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Ausgabe:

1881 Nr. 21

Spalte:

496-498

Autor/Hrsg.:

Hofmann, J. Chr. K. v.

Titel/Untertitel:

Die heilige Schrift neuen Testaments zusammenhängend untersucht. 9. Thl 1881

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 21.

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Tempel gefendet (Jos. I. c). Ihre Unterlaffung der Opfer
kann alfo nicht darin ihren Grund haben, dafs fie den
gegenwärtigen Cultus für illegitim hielten, fondern fie
haben eben nur die blutigen Opfer verworfen. Das
Gewicht diefes Argumentes kann unmöglich (wie Lucius
S. 101 verfucht) durch die Berufung darauf entkräftet
werden, dafs ja auch Heiden oft avad-rf/iaxa an den
jerufalemifchen Tempel fchickten. Das beweift nur,
dafs auch manche Heiden von ihrem polytheiftifchen
Standpunkte aus den jerufalemifchen Cultus als berechtigt
anerkannten, nicht aber, dafs folche, die ihn
für unberechtigt hielten, trotzdem dorthin Gefchenke
fchicken konnten.

Faft noch fchwächer als mit der Grundlage der Lu-
cius'fchen Conftruction fteht es mit der darauf gebauten
Erklärung des Wefens des Effenismus. Aus dem einfachen
Verzicht auf den Opfercultus läfst fich das eigen-
thümliche Wefen des Effenismus nicht erklären. Was
hat damit die Verwerfung der Ehe, der Sklaverei, des
Eides, des Handeltreibens, überhaupt der ganze purita-
nifche Zug, der durch alles hindurchgeht, zu thun? Wie
erklärt Lucius z. B. die Forderung weifser Kleidung und
ähnliche Singularitäten? Unfer obiges Referat wird bereits
gezeigt haben, wie wenig genügend die Erklärungen
find, die Lucius von manchen diefer Erfcheinungen giebt.
Namentlich auch die Verwendung von Lev. 4—5 fcheint
mir nichts weniger als überzeugend. Der Gesichtspunkt,
der dabei den Effenern zugetraut wird, ift doch ein viel
zu äufserlicher, als dafs er ihrem wahren Wefen gerecht
würde. Wenn man alle einzelnen Züge combinirt, fo
wird fich nicht verkennen laffen, dafs ein Grundzug in
dem Wefen des Effenismus das Streben nach puritani-
fcher Einfachheit des Lebens ift. Daraus erklären fich
jedenfalls eine ganze Reihe von Eigenthümlichkeiten
viel leichter, als aus der äufserlichen Erwägung: das zu
vermeiden, wobei man etwa eines Sündopfers lieh fchul-
dig machen könnte. Allerdings kommen zu jenem einen
Grundzuge auch noch andere Motive und Gefichtspunkte
hinzu. Der Effenismus wird fich eben nur dann befriedigend
erklären laffen, wenn man anerkennt, dafs er aus
einer Mifchung verfchiedenartiger Strömungen und Motive
entftanden ift.

Kann ich fomit die Löfung des Hauptproblemes
nicht als eine gelungene betrachten, fo ift um fo mehr
anzuerkennen, dafs der Verf. im Einzelnen wieder manches
Treffende beigebracht hat. Dahin rechne ich vor
allem den Nachweis, dafs die gewöhnliche Annahme,
die Effener hätten fich des Fleifch- und Weinge-
nuffes enthalten, nicht hinreichend begründet ift (S. 56 f.).
Ich habe fchon in meiner Neuteft. Zeitgefch. S. 608
mich refervirt über diefen Punkt ausgefprochen und
halte nun den Gegenbeweis von Lucius für durchaus
überzeugend. — Richtig ift wohl auch, dafs Lucius die
Exiftenz der Effener auf Paläftina befchränkt, indem er
in den entfeheidenden Worten Philo's ed. Mang. II, 457
97 Ylakaiativui zöi —vqia nach dem Vorgange Aelterer
das /.al zu tilgen vorfchlägt (S. 48). Er hätte fich dafür
auch auf den Text, welchen die Praeparatio Evang.
des Eufebius bietet, berufen können. Dort fteht nämlich
(VIII, 12, 1), und zwar nach Gaisford's Ausgabe
ohne Varianten, rt tv Ilalaiozivrj —vgta, wobei nur wieder
die Einfchaltung des sv fehlerhaft ift. Die richtige LA.
wird fein r) rialaioxlvr) Zvgia (nicht Svgiaq, wie Lucius
anzunehmen fcheint). — Die werthvollfte Partie des
Ganzen ift vielleicht die einleitende Befprechung der
Quellen (S. 12—34), wo namentlich auch die Bemerkung
fehr richtig ift, dafs Plinius nicht als Augenzeuge berichtet
, dafs vielmehr Plinius und Dio Chryfofto-
mus auf eine gemeinfame Quelle zurückgehen (S. 31 ff.).
Vermifst habe ich nur eine Unterfuchung darüber, ob
Jofephus die Schrift Philo's Quod omnis probus Uber benützt
hat (vgl. darüber m. Neuteft. Zeitgefch. S. 601,
Anm. 6.). — Neu und richtig ift auch die Beobachtung,

dafs Philo's Schrift Qaod omnis probus Uber bereits Be-
kanntfehaft mit dem zweiten Makkabäerbuche ver-
räth (S. 36—39). Es ift dies bei dem Mangel fonftiger
alter Zeugnifse für die Exiftenz des 2. Makkabäerbuches
nicht ohne Intereffe.

Giefsen. E. Schürer.

Hofmann, Prof. Dr. J. Chr. K. v., Die heilige Schrift
neuen Testaments zusammenhängend untersucht. 9. Thl.
Zufammenfaffende Unterfuchung der einzelnen neu-
teftamentlichen Schriften. Nach Manufkripten und
Vorlefungen bearbeitet von Prof. Dr. W. Volck.
Nördlingen 1881, Beck. (XII, 411 S. gr. 8.) M. 7. —

Die dankbare Pietät gegen Verftorbene, die bei Lebzeiten
eine hervorragende Stellung eingenommen haben,
wird immer wieder dazu verleiten, aus ihrem Nachlaffe
Schriften herauszugeben, deren Herausgabe durch die
Sache felbft nicht hinreichend motivirt ift, ja im Intereffe
des eigenen Nachruhmes der Verftorbenen beffer
unterbleiben würde. Diefem Schickfale fcheint nun auch
der berühmte Erlanger Theologe, deffen Namen das
obige Werk trägt, verfallen zu follen. Da es ihm felbft
nicht vergönnt war, fein grofses exegetifches Werk über
das Neue Teftament zu Ende zu führen, fo wird nunmehr
beabfichtigt, zur Ergänzung desfelben aus feinem
Nachlaffe 1) die Einleitung in das Neue Teftament, 2)
die biblifche Gefchichte und 3) die biblifche Theologie
neuen Teftamentes herauszugeben. Zunächft liegt hier,
wenn auch unter anderem Titel, die Einleitung in
das Neue Teftament vor. Für das Uebrige find noch
zwei weitere Bände in Ausficht genommen.

Ref. hat feiner Zeit felbft bei Hofmann die Vor-
lefung über Einleitung in's N. T. gehört. Um fo lebhafter
bedauert er, über den Inhalt derfelben nicht gün-
ftiger urtheilen zu können, als es im Obigen gefchehen
ift. Verhältnifsmäfsig am befriedigendften ift noch die
Behandlung der paulinifchen Briefe, wenigftens derjenigen
, deren Echtheit als mehr oder weniger gefichert
betrachtet werden darf. Hier wird es noch am wenigsten
als Mangel empfunden, dafs auf die Arbeiten und
Anfchauungen Anderer nicht genügend Rückficht genommen
wird. Viel fchlimmer fteht es fchon mit der
Behandlung der katholifchen Briefe. Aber fowohl über
diefe wie über jene lagen ja die Arbeiten Hofmann's in
feinem exegetifchen Werke vollständig vor. Für fie war
alfo die Herausgabe der Einleitung jedenfalls nicht motivirt
. Es kommt demnach nur die kleinere Hälfte des
vorliegenden Bandes (S. 240—411) in Betracht, welche
— wenn wir von der kurzen Behandlung der johannei-
fchen Briefe und von der ganz dürftigen Kanonsge-
fchichte abfehen — hauptfächlich die Apoftelge-
J fchichte, die vier Evangelien und die Offenbar-
! ung Johannis umfafst. Wenn man aber diefe Partieen
j durchliest, fo frägt man fich vergebens, für wen eigent-
i lieh das Buch bestimmt ift? Für Studenten doch jeden-
! falls nicht. Denn der Herausgeber erklärt im Vorworte
(S. IX) felbft, dafs das Buch kein Lehrbuch fein folle.
Und das ift leider nur zu wahr. Irgendwelche Orientir-
I ung über den Stand der hier in Betracht zu ziehenden
j Fragen würde man in dem Buche vergebens fuchen.
j Ref. will gewifs auch nicht der Unfitte das Wort reden,
die Studenten mit einem Ballast von Literaturangaben
oder mit Aufzählung aller Thorheiten, welche die hifto-
rifche ,Kritik' je zu Tage gefördert hat, zu befchwe-
ren. Aber fie müffen doch einigermafsen erfahren,
[ um welche Fragen es fich hier handelt und welche
[ hauptfächlichen Gefichtspunkte von diefer und jener
! Seite geltend gemacht worden find. Das wird aber in
den Hofmann'fchen Vorlefungen fast gefliffentlich ver-
| mieden. Man erfährt fast nur feine eigene Anficht. Und
nur vereinzelt wird ab und zu mit einem unbestimmten