige Heil
durch Chriftum' in Nr. 20, erlaube ich mir, ohne auf das Ganze hier eingehen
zu können, infofern Einfprueh zu erheben, als der Herr Recenfent
meine Lehre befonders in einem funkte irrig referirt und mich fo in ein
falfches Licht gebracht hat.

Es heifst dort: ,Wer die dem Chriften hienieden erreichbare Vollkommenheit
als Sündlofigkeit fafst, der mag fich drehen und wenden,
wie er will, er fällt unter das Urtheil von I. Joh. I, 10, delfen Gewicht
i auch der Verfaffer vergebens abzufchu ächen fucht'. Ich habe aber

däisTerwirrend fein. - Nach des Ref. Meinung verdient | „n, „„„ „;.,„ -

Dogmatismus, Skepticismus und Kriticismus darftellt und
mit etwas übertriebener Luft am Schematifiren die Ver-
mittlerftellung des letzteren beleuchtet, fowie die verfchie-
denen Auffaffungen der Kritik zufammenftellt. Mit des
Verf.'s Entfcheidung, die Kritik habe nur einen Zweck
gehabt, eine Reform der Philofophie und ihrer Methode
durch Vermittlung des Dogmatismus und des Skepticismus
, ift freilich wenig geholfen, weil die Richtung der
Vermittlung nicht angegeben ift. Werthvoller ift der
Plinweis auf die bisher nicht beachtete Möglichkeit, dafs
die Differtation von 1770 aus dem Einflufs von Leibniz'
1765 erfchienenen nouveaux essais zu begreifen ift; diefe
Möglichkeit ift dem Ref. befonders um der Stellung
willen wahrfcheinlich, welche Kant dort zu der Frage
nach dem Angeboren- oder Erworbenfein der Begriffe
einnimmt, die Begriffe Raum und Zeit find ihm erworben
, angeboren ift nur das Gefetz des Gemüthes; die
rationaliftifche Wendung überhaupt dagegen wäre fehr
gut auch direct durch die Einficht in die Confequenzen
Humc's zu begreifen. Auf die Einleitungen folgt eine
Interpretation von Titelblatt, Motto, Widmung (8 Seiten!)
und von der Vorrede zur I. Auflage (77 Seiten!!). Mehr
gerechtfertigt als diefe völlig überflüffige Breite ift
die Ausführlichkeit der Erklärung zu der Einleitung
der Kritik nach beiden Auflagen. Diefelbe wird noch
die zweite Hälfte des erften Bandes füllen. Das Ver-
fprechen, dafs der Commentar zur Analytik nnd Dialektik
kürzer ausfallen foll, kann Ref. nicht eben würdigen;
dort liegen ja die Hauptfchwierigkeiten.

Uebcr den Werth deffen, was der Verf. abgefehen
von der Herbeifchaffung des Materials und von den
inftruetiven Dispofitionen als Interpret und immanenter
Kritiker leiften wird, läfst fich noch nicht recht ur-
theilen, da die abfchliefsende Erörterung der prin-
cipiellen Fragen noch ausfteht. Doch kann einem die
Befürchtung auffteigen, dafs die ,Exactheit' der Methode
hier zu dem Refultatc führen möchte, Kant's Syftem als
finnlofes Gewebe von Widerfprüchen darzuftellen, wenn
z. B S. 173 die Behauptung Braftberger's, dafs der
— auf dem Boden des empirifchen Realismus, auf den
Kant doch fich ftellt, felbftverftändliche — Satz, das
Erkenntnifsvermögen werde durch die unferc Sinne rührenden
Gegenftände zur Ausübung erweckt, nach Kant's
eigner Lehre widerfinnig fei, wenn diefe Behauptung mit
hohem Beifall begrüfst wird. Bei der Peinlichkeit, mit
welcher an Kant ,immanente' Kritik geübt wird, möchte
Ref. hervorheben, dafs Verf. den ,vollften Gegenfatz',
welchen er S. 177 zwifchen Sätzen der Kritik und der
Prolegomenen conftatirt, nur dadurch hat finden können,
dafs er das Adjectivum .logifche' vor Verknüpfung weg-
gelaffen hat (</. Proll. $ 18. Abf. 2).

Magdeburg. J. Gottfchick.

DK

naiS verw..,C..u .cm. -piaVo" und' Arifto- i Uml nirBends von eine^ mögHchen'^ünionßkdt^d« gehegten Chriften

Kant auch fo gut und noch mehr wie Plato und Anfto- • geredet Im Gegentheil habe ich 'a{ ^ Joha£„ fftel ein bIei.

teles einen folchen eingehenden Commentar; Oetremd- bendes .Sünde haben' der geheiligteften Chriften im Unterfchiede von

lieh ift ihm die gleiche Ueberzeugung aber bei dem Verf. .Sünde thun' wiederholt und nachdrücklich behauptet cf. S. 67—72. 197

eewefen, der anfeheinend dem Empirismus huldigt. ~2.0o""d ge'eh,rt- dafs d« in Jefu bleibende Chrift (welcher, fo lange

Tlif vnrlieo-r-nrie erfte Hälfte des erften Bandes ent- " 111 , , he,1,gende" Verhältnifs treu beharrt, noch der klaren Ausfage

, , Die vorliegende erltc Haltte des eriten nancies enr. von , Joh ^ 6 ^ fündigt,) doch noch die Sündennatur in fich habe

hält zunachft eine allgemeine Pdnleitung, welCtlC lieh Uber u„d wegen diefes Zuftandes und wegen feiner unbewufsten Verfehlungen

die hiftorifche und die gegenwärtige Bedeutung aus- etc. täglich nöthig habe, die fünfte Bitte zu beten. Wenn jemand

fnricht die der Katltifchcn Philofophie vermöge ihres die Möglichkeit der Schuldlofigkeit eines Wiedergeborenen lehren follte.

vermittelnden Charakters zukommt, und eine Ueberfich- [0r,,wde'fl. cht dem meinr L.uc,h an vielen Stellen und in feiner g««en

vtruiiiiciiicy-' «, ___ Grundanfchauung ganz entfchieden.

über die Kanthteratur feit 1781 giebt, fodann ein fpe- Ueber denbsfnn von vollUommen und Vollkommenheit in der Bibel

Cielle Einleitung, welche ausführlich die Anheilten des habe ich gerade S. 282—287 nachgewiefen, dafs diefe Worte nicht die