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Ausgabe:

1881

Spalte:

513-517

Autor/Hrsg.:

Weber, Ferd.

Titel/Untertitel:

System der altsynagogalen palästinischen Theologie, aus Targum, Midrasch und Talmud dargestellt 1881

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologische Literaturzeitung.

Herauso-eo-eben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 22. 22- October 1881. 6. Jahrgang.

Weber, Syftem der altfynagogalen paläfti-

nifchen Theologie (Schürer).
Lange, Grundrifs der Bibelkunde (Holtzmann).
Justini Opera, edid. de Otto T. III. P. II. (A.

1 larnack).

Hatch, The Organization of the early Christian
churches (A. Harnack).

Zeitfchrift für Kirchenrecht, hrsg. von Dovc u.

Kriedberg (Köhler).
Frank, Syftem der chriftlichen Wahrheit (Herr-

mann).

Zahn, Die natürliche Moral (Wendt).
Eh renhau fs, Die neuere Philofophie und der
chriftliche Glaube (Thönes).

Laurier, Diegefchichtliche Nothwendigkeit des
Chriflenthums (Thönes).

Funcke, Seelenkämpfe und Seelenfrieden (Lindenberg
).

Müller, Predigten über den Sündenfall (Fay).

Weber. Pfr. Dr. Ferch, System der altsynagogalen palästi- fein können. Denn das, was er darftellt, ift der An

nischen Theologie, aus Targum, Midrafch und Talmud
dargeftellt. Nach des Verfaffers Tode hrsg. von Frz.
Delitzfch und Georg Schnedermann. Leipzig
1880, Dörffling & Franke. (XXXIV, 399 S. gr. 8.)
M. 7. —

Die Arbeit, die wir hier anzuzeigen haben, ift das
Vermächtnifs eines Verftorbenen. Der Verf. hat Jahre
lang im Dienfte der Judenmiffion geftanden und hat in
deren Interefle mit unermüdlichem hingebendem Eifer fich
auch in der rabbinifchen Literatur (Talmud und Midrafch)
heimifch zu machen gefucht. Das Ziel, das er dabei
hauptfächlich im Auge hatte, war die Ausarbeitung eines
Syftems der j'üdifchen Theologie, das, unmittelbar aus
den Quellen gefchöpft, eine objective getreue Darftellung
des jüdifchen Anfchauungskreifes geben follte. Es war
ihm noch vergönnt, das Manufcript zu vollenden. Vor
beginn des Druckes ift er ,langem Siechthum erlegen'.
Und die beiden auf dem Titel genannten Herausgeber
haben es übernommen, das Werk der üeffentlichkeit zu
ubergeben.

Die Darfteilung Weber's ift die erfte diefer Art,
die wirklich auf felbftändiger, umfaffenderDurch-
forfchung der Quellen beruht, und überall di-
rect aus Siefen gefchöpft ift. Sie unterfcheidet fich
dadurch namentlich von denl fonft verwandten Werke
Gfrörer's (Das Jahrhundert des Heils, 2 Bde. 1838),
welchem fie ebendeshalb auch an Vollftändigkeit und
Übjectivität weit überlegen ift. Das Werk von Lang en
Das Judenthum in Paläftina zur Zeit Chrifti, 1866) kann
aber deshalb kaum in Vergleich gezogen werden, weil
Langen fich lediglich auf die Literatur der Apokryphen
und Pfeudepigraphen ftützt und von Talmud und Midrafch
gänzlich abfieht, was denn die feltfame Folge hat,
dafs bei ihm gerade von der Hauptfache nicht die Rede
ift, nämlich von der Prärogative Israels, vom Wefen
des Gefetzes und von der Nothwendigkeit der Gefetzes-
beobachtung für die Erlangung des Heiles. Weber
feinerfeits läfst die von Langen benützte Literatur ganz
aufser Betracht und benützt als Quellen nur die Tar-
gume, die Midrafchim und die talmudifche Literatur
. Er thut dies deshalb, weil er jene Pfeudepigraphen
nicht als Vertreter des correcten und gleichfam officicl-
len Judenthums betrachtet. Das gilt aber doch höchftens
von einigen derfelben; und wird auch von Weber nur
in Bezug auf einige beftimmt behauptet (S. XI). Eben
deshalb hätte aber nicht fafl vollfländig auf ihren Gebrauch
verzichtet werden dürfen. Infolge der Befchrän-
kung auf die fpäteren Quellen ift das Buch Weber's
auch nicht fo direct für den neuteftamentlichen Theologen
verwendbar, wie es fonft vielleicht hätte der Fall

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fchauungskreis des eigentlich talmudifchen Judenthums,
etwa vom 4. bis 7. Jahrhundert und weiter. Was er
mittheilt, gilt alfo nicht ohne Weiteres auch für die neu-
teftamentliche Zeit; denn gerade in der talmudifchen
Zeit ift der jüdifche Vorftellungskreis noch fehr ftark,
wenn ich fo fagen darf, mythologifch verwildert. Die
Grundzüge freilich find diefelben geblieben. Und fofern
es fich nur um diefe handelt, gewinnt man aus der Darfteilung
Weber's ein fehr treues und anfehauliches Bild
von dem Wefen des pharifäifchen Judenthums im Zeitalter
Jefu Chrifti.

Vor allem nämlich ift an feiner Darftellung anzuerkennen
die hiftorifche übjectivität der Auffaffung
und Beurtheilung. Er ift gleichweit entfernt von der
eitlen Schönfärberei, die in modern-jüdifchen Arbeiten
fich breit macht, wie von der gehäffigen Auffpürung
gerade des Schmutzigen, worin z. B. ein Eifenmenger
und Rohling fich auszeichnen. Es ift wirklich die Arbeit
eines Hiftorikers, der fich mit Hingebung in feinen Stoff
verfenkt hat und ihn mit richtigem Verftändnifs wieder-
giebt. Auch von der Manier mancher älteren Apologeten
ift der Verf. frei, in Talmud und Midrafch mög-
lichft viel Anklänge an chriftliche Dogmen finden zu
wollen. Es ift.das ja auch eine feltfame Art der Apologetik
, den Werth des Chriftenthums damit zu erweifen,
dafs man zeigt, alles Wefentlichc finde fich eigentlich
fchon im Judenthum.

Die Vollftändigkeit der St of ffammlung zu be-
urtheilen ift Ref. zwar nicht in der Lage. Jedenfalls ift
aber fo viel ficher, dafs nichts Wefentliches übergangen
ift, und dafs gerade die wichtigften Punkte, nämlich die
Lehre vom Gefetz, vom fittlichen Vermögen des Men-
fch en, von der Erwerbung der Gerechtigkeit und des
Heiles durch Gefetzeserfüllung und von der Ausgleichung
begangener Uebertretungen durch die verfchiedenen
Mittel der Sühnung, mit befonderer Ausführlichkeit behandelt
find. Weniger ausführlich ift die Darftellung bei
der Lehre von Gott, von den Engeln (S. 161 ff.) und
Dämonen (S. 242 ff.); auch bei den efchatologifchen
Lehren. Und man möchte hier wohl an einigen Punkten
ein fpecielleres Eingehen in das Detail und etwas
gröfsere Exactheit wünfehen. So ift z. B. das, was der
Verf. über den leidenden Meffias fagt (S. 343—347),
zwar in der Hauptfache fehr gut und richtig, aber doch
nicht vollfländig und deshalb auch nicht exaet. Es wird
mit Recht ausgeführt, dafs das Judenthum durchfehnitt-
lich nichts weifs von einer Sühnung der menfehlichen
Sünde durch die Leiden des Meffias. Es wird aber
überfehen, dafs doch einigemal in der rabbinifchen Literatur
und auch fchon von Trypho [Justin. Dia/, c. 89.
90) die betreffenden Stellen aus Jef. 53 auf den Meffias