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Ausgabe:

1881 Nr. 22

Spalte:

517-519

Autor/Hrsg.:

Lange, J. P.

Titel/Untertitel:

Grundriss der Bibelkunde 1881

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 22.

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zugängliches und faft völlig unbebautes Gebiet zu bearbeiten
, und hat auf diefem Wege nicht nur ein reiches
Material zum erftenmale weiteren Kreifen erfchloffen,
fondern dasfelbe auch lichtvoll gruppirt und im Wefent-
lichen unter den richtigen Gefichtspunkten dargeftellt.
Dies fichert ihm für immer den lebhaften Dank aller
derer, welche auf diefem Gebiete zu arbeiten haben.
Aus diefem Grunde verzichten wir auch darauf, noch
einige kleinere Ausftellungen zu machen, zu welchen da
und dort wohl Veranlaffung wäre. — Sehr dankenswerth
ift auch das von den Herausgebern beigefügte forg-
fältige Regifter.
Giefsen. _ E. Schürer.

Lange. Obercomiftorialrath Prof. Dr. J. P., Grundriss der
Bibelkunde. Heidelberg 1881, C. Winter. (XII, 298 S.
gr. 8.) M. 6. —
Die lange Einleitung bezeichnet als den fchwerften
Schaden der gegenwärtigen Bibelftudien, dafs auf pofi-
iiver wie auf negativer Seite eine gleich geifttödtendeBuch-
ftäblichkeit herrfche, die .fymbolifche oder poetifch fen-
tentiöfe Sprechweife des theokratifch ariftokratifchen
Geiftes' der Bibel aber verkannt werde. Sämmtliche
Verkehrtheiten, welchen vorliegende ,Bibelkunde' als
Gegengift dienen foll, werden fofort auf drei Wurzeln
zurückgeführt: erftlich die Mifsachtung des Gewiffens in
der Ethik Rothe's, als komme das Gefetz ,nicht vom
Sinai herab', fondern arbeite fich ,aus den tiefften, vielleicht
fumpfigen Niederungen, etwa als Klippdachs, empor
'; zweitens der ,auf den Kopf gcftellte Gemeindebegriff
' des Erlanger Hofmann und Anderer (vgl. S. 9),
als fei das Heil in erfter Linie der Kirche, erft in zweiter
den Individuen zugetheilt'; drittens die Chriftologic
von Hermann Schultz, fofern fie ,dazu angethan ift, die
Kaftanien theilweife für einen Anderen (das ift wohl ,den
Dr. Ritfehl' S. 101) aus dem Feuer zu holen', und das
grundlegende Wiffen davon vermiffen läfst,, dafs die menfeh-
liche Perfönlichkeit überhaupt trinitarifch angelegt und
dafs die menfehliche Natur durchweg die Einigung vor
zwei Naturen ift'. ,Uebrigens bemerken wir — heifst es
am Schluffe — dafs zur didaktifchen Berührung der
Chriftologu:, gefchweige zu Reformen derfelben. Beruf
gehört'.

Es ift alfo ein Mann von Beruf, der fich uns naht, um
vor Allem ,eine heilfame Reaction auszuüben gegen die
krankhafte Ueberfpannung der kritifchen Einleitungs-
wiffenfehaft, welche ihre Hauptaufgabe, die fachliche
Darlegung des Inhalts der biblifchen Bücher, immer
mehr vernachläffigt' (S. 5). Eine Art Rettung foll ver-
fucht werden an dem ,geiftreichften Buch der Welt',
welches gleichwohl ,vielfach von mittelmäfsigen Köpfen
behandelt wird' (S. 7). ,Es fcheint ein Verhängnifs zu
fein, dafs der Unverftand am Grofsen, Myfteriöfen, Idealen
'zum Mifsverftand werden mufs'. Diefe Bemerkung
gilt zunächft denjenigen Kritikern, welche die an der
Perlon des Jefaja von Manaffe verübte Unthat an feinem
Buche wiederholen, indem fie das Stück 40—66 abfägen
(S. 105). Ebenfo werden ,die modernen Geifter, welche
feiber in dem wiederentdeckten Deuteronomium den köft-
lichltcn kritifchen Fund meinen gemacht zu haben' (S.
66. vgl. auch S. 116 f. 123), belehrt, dafs Mofes, wie fchon
vor ihm Jofeph feine .Memorabilien' gefchrieben (S.
41), von denen einige, folche nämlich, welche feine
eigene gefetzgeberifche Thätigkeit in prophetifchem
Geilte commentirten (S. 51) — zur Grundlage des Deu-
teronomiums geworden find (S. 42. 53). In diefem Geifte
geht die Generalcur diefer ,Bibelkunde' munter weiter,
begleitet von einer ebenbürtigen Philofophie der heiligen
Gefchichte, wie fie nür ein Theologe zu liefern vermochte
, welcher feinen Standpunkt nicht vor, fondern
hinter den Couliffen des Weltdramas gewählt hat, fo
dafs ihm die letzten Motive auch des Wunderbarften

nicht verborgen bleiben. ,Die Entruckung des Elias —
um nur Ein Beifpiel zu bringen — war fo zu fagen zur
Nothwendigkeit geworden, da er als der gewaltige Re-

! ftaurator des Gefetzes Feuer vom Himmel fallen liefs
und in feiner gefetzlichen Confequenz auf dem Wege
war, die ganze Erde zu verbrennen' (S. 63). ,Der Held
der theokratifchen That konnte fich noch in das Leiden
nicht finden, daher mufste er in einem feurigen Wetter

; gen Himmel fahren' (S. 114).

Diefes fein unmittelbares Wiffen um alle Geheim-
nifse der literarifchen und der hiftorifchen Kritik hebt den
Verf. natürlich leicht über alle Gegenfätze, Einfeitig-
keiten und Verranntheiten des theologifchen Schul-
fchwarmes hinweg. ,Wie früher der Orthodoxismus

j durch feinen pofitiven Buchftabendienft die heilige Schrift
vielfach verfchloffen hat, fo thut das jetzt noch viel-

1 mehr der negative Liberalismus' (S. 36). Daher die Po-

j lemik diefer,Bibelkunde' durchgängig eine zweifchneidige
und nicht blofs gegen den Fortfehritt gerichtete ift.
Hiftorifche Auffaffung des Buches Hiob z. B. ,ift nur

I möglich bei einer ganz mafslofen Ausdehnung der In-
fpirationstheorie' (S. 81). Man follte aber von Infpira-
tion nicht der Bücher, fondern ihrer Grundgedanken
reden, und da es der altteftamentlichen Bücher 38, der
neuteftamentlichen 27 find, ,beruht die Infpiration der
ganzen Bibel darauf, dafs 65 Gottesgedanken infpirirt
find' (S. IO).

Auf diefem Standpunkte käme es alfo vornehmlich
darauf an, die befagten Grundgedanken durch forgfältige
Analyfe des Inhalts der einzelnen Bücher zu möglichfter
Durchfichtigkcit zu erheben. Und das war auch offenkundig
die Abficht des Verf.'s, der uns hier eine Art
Quinteffenz feines ,Bibelwerkes' bietet. Wir befürchten
freilich, dafs ein folches Ziel da nicht als erreicht gelten
könne, wo uns anftatt einer gedrängten Reproduction
des Gedankengangs nur fo dürre Capitelüberfchriften
von zweifelhafter Richtigkeit geboten werden, wie z. B.
S. 272 bezüglich des Jakobusbriefes: ,1. Das Thema,
I Warnungen, Cap. 1, 12. Vor Schwärmerei, Cap. 1,
I 13—18. Vor fanatifchem Eifern, Cap. 1, 19—27. Vor
J Verachtung der Heidenchriften, Cap. 2' u. f. w.; oder
i wo das der Schematifirung zu Grunde liegende Apergu
j fo fadenfeheiniger Natur ift, wie wenn z. B. S. 221 f.
1 der zweite Korintherbrief in lieben Theile zerlegt wird,
deren erfter und letzter eben den Anfang und das Ende
enthalten, während die mittleren die .Lauterkeit' des
Apoftels in fünffacher Richtung darlegen follen, wenn
S. 199 der Inhalt von Apoftelg. 2 — 12 auf vier innere
[ und fünf äufsere Verdunkelungen der Kirche zurückge-
| führt, wenn S. 183 die Capitel Matth. 5—16 nach dem
i munus triplex disponirt werden, wenn S. 92 der Prediger
j Salomo in elf .Phänomene', S. 43 die Genefis in fechs
I .Haupturfprünge' zerfällt u. f. w. Auf ein derartiges,
I vielleicht geiftreiches, vielleicht aber auch wohlfeiles
Schematifiren läuft die hier am Schriftinhalte «eübte
i Kunft faft durchweg hinaus. Da giebt es im Neuen
Teftament eine .grofseTrilogie der antijudaiftifchen Briefe'
| (S. 265), im Alten eine falomonifche Trilogie, darftellend
; der Welt Gründung durch die Weisheit (Sprüche), ihre
Vereitelung durch die Thorheit (Prediger), ihre Verklär-
! ung durch die Liebe (Hohes Lied), wie zu wiederholten-
j malen ausgeführt wird (S. 40. 86 f.). Die Einficht in das
| Wefen der vier Evangelien wird im Ganzen, wie im Einzelnen
aus einer tieferen Erfaffung der vierfachen Cherubs-
geftalt hergeleitet (S. 176 f. 181. 185. 187. 194). Aber
auch die Pfalmen 18 und 104 werden unter einen Ge-
fichtswinkel verbracht, kraft deffen fie fich zu einander
j verhalten wie Cherubim zu Seraphim (S. 76. 107). Es
| fleht zu beforgen, dafs Vieles von dem, was der Verf.
in dem ihm eigenthümlichen und mit befonderer Em«
phafe vorgetragenen Lehrartikel von der .Concordanz'
(S. 19 f.) über die .geraden Linien' fagt, welche von An-
| fang der Schrift bis zu deren Ende hinlaufen follen (S