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Ausgabe:

1881 Nr. 23

Spalte:

550-553

Autor/Hrsg.:

Flügel, Otto

Titel/Untertitel:

Die speculative Theologie der Gegenwart kritisch beleuchtet 1881

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 23.

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gedichtet habe, üs handelt (ich einfach darum, ob die
Hymnendichter vor Ambrofius und auch Ambrofius felbft
nur die Quantität der Silben den Gefetzen der claffifchen
Metrik gemäfs für das Versmafs entfeheiden liefsen, oder
ob auch fie fchon f. g. rhythmifchc (accentuirende) Hymnen
dichteten; was Kayfcr gegen die erftere und für die
letztere Anficht fagt, fcheint uns den Ausführungen der
genannten Kritiker gegenüber nirgend von Bedeutung
und überzeugt den Lefer um fo weniger, als fich den
Beweisführungen des Verf.'s überhaupt eine gewiffe Un-
ficherhcit leicht anmerken läfst. So wenn S. 130 zuge-
ftanden wird, dafs von den vielen Hymnen, welche unter
dem Namen des Ambrofius ,umgeboten' werden, fich
nur vier mit hiftorifcher Gewifsheit als echt nachweifen
laffen, und dann doch S. 193 behauptet wird, dafs unter
den übrigen ihm zugefchriebenen ,ganz gewifs nicht
wenige von Ambrofius felbft verfafst find', was dann
betreffs zweier doch wieder auf gcfchichtlichem Wege
wahrfcheinlich zu machen verfucht wird, vgl. namentlich
S. 196 ff. Dicfem eigenen Schwanken gegenüber
fällt die Härte auf, mit welcher der Verf. mitunter über
andere Lorfcher abfpricht; fo ift z. B. die Anm. 3 auf
S. 84 eine offenbare Ungerechtigkeit gegen Mone;
cernui las Mone in feinen Handfchriften C und D, und
von der Lesart cemuo fagt er, fie fei gegen den Reim;
es handelt fich alfo keinenfalls um eine von allen äufsern
und innern Gründen verlaffene Conjectur Monc's, wie
Kayfer fagt. Auch fonft fehlt es den Angaben des
Verf.'s nicht feiten an rechter Genauigkeit; namentlich
find aber Wiederholungen felbft nebenfächlichcr Dinge
fehr häufig. Solche Flüchtigkeiten wie die, dafs S. 72,
Anm. 3 für den Hymnus Jam surgit hora tertia auf ein
anderes Werk des Verf.'s, eine anthologia hymnonim lati-
norum verwiefen wird, während diefer Hymnus in dem
vorliegenden Werke felbft S. 186 ff. abgedruckt und ausführlich
commentirt ift, follten in einer zweiten Auflage
nicht mehr möglich fein. Die Erklärung der Hymnen,
die namentlich anfänglich ausnehmend weitläufig ift, enthält
vieles, was wenigftens für proteftantifche Theologen
oder Philologen zu fügen nicht nöthig gewefen wäre,
vgl. z. B. das über Spiritus und naqäxlrpoi: S. 77 f. Ge-
fagte. Die Ueberfetzung der Hymnen, die um ganz
genau fein zu können, in Profa gegeben ift, weicht
manchmal doch in zu freier Weife vom Original ab;
vgl. z. B. S. 115 den Schlufs der angeführten Strophe.

Trotz diefer Ausftellungen, welche fich leicht vermehren
und durch weitere Bcifpicle belegen liefsen,
kann das Werk doch feinen nächften Zweck, die Be-
kanntfehaft mit einer Anzahl älterer Hymnen zu vermitteln
und zum Vcrftändnifs derfelben anzuleiten, wohl
erfüllen; zu ,einer Gefchichte der kirchlichen Hymnodik
bis auf Gregor den Grofscn', zu der der Verf. ,einen er-
ften Anlauf machen wollte, liefert es uns keine brauchbaren
Beiträge.

Hamburg. Carl Bertheau.

1 Nielsen, Prof. Dr. Fredr., Die Waldenser in Italien. Aus

dem Dänifchen. Gotha 1880, F. A. Perthes. (40 S.
« 8.) M. —. 60.

2. Comba, Prof. Emilio, Valdo ed i Valdesi avanti la ri-

forma. Cenno storico. Firenze 1880, coi tipi dell'
arte della stampa. (61 S. gr. 8.)

Das an erfter Stelle genannte Schriftchen giebt nach
dem Vorwort des Ueberfetzers A. M. (ohne Zweifel AI.
Michelfen, der uns fchon fo häufig dänifche Theologie
zugänglich gemacht hat) im Wefentlichen einen Vortrag
wieder, welcher von Prof. Nidfen im Kopenhagener
Verein für populäre kirchen - und miffionsgcfchichtliche
Vorträge gehalten worden ift. Er verbreitet fich 1) über
Entftehung, Lehre und Gefchichte der Waldenfer bis zur
Reformation, 2) ihre Schickfale feit der Reformation bis

zum Erlöfchen der Verfolgung, 3) das neue Aufleben
der Waldenferkirche in unterem Jahrhundert. Wir können
nicht fagen, dafs wir es fehr bedauern würden, wenn
uns der Vortrag nicht zugetragen worden wäre, oder
dafs gewichtige Gründe feine Veröffentlichung rechtfertigten
, man müfste denn den Wunfeh, der Sache der
Waldenfer Theilnahme zu erwecken, allein fchon als
einen folchen gelten laffen. Das Ganze ift viel zu fkiz-
zenhaft, um gerade einem gröfsern Kreife von Gebildeten
eine wirkliche, lebendige Vorftellung von dem eigen-
thümlichen Wefen und den gefchichtlichen Vorausfetz-
ungen der Erfcheinung zu geben. Das tritt namentlich
im erften Abfchnitt hervor, aber auch da, wo von der
Berührung der Waldenfer mit der Reformation die Rede
ift. Der Verf. führt aber auch feine Lefer geradezu irre,
giebt nicht nur ein undeutliches, fondern ein falfches
Bild. Bekommen wir doch hier wieder zu hören, dafs
dis alten Waldenfer ,bei Kleinem fchon anfingen, von
der Rechtfertigung aus dem Glauben zu reden'! 2. ,Non
si ha negli scritti valdesi la menoma allusione alla dot-
trina della giustificationc per la sola fedc' fagt dagegen
mit Recht Emil Comba, der verdicnftvolle Profeffor am
Waldcnfcrcolleg zu Florenz und Herausgeber der Ri-
vista Cristiana, in feiner oben genannten Schrift (S. 50.
Anm. 5), die man nur freudig willkommen heifsen kann
als einen wohlgelungenen Verfuch, durch eine gründliche,
auf die Quellen felbft zurückgehende Darfteilung die Re-
fultate der neueren Forfchung feinen Landsleuten nahe zu
bringen. Das innige perfönlichelntereffe, welches natürlich
und mit Recht in den Kreifen des Verf.'s an der Vergangenheit
der Gemeinfchaft genommen wird, verräth
fich in der Wärme der Darfteilung an mehr als einer
Stelle; am ftärkften vielleicht da, wo er an den paiipcrrs
catholki, welche mit dem Papft ihren Frieden machten,
mit den Worten Dante'fcher Indignation über die,
welche weder warm noch kalt, Gott und feinen Feinden
mifsbehagen, vorübergeht: tum ragionam di lor, via
guarda e passa (Div. Com. Infern. 3, 51). Bei diefer per-
fönlichen Anthcilnahme ift es um fo mehr anzuerkennen,
dafs hier in keiner Weife mehr mit den alten Illufionen
in Betreff des Alterthums oder des evangelifchen Charakters
der Gemeinfchaft pactirt wird. Sowohl die ge-
fchichtliche Entftehung wird in der befonnenften Weife
erörtert, als auch der Charakter der Lehren und Grund-
fätze ohne Hineintragung der fpäteren proteftantifchen
Gefichtspunkte gezeichnet und mit Liebe, aber auch mit
nüchterner Treue ausgeführt (S. 46 ff.). Nur flüchtig
geht der Verf. auf die alte Literatur der Waldenfer, auf
die verfchiedenen Schichten derfelben hindeutend, ein.
Die Schrift Comba's bildet übrigens einen Theil eines
gröfseren literarifchen Unternehmens, dem der befte
Fortgang zu wünfehen ift: Storia de' martiri della riforma
Italiana; fie gehört nämlich zur fntroduzionc' diefes
Werks, welches in einer Anzahl einzelner Hefte fich über
die primitive Kirche, ihren Verfall und die ,reazioni mc-
dioevali' verbreitet.

Kiel. W. Möller.

Flügel, O., Die speculative Theologie der Gegenwart kritisch
beleuchtet. Kothen 1881, Schulze. (III, 392 S. gr. 8.)

M. 6. —

Das Buch ift nach Stoff und Standpunkt eine Fort-
fetzung des zu wenig beachteten Buches von Thilo, Die
Wiffenfchaftlichkeit der modernen fpeculativen Theologie
. An fich falfch und in der Theologie von deftruc-
tiver Wirkung ift der Monismus, die Anfchauung, welche
das Gegebene aus einer Subftanz erklären will; an fich
richtig und für die chriftliche Lehre von Gott durchaus
brauchbar ift die Metaphyfik Herbart's, welche eine ur-
fprüngliche Mehrheit von Seienden annimmt; eine unmögliche
und unklare Halbheit ift der neukantifchc Verzicht
auf Metaphyfik, das find die Grundgedanken des