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Ausgabe:

1881 Nr. 19

Spalte:

450-452

Titel/Untertitel:

Der ungefälschte Luther, nach den Urdrucken der kgl. öffentl. Bibliothek in Stuttgart hergestellt von Karl Haas. 2. Band: Bändchen 6 - 10 1881

Rezensent:

Lemme, Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 19.

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phen Briefwechfels voraus (,sed et instittitor imperatoris
adeo fuit [Paulo) aiuicitia copulatus videns in eo divinam
seient/am [ep. 1], nt se a colloquio illius temperare vix pos-
set, quominus si ore ad os illum alloqui non valeret, fre-
quentibus datis et aeeeptis epistolis ipsius dulcedine et ami-
eabili colloquio atque eousilio uteretuP) und kann in diefer
Geftalt daher unmöglich Quelle desselben gewefen fein.
Ueber die Legenden, welche dem Pfeudolinus zu Grunde
liegen, läfst fich ein Urtheil zur Zeit nicht fällen. Soviel
aber darf man mit Beftimmtheit lägen, dafs höch-
ftens in einzelnen Legenden, welche der Verfaffer der Se-
neca-Correfpondenz benutzt hat, ebionitifche Tendenz
conftatirt werden kann. Pfeudolinus, der in der römi-
fchen Kirche, nachdem fie aufgehört hatte, eine grie-
chifche zu fein, durch 3 Jahrhunderte ebenfo vergeffen
worden ift, wie Pfeudo-Seneca und vieles Andere, gehört
auch zu der nicht officiellen kirchlichen Literatur
und er fetzt bereits eine bunte Reihe von Legenden
voraus, deren urfprüngliche Tendenz nicht mehr verbänden
worden ift, daher auch von uns in feltenen Fällen
wieder entdeckt werden kann. Dafs Nero in den Briefen
fo verfchieden charakterifirt wird, ift an fich noch
keine Inftanz gegen die Einheitlichkeit ihres Urfprungs.
Die Anficht ift ja gerade auch in kirchlichen Kreifen
verbreitet gewefen, dafs Nero bis zu einem beftimmten
Jahre ein ,guter', d. h. Chriftcn-freundlicher Monarch gewefen
ift. Die Fabel damaliger Beziehungen des Paulus
zu ihm. wahrfcheinlich auch durch Philip. 4, 22 veran-
lafst — eine Stelle, die fich Wefterburg ganz hat entgehen
laffen —, brauchte durchaus nicht im Sinne der
Discreditirung des Apoftels erfunden zu fein, konnte vielmehr
feiner Verherrlichung dienen. Zur Zeit fcheint alfo
die Annahme noch immer die wahrfcheinlichfte, die
Paulus-Seneca-Legende fei entbanden auf Grund der
Thatfache, dafs Paulus Beziehungen zur ol/.ta tnr Kal-
actQos gehabt habe, fowie unter Verwerthung des Eindrucks
(f. Tertull. de anima 20: ,Sencca saepe nostep),
dafs Seneca's religiöfe Ethik mit der paulinifchen oftmals
übereinftimme. Diefc Wahrnehmung fetzt allerdings
eine gewiffe gelehrte Bildung bei dem erften Fa-
buliften, refp. dem Librarius' voraus. Aber diefc ift bereits
durch die Benutzung claffifcher lateinifcher Literatur
, der Paulusbriefe und der Sagen über die familia
Caesaris ficher gebellt.

Eine werthvolle gefchichtliche Ueberlieferung hat
fich nur im 12. Briefe erhalten —- und zwar über den
Brand Roms zur Zeit Nero's. Auch wenn fie lediglich
als Plagiat aus der berühmten Tacitus- Stelle zu gelten
hätte, wäre fie von hohem Intereffe vor allem wegen
ihrer Einzigartigkeit in der kirchlichen Literatur, ferner
der Art wegen, wie fie den Tacitusbericht modificirt hat,
namentlich aber auch deshalb, weil hier neben dcnChriben
auch die Juden als die üntergefchobenen machinatores
incendii eingeführt werden. Auch gebehe ich Weberburg
zu, dafs möglicherweife diefer 12. Brief, aber
eben nur diefer, fchon im Original lateinifch coneipirt
ib und daher nicht zur urfprünglichen Sammlung gehört
hat. Nicht nur die Sprache dicht von der der übrigen Briefe
bemerkenswerthab, fondern auch die Ueberlieferung fcheint
über die Stelle, welche diefenf Brief imKrcife der anderen
gebührt, unficher gewefen zu fein. Von hier aus erhält
erb die Beobachtung Gewicht, dafs Nero in ep. 12 als
ein fo anderer erfcheint als in den übrigen Briefen. Eine
nähere Unterfuchung diefes Stückes auf Grund einer genauen
Textesrecenfion wäre fehr dankenswerth; aber auch
der ganze Briefwechfel verdient trotz feiner Dürftigkeit
die Vernachläffigung nicht, die ihm zu Theil geworden
ib, und enthält eine ganze Reihe noch ungelöber Räthfel.

Giefsen. Adolf Harnack.

1. Klussmann, Max., Curarum Tertullianearum particulae

I et II. Dissertatio inauguralis. Halis Sax. 1881.
(51 S. gr. 8.)

2. Hauschild, Gymn.-Lehr. G. R., Die rationale Psychologie
und Erkenntnisstheorie Tertullian's. Leipzig 1880,
Zangenberg & Himly. (78 S. 4.) M. iL 50.

Die beiden vordchenden Abhandlungen dürfen als
werthvolle Beiträge zur Patribik bezeichnet werden. Sie
heben fich vortheilhaft aus der nicht geringen Anzahl
von gänzlich unbedeutenden Differtationen heraus,
die in den letzten 15 Jahren über Tertullian gefchrieben
worden find.

Klufsmann's Arbeit zerfällt in zwei Theile. In
dem erben (p. 3—20) handelt der Verf. von dem wich-
tigben Tertullian-Codex, dem Agobardinus, den er
im J. 1880 zu Paris felbd eingefehen und theilweife
durchgearbeitet hat. Aufser einer paläographifchen Be-
fchreibung erhalten wir eine Gefchichte der Benutzung
der Handfchrift, die erb mit Jacobus Gothofredus
! im J. 1625 beginnt (das Räthfel p. 9 in Bezug auf die
; Wanderungen der Handfchrift fcheint mir der Verf. doch
■ nicht gelöb zu haben. Wahrfcheinlich liegt nur irgend
eine Verwechfelung von Lyon und . Leyden ihm zu
Grunde), und eine dankenswerthe Zufammenbellung der
hauptfächlichben Schreibefehlcr des Librarius ,qui ab
omni fraude alienus mira oseitantia et sovinulcntia rem
suqm egib. In dem zweiten Theile (p. 23 — 51) giebt der
1 Verf. zur liditio major Oehler's eine genaue Collation
des Hb. I ad nationes im Agobard., die forgfältig veran-
baltet zu fein fcheint. Auf eine Recenfion des Textes
felbb, wie fie der Vater des Verf.'s, E. Klufsmann,
auf Grund des Agobard. für de spectac. geliefert (Leipzig
1877) ib hier verzichtet. Die Collation zeigt, wie unficher
bisher der Text des Agobard. wiedergegeben ib.

Haufchild, der fich fchon früher durch zwei Arbeiten
über die Grundfätze und Mittel der Wortbildung
bei Tertullian bekannt gemacht hat, handelt diefesmal
von der Seelenlehre Tertullian's auf Grund fehr um-
faffender und eindringender Studien. Was in der Einleitung
über Tertullian's Stellung zur Philofophie und
über die Erkenntnifsquellcn der Wahrheit, welche er anerkennt
, ausgeführt ib, ib durchaus zutreffend und tritt
j noch immer verbreiteten Vorurtheilen entgegen. Auch
die Unterfcheidung einer ,Rationalen und Empirifchen
Pfychologie' bei Tertullian erweib fich als haltbar. Nur
die erbere hat der Verf. ausgeführt, hauptfächlich auf
Grund von de anima, adv. Hermog. und adv. Marc, in fo
umfichtiger, aber auch fo fehematifirender Weife, dafs
die Darbcllung die vollbändigbc, zugleich auch die breitebe
geworden ib, die bisher über die Pfychologie Tertullian's
erfchienen ib.

Giefsen. Adolf Harnack.

Der ungefälschte Luther, nach den Urdrucken der kgl.
öffentl. Bibliothek in Stuttgart hergebellt von Dr.
Karl Haas. 2. Band: Bändchen 6 — 10. Stuttgart 1881,
Metzler's Verl. (392 S. 12.) M. 2. —

Zur Beurtheilung diefer Fortfetzung des .ungefälfch-
ten Luther' kann ich lediglich auf das in Nr. 5 diefes
Jahrgangs der Lit.-Ztg. Gefagte verweifen. Ein gewiffer
Fortfehritt läfst fich jedoch infofern febbellen, als die
Verlagsbuchhandlung vom 9. Bändchen an ihre anfpruchs-
volle Anpreifung vom Umfchlag weggelaffen, und als
der Herausgeber das Verfprechen gröfserer Gewiffen-
haftigkeit und Pietät in Bezug auf die Wiedergabe des
Luther'fchen Textes gegeben hat. Diefes ib ausgefpro-
chen in einem Gratisbeiblatt für die Subfcribenten diefer
Edition unter dem Titel: Der gefälfehte und der ,unge-
fälfchte Luther' (32 S.), das eine Erwiderung hauptfächlich
gegen meine Anzeige des erben Bandes enthält.

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