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Ausgabe:

1881

Spalte:

481-483

Autor/Hrsg.:

L. W., Seyffarth

Titel/Untertitel:

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. Neue Folge. 3. Jahrg. (Der ganzen Reihe 16. Jahrg.) 1881

Rezensent:

Strack, Carl

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Seite 1, Seite 2

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48r Theologifche Literaturzeitung. i88r. Nr. 20. 482

fo fprechender ift der unwillkürliche Proteft gegen die Gegenftand diefer Verhandlungen war im verfloffenen
Ueberfchwänglichkeiten der Heiligungsbewegung aus dem Jahre mehrfach die Befchuldigung gegen die Schule, dafs
üttlichen Gefühl der von ihr Ergriffenen, insbefondere diefelbe an den fittlichen Schäden der Zeit einen nicht
Pearfall Smith's felbft. Wer die dem Chriften hienieden geringen Theil der Schuld trage. Die Thatfache felbft,
erreichbare Vollkommenheit als Sündlofigkeit fafst, der dafs nämlich in dem letzten Jahrzehnt unverkennbar ein
ma" fich drehen und wenden, wie er will, er fällt unter Rückgang in der Sittlichkeit des Volkes wahrzunehmen
das Urtheil von 1 Joh. 1, 10, deffen Gewicht auch Verf. fei, wollten einige Referenten, wenn nicht geradezu
vergebens abzufchwächen fucht. leugnen, doch wenigftens als übertrieben und unerwiefen
Gleichwohl war es ein fehr zeitgemäfses Unterneh- darfteilen. Dagegen fprechen nun die in Schrecken er-
men, jene Gedanken, die wir fonft nur in afketifchen regender Weife wachfende Zahl der gerichtlichen Unter-
Schriften finden, in fyftematifcher Form darzuftcllen, fuchungen und Beftrafungen. Dafs die Schule allein
wohl zum crften Mal fo ausführlich in deutfcher Zunge, die Schuld daran zu tragen habe, wollen wir eben fo
Es geht durch die verfchiedenften Richtungen der Theo- wenig behaupten, wie es von anderer Seite behauptet
logie das Streben, zu erkennen, wie weit es eigentlich worden ift. Wir ftimmen hierin den Vertheidigern der
der Chrift hier bringen kann und inwiefern das, wozu Schule bei, dafs fie die fchlcchte häusliche Erziehung,
er es bringt, ein Vollkommenes genannt werden darf, die materialiftifche Richtung der Zeit, die durch den
und wer möchte in Abrede ftellen, dafs diefe Seite evan- Milliardenreichthum gefteigerte Gier nach Vermehrung
"clifcher Lehrentwickelung aus Furcht, in Werkhcilig- des Befitzes, fowie die Unmöglichkeit, bei der Noth der
keit zu gerathen, vielfach vernachläffigt worden ift? Doch Zeit für die grofse Menge diefe Gier zu befriedigen
Gerade durch das vorliegende Werk werden wir in der u. A. m. als Haupturfachen der fteigenden Entfittlichung
Üeberzeugung beftärkt, dafs wir deutfehen Proteftanten des Volkes angeben. Aber als unbegreifliche Verblend-
nicht eine neue Erleuchtung von hingland und Arne- ung und Selbftüberfchätzung erfcheint es uns, wenn einige
rika her dazu brauchen. Die principielle Entfeheid- Referenten die Schule und deren Lehrer von aller Schuld
ung der Frage ift in den Grundfätzen der deutfehen reinigen möchten. Die Schule mufs eben in fich gehen
Reformation felbft, befonders auch wie in den Kate- und fich felber prüfen, was fie bisher verfehlt hat. Sie
chismen, fo in der Augsburgifchen Confeffion und der mufs erkennen, dafs mit der gehobenen Intelligenz an
Apologie, klar gegeben. und für fich die Sittlichkeit nicht gehoben wird und dafs
i e:nz:„ Härtung; die Erziehung der Jugend mindeftens eine eben fo wich-

"__-?L_ tige Aufgabe für die Volksfchule fei, als der Unterricht.

Allgemeine Chronik des Volksschulwesens. Hrsg. von Paft. Der Unterricht felbft mufs das Leben und leine Bedürf-

prim.L. W.Seyffarth. 1880. Neue Folge. 3. Jahrg. nifse mehr im Auge haben, als es bisher gefchehen ift.

TDer ganzen Reihe 16. Jahrg.) Breslau 1881, Mor- Da/S d,ie)!■ w/<rft?,tts v0,n mancher Seite anerkannt wird,

n zvwt .c^ c - « m p. dafur hefert die Chronik auch einige fprechende That-

genftern. (XVI, 480 S. gr. 8.) M. 6. - fachen Zu bedauern ift nur> dafJ» auch andere That.

Die Schul-Chronik fährt fort, in der bisherigen Weife fachen dafür fprechen, wie die Stimmung der Lehrer der
und in dem früheren Geifte die wichtigeren Erfcheinun- Kirche gegenüber immer noch nicht die rechte gewor-
gen auf dem Gebiete des Volksfchulwefens zu befpre- den ift; dafs man noch nicht einfehen will, wie die
chen. Der Herausgeber vertheidigt fich diesmal in der Schule ihre Aufgabe als Erziehungsanftalt nimmer, wie
Vorrede gegen den ihm gemachten Vorwurf, die Chro- es fein follte, zu löfen im Stande ift, wenn fie nicht
nik gehe über gewiffe Erfcheinungen, namentlich folche, Hand in Hand mit der Kirche geht und von derfelben
denenderBearbeiterfeinerpolitifchenundkirchlichenRicht- unterftützt wird. Als in einer gröfseren Lehrerverfamm-
ung nichtbeiftimme, leicht hinweg. Er verfichert dagegen, lung gerügt wurde, dafs der betreffende Referent unter
dafs er fich möglichft auf einen objectiven Standpunkt den mitwirkenden Erziehungsfactoren, deren die Schule
ftellc; das Bemerkenswerthe werde ausführlicher, weniger bedürfe, neben dem Staat, der Gemeinde und der Fa-
Wichtiges kürzer dargeftellt. Er wiederholt, dafs im ge- milie die Kirche übergangen habe, erklärte die Verfamm-
fchicht'lichen Theil eine möglichft objective üarftellung lung, man bedanke fich gegen eine folche Mithülfe im
der Thatfachen angeftrebt und auch wohl erreicht werde; v. Puttkamcr'fchen Sinne. Kein Wunder, dafs diefer
die eigenen Urtheile laffe der Darfteller ganz zurück- Miniftcr in einem Erlafs Klage führt, wie viele Lehrertreten
. Wir wollen dem Gefagten nicht geradezu wider- verfammlungen eine Bahn betreten hätten, auf welcher
fprechen; wir müffen vielmehr anerkennen, dafs wir eine das wahre Wohl der Schule nicht gedeihen könne. Es
parteiifche Entftellung des Mitgctheilten nirgends gefun- fei offenkundig und die Berathungen und Befchlüffe pe-
den haben. Auch bei Beurtheilung der Schriften, na- riodifcher Vereinsverfammlungen liefsen keinen Zweifel
mentlich auch derjenigen über den Religionsunterricht, daran, dafs in diefen Vereinigungen diejenigen Elemente
lallen die Referenten auch den Verfaffern, die auf an- 1 mehr und mehr die Führung an fich genommen hätten,
derem Standpunkte flehen, Gerechtigkeit widerfahren, welche in der an und für fich durchaus lobenswerthen
Aber die ganze Darftellung liefert doch den Beweis, engeren Verbindung unter den Berufsgenoffen nicht fo-
dafs eine rein objective Darftellung gefchichtlicher That- j wohl eine Gelegenheit zu innerer geiftiger und fachge-
fachen kaum möglich fei. Das wird doch der Hr. Her- j mäfser Fortbildung, als vielmehr ein Mittel zur Förderausgeber
felbft nicht leugnen wollen, dafs der liberale ung von Tendenzen und Beftrebungen erblicken, die in
pädagogifchc und religiöfe Standpunkt der Mitarbeiter dem wahren Intereffe der Schule und der an ihr Mit-
auch dem blindeften Auge gar bald offenbar werden mufs. ; wirkenden keine Wurzel hätten. Die gemeinfamen cha-
Es ift dies ein Grund gegen die paritätifchen oder Si- rakteriftifchen Merkmale diefer Ik'ftreDungen: eine un-
multanfchulen; auch bei dem ernfteften Beftreben des 1 gemeffene Ueberfchätzung des eigenen Könnens und
Lehrers der Gefchichte, auch wohl der Geographie, feinen j Wiffens, die Pflege und Verbreitung übertriebener An-
confeffionellcn Standpunkt nirgends hervortreten zu 1 forderungen an äufsere Stellung und Anerkennung, die
laffen, wird feine Darftellung mehr oder weniger con- ; Abneigung, fich der Autorität der vorgefetzten Auflichts-
fcflionelle Färbung tragen, wenn er nicht ganz indiffe- behörden unterzuordnen, das fyftematifche Beftreben,
rent ift; auch in diefem Falle wird fein Indifferentismus den in dem chriftlichen Charakter unferer Volkserziehung
auf feine ganze Darftellung influiren. Wir machen den ! wurzelnden Zufammenhang zwifchen Schule und Kirche
Mitarbeitern deshalb keinen Vorwurf, glaubten aber die zu lockern oder ganz zu löfen, die unverhüllte agitato-
Thatfachc felbft nicht verfchweigen zu dürfen. Ueber die rifche Parteinahme für extreme politifche Richtungen,
Verhandlungen der verfchiedenen Lehrerverfammlungen, das weder durch ausreichende Sachkenntnifs, noch durch
namentlich der gröfseren, wird ausführlich berichtet, ein genügend reifes Urtheil unterftützte Abfprechen über