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Ausgabe:

1881 Nr. 2

Spalte:

31-37

Autor/Hrsg.:

Zahn, Theodor

Titel/Untertitel:

Acta Joannis, unter Benutzung von C. v. Tischendorf’s Nachlaß bearbeitet 1881

Rezensent:

Overbeck, Franz

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 2.

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159 = Apoc. 64, aus dem 11. Jahrhundert) und drei
lateinifchen Bibelhandfchriften (darunter die berühmte
Bibel Karls des Kahlen) mehrere Blätter entwandt, welche
Herr Delisle im zweiten Bande des Cod. Harleian. 7551
des Britifh Mufeum wieder entdeckte. Im Jahre 1878
gelang es, die entfremdeten Beftandtheile wieder an
ihren urfprünglichen Ort zurückzuführen.

XV. Manuscrits divers acquis par la Bibliotheque nationale
en 1876, 1877 ct l878 (S. 359—505). Die in dem
genannten Zeitraum erworbenen griechifchen und orien-
talifchen Handfchriften find nicht mit aufgeführt. Die
Zahl der hier befchriebenen beläuft fich auf dreihundert
und einige zwanzig. Von den theologifchen fei, um diefe
Anzeige nicht zu fehr auszudehnen, nur eine namhaft
gemacht. Nouv. acq. lat. 256, aus dem 12. Jahrhundert,
enthält fol. 58 bis 119 das fog. Speculutn Augustini mit den
Citatennach der Itala. Ungeachtet ihres nicht eben hohen
Alters, wird diefe Handfchrift (neben den Codd. 2977 A
und 15082 der Bibliotheque nationale und dem Codex der
Cathedrale zu Puy, vgl. über letzteren Delisle in der
Bibliotheque de Fecole des chartes 1879 p. 43 ff.) fo lange
wenigftens als Quelle für den Text des Speculutn zu
dienen haben, bis der von Wifeman u. Mai benutzte Codex
von N. Croce di Gerusalennue einmal wieder auftaucht.
Der Verf. glaubt ihn augenfcheinlich noch in Rom, und
da mag er ja auch irgendwo noch verborgen gehalten
werden. Thatfache ift, dafs bei der Befitzergreifung des
Klofters feitens der italienifchen Regierung und Ueber-
führung der Bücher und Handfchriften in die Biblioteca
Vittorio Emanuele, gleich mehreren anderen der älteften
und werthvollften Stücke jener einft mit Recht berühmten
Bibliothek, auch der das Speculutn Augustini enthaltende
Codex nicht vorgefunden wurde. Davon hat fich Ref.
im Frühjahr 1879 in Rom felbft überzeugt. Und leider
fleht das Beifpiel von S. Croce nicht allein da.

Von den heben Tafeln des Atlas find die beiden
erften dem Pentateuch von Lyon (I), die dritte und vierte
der Papyrus-Bulle zu Dijon (III) gewidmet. Die übrigen
geben Proben von Handfchriften und alten Drucken, die
in diefem Referat nicht berührt worden find. Die Ausführung
der heliographifchen Nachbildungen im Atelier
des Herrn Dujardin entfpricht allen Anforderungen, die
man an ein Facfimile nur hellen kann — fofern fich ohne
Vergleichung mit den Originalen hierüber überhaupt
urtheilen läfst.

Göttingen. O. v. Gebhardt.

Zahn, Prof. Dr. Thdr., Acta Joannis, unter Benutzung
von C. v. Tifchendorf's Nachlafs bearbeitet. Erlangen
1880, Deichert. (CLXXII, 263 S. gr. 8.) M. 10.—

Man erhält in diefem Werk einen kritifchen Text
des fogenanntcn Prochorus und einen Verfuch der Re-
conhruction des den Apoftel Johannes betreffenden Ab-
fchnitts des fogenannten Leucius. Indem aber der
Herausgeber diefe Texte mit ausführlichen, he in Hinficht
auf Herkunft, Quellen, Verbreitung, hiftorifchen
Werth und Einflufs ihres Inhalts auf die kirchliche Tradition
prüfenden Einleitungen begleitet, hat er nichts
Geringeres unternommen als eine hiftorifche Würdigung
ziemlich der gefammten apokryphen Ueberlieferung über
den Apoftel Johannes — eine fehr intereffante, aber zur
Zeit noch recht anfehnliche und fchwierige Aufgabe.
Auch mufs Ref., alle Anerkennung des wirklich vom
Herausgeber Geleifteten und von einem fo felbftändig
unterrichteten und gründlichen Forfcher von jedermann
Erwarteten vorbehalten, geftehen, dafs die Früchte des
Fleifses des Herausgebers zum beträchtlichen Theile vom
Zuftande der Reife noch weit entfernt find.

Dies ift von der Zahn'fchen Ausgabe des Prochorus
insbefondere von competenter Seite fchon behauptet
worden (f. M. Bonnet in der Revue critique Nr. 23), und

auf eine neue Quelle des Textes — eine Emmericher
Handfchrift des lateinifchen Prochorus — ift der Herausgeber
felbft fchon hinzuweifen in der Lage gewefen
(Selbftanzeige in den Gotting, gel. Anz. 39. St.). Immerhin
hat fich der Herausgeber um Prochorus bedeutende
Verdienfte erworben. Ein folches war fchon, den alten,
von M. Neander 1567 vollftändig herausgegebenen griechifchen
Text aus langer Vergeffenheit zuerft wieder hervorzuziehen
— die Quelle desfelben ift inzwifchen von
Bonnet im Vatic. palat. 37 nachgewiefen worden — und
innerhalb eines fehr complicirten, aus Handfchriften und
Drucken des griechifchen Originals und lateinifcher,
arabifcher, koptifcher und flavifcher Ueberfetzungen be-
ftehenden Apparats mit fehr beachtenswerthen, durch
vollftändig abgedruckte Proben untcrftützten Gründen
eine mit B bezeichnete, von vier griechifchen Handfchriften
repräfentirte Claffe von Zeugen aus der
Reihe der übrigen als glättende Bearbeitung auszufcheiden
ift bei einem Texte diefer Art eine fehr mühfelige und
dankenswerthe Arbeit gewefen. Auf jeden Fall lieft fich
der von Zahn gebotene Text ohne wefentliches Hinder-
nifs. Seltfame Erfcheinungen aber bietet doch der Ab-
fchnitt über Procliane und ihren Sohn Sofipatros
(p. 135 ff.), welcher zwar in der jetzt vorliegenden Ge-
ftalt in den Zufammenhang des Prochorus aufgenommen
ift ('vgl. p. 145, 10 und die Bemerkung p. 150, 2 f. mit
Stellen wie p. 73, 14 f. 77, 17. 80, 3. 116, 13 f.), allein
p. 137, 9 ff. eine Parabel, p. 138, 7 ein Bild und p. 146, 11.
150, 10 f. paraenetifche Anreden der Lefer bietet, welche
aus dem Stil des übrigen Buches vollftändig herausfallen,
und auch in der Erfindung craffer als die übrigen Erzählungen
und felbft bei Prochorus befondersabgefchmackt
ift. Ueber Interpolationen des Buches erhält man
p. XXXVIII ff. recht lehrreiche Mittheilungen, wobei
aber ein Emendationsvorfchlag zu Theodorus von
Mopfueftia mit unterläuft (p. XL f.), der fich fchon durch
Vergleichung des lateinifchen Textes in Pitra's Spici-
legiutn erledigt, hier übrigens durchaus nicht zu Gunften
der Ufener'fchen, von Zahn mit gröfstem Recht be-
ftrittenen Schätzung der Acta Titnothei abgewiefen wird.
Richtig ift der Charakter der ganzen Erzählung des
Prochorus p. LH ff. gewürdigt, über die Entftehungszeit
des Buches lehnt der Herausgeber, die Zeit von 400—600
offen laffend, eine eigentliche Unterfuchung anzuflehen
ab (p. LVI). Auch kann man nicht fagen, dafs die Ausführungen
des Herausgebers p. LV ff. das Räthfel diefes
Buches wefentlich aufhellten, welches, die Wirkfamkeit
des Apoftels Johannes in Ephefus nur ftreifend, aber die
Tradition darüber auf jeden Fall in ihrer vollen Breite
vorausfetzend— das ergiebt fich aus dem chronologifchen
Syftem des Verfaffers p. 162, 3 ff. — es unternimmt, die
Zeit des Exils des Johannes auf Patmos mit Fabeln auszufüllen
, und dies zwar ohne jedes locale Intcreffe, da
Patmos für den Verfaffer eine blofsc Märcheninfel ift.
Insbefondere die eigenthümliche Verflechtung des Textes
des Prochorus mit der von Zahn auf Leucius zurückgeführten
Tradition ift mit den Bemerkungen p. LV ge-
wifs nicht befriedigend erklärt.

Auf jeden Fall weit intereffanter und wichtiger ift
dieUnterfuchung des Herausgebers überden fog. Leucius.
Nach Zahn wäre Leucius der Name eines angeblichen
Johannesfchülers (vgl. Epiph. haer. 51,6), unter welchem
ein Unbekannter aus der Zeit der noch werdenden
katholifchen Kirche, ficherlich vor 160, ja vor 140, wahr-
fcheinlich aber um 130 eine Reihe von Apoftelgefchichten
verfafste, welche aufser dem Apoftel Johannes nur Thomas
und Andreas behandelt zu haben fcheinen. Von
diefem Werk liegt uns nun der den Johannes betreffende
Theil noch in einer Reihe von Fragmenten in urfprüng-
licher Geftalt vor. In diefer hat es fleh überhaupt ohne
wefentliche Veränderung unter Haeretikern und Katholikern
verbreitet und ,vvie kein anderes die johanneifchen
Traditionen der folgenden Jahrhunderte begründet,