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Ausgabe:

1881 Nr. 18

Spalte:

425-428

Autor/Hrsg.:

Glaubrecht, Carl

Titel/Untertitel:

Bibel und Naturwissenschaft in vollständiger Harmonie nachgewiesen auf Grund einer neuen empirischen Naturphilosophie. 2 Bde 1881

Rezensent:

Thoenes, Karl

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425 Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 18. 426

delt: 1. Begriff und Eintheilung der einzelnen Beweismittel
und die zur Beweiskraft derfelben nothwendigen
Erfordernifse, 2. das bei Anwendung der einzelnen Beweismittel
zu beobachtende Verfahren, 3. die richterliche
Würdigung des mit den einzelnen Beweismitteln gewonnenen
Refultates, Herftellung des Beweifes, Mifslingen
der Beweisführung.

Das Ganze ift eine ftreng fachmäfsige juriftifche Arbeit
; mehr als ein objectives Referat über Zweck und
Inhalt des Buches kann deshalb dem theologifchen Be-
richterftatter nicht obliegen. Doch mag darauf hinge-
wiefen werden, dafs auch dem theologifchen Lefer fowie
dem, der nur mit allgemeinerem culturgefchichtlichem
Intereffe daran geht, eine dankenswerthe Ausbeute beim
Studium des Buches nicht fehlt. Wie bekannt, hat gerade
auf dem Gebiete des Proceffes das canonifche Recht
auf die deutfche Rechtsentwicklung fehr wefentlich eingewirkt
: während für die materielle Rechtsbildung das
römifche Recht mafsgebend wurde, hat der Civil-
und Strafprocefs bis zu der neueften Reform wefentlich
auf canoniftifchen Grundlagen beruht. Es ift nun
von Intereffe zu beobachten, wie gerade hier und in-
fonderheit in der Beweistheorie der eigentümliche
Charakter des canonifchen Rechts, die, gegenüber dem
ltrengen Formalismus des römifchen Rechts ihm eignende
Tendenz, die fittlichen Gefichtspunkte der Billigkeit
, der Wahrhaftigkeit, der moralifchen Leitung und
Befferung zur Geltung zu bringen, fich vielfach offenbart
. Sie zeigt fich in Inftituten wie dem fogen. Ca-
lumnieneide (der eidlichen Verficherung, welche die Pro-
cefsparteien vor dem Eintritt in den Procefs zu geben
hatten, keine anderen als redliche Mittel gebrauchen
zu wollen), der purgatio canonica u. a., dann in dem
Durchdringen des Inquifitionsprincips beim Strafverfahren
, welches feit Innocenz III. den Accufationsprocefs
ganz verdrängt hat; im Zufammenhang damit fleht die
Heimlichkeit und Schriftlichkeit des Verfahrens (auch im
Civilprocefs). Im Beweisverfahren fpeciell hat fich die
Kirche anfangs noch an die germanifche Rechtsfitte an-
gefchloffen, wonach es eigentlich nur auf die formale
Verftärkung der Glaubwürdigkeit der gemachten Aus-
fagen (durch Ordalien und'Eideshelfer) abgefehen war,
ift jedoch bald zu dem Syftem der inhaltlichen Beweisführung
übergegangen. Dabei liegen indeffen bereits in
den canonifchen Rechtsquellen die Anfätze zu einer formalen
Beweistheorie vor, welche fpäter von Theorie und
Praxis bis zum Excefs entwickelt wurde und dem Richter
faft nur noch das mechanifche Gefchäft, die aus dem
Verfahren refultirenden Beweisbruchftücke zufammenzu-
rechnen, feiner moralifchen Ueberzeugung aber wenig
oder nichts übrig liefs.

Was dem deutfchen Lefer vorzugsweife von Intereffe
fein würde, der Nachweis des Verhältnifses zwifchen
dem canonifchen Proceffe und dem neueften reichsge-
fetzlichen Procefsrecht, lag dem Verf. fern; nur an zwei
Stellen haben wir kurze Hindeutungen auf letzteres gefunden
. Im Anhang werden inhaltreiche Auszüge aus
den bisher ungedruckten Protocollen des Gerichts der
ehemaligen Patriarchen von Aquileja (von 1448. 1449.
1492 bis 1498) mitgetheilt, werthvolles Material für die
Gefchichte des canonifchen Rechts.

Friedberg. K. Koehler.

Glaubrecht, Carl. Bibel und Naturwissenschaft in vollftän-
diger Harmonie nachgewiefen auf Grund einer neuen
empirifchen Naturphilofophie. 2 Bde. Leipzig 1878
u. 81, H. Schultze. (XII, 555 u. VII, 309 S. gr. 8.)
M. 16. —

In der Vorrede des 2. Bandes, auf welchen allein
die nachfolgende Anzeige überhaupt fich bezieht, rechtfertigt
der Verf. das Erfcheinen feiner Arbeit damit,

I dafs durch die neueften Entdeckungen auf dem Gebiete
der Geologie die Theorien Cuvier's und Agaffiz's und
j mit diefen auch die meiften der bisherigen Verfuche,
| Bibel und Naturwiflenfchaft in Uebereinftimmung zu
bringen, gefallen feien. Ueberdies hätten diefe Verfuche
nur im Dienfte der Concordanz- oder Reftitutionshypo-
thefe geftanden, blofs eine gewiffe chronologifche Uebereinftimmung
der biblifchen Schöpfungsgefchichte im Auge
gehabt, ohne die Wirklichkeit einer göttlichen Schöpfungs-
thätigkeit zu beweifen. Von einem neuen Standpunkte
aus und mit ihren eigenen Waffen müffe die materia-
j liftifche Richtung der Naturwiffenfchaft bekämpft werden.
Dafs nun aber Glaubrecht in diefem Kampfe, den
er aufgenommen, grofsen Erfolg gehabt hat, müffen wir
nach der Leetüre feines Buches fehr bezweifeln.

Was zunächft feinen Standpunkt betrifft, fo geht er
zwar von dem richtigen Gedanken aus, dafs die /wahren,
j gewiffen Thatfachen der Naturforfchung überhaupt dem
in der Bibel geoffenbarten göttlichen Worte nicht wider-
fprechen können' (S. 3), aber er bekennt fich zu einer
folchen Anfchauung der Schrift, dafs ihm der verfuchte
Nachweis der Uebereinftimmung überaus fchwer werden
mufs. Indem er nämlich die Frage aufwirft, auf welche
Ausfprüche der heil. Schrift und wie weit fich diefer
Nachweis zu erftrecken habe, bekennt er: ,Wir find nicht
! von denen, die aus der heil. Schrift das Wort Gottes
1 erft herausfuchen und in jedem einzelnen Falle entfehei-
: den wollen, was göttlich, was menfehlich darin ift, fon-
| dern wir nehmen die Bibel ganz und unzerftückelt als
Gottes Wort an (felbftverftändlich mit Ausfchlufs der
Apokryphen)' (S. 3). Da läfst fich's denn auch wohl be-
[ greifen, wie er von der biblifchen Kritik fo ungünftig
j urtheilt, dafs er die Angriffe derfelben gegen die Authen-
tie einzelner Schriften, z. B. der 5 Bücher Mofe, ,nur
| zum kleinften Theile' aus wiffenfehaftlicher Gründlichkeit
| abzuleiten vermag; fie verdankten vielmehr ihr Entftehen
i meift ,dem perfönlichen Bedürfnifse, die Auctorität der
heil. Schrift zu untergraben, zu verdächtigen, damit man
fie um fo leichter ganz abfchütteln könne' (S. 3. 7. 8).
Nur Keil, Guericke und Tifchendorf (,Wann wurden untere
Evangelien verfafst') finden die Anerkennung des
Verfaffers.

Seine harmoniftifche Arbeit erleichtert er fich durch
eine eigenthünaliche exegetifche Methode. Zwar wird
Jedermann zugeben, dafs die heiligen Schriftfteller, wo
fie nur beiläufig Naturverhältnifse erwähnen, fich der
Ausdrucksweife ihrer Zeitgenoffen anfchliefsen durften,
aber wenn er dann weiter behauptet, dafs es bei den
,bildlichen Ausdrücken' der Propheten gar nicht darauf
ankomme, was diefe felber fich bei denfelben gedacht,
fondern was der Geift Gottes durch fie habe fagen wollen
(S. 4), und dafs die Propheten auch ihre irrigen Anflehten
über die Natur doch vermöge des in ihnen waltenden
Gehles Gottes in einer folchen Weife ausgefprochen
hätten, dafs wir nicht verleitet würden, in jenen Anflehten
pofitiven Lehrgehalt, fondern nur Gleichnifse zu finden
(S. 7), fo haben wir doch kaum einen anderen Kanon
der Exegefe vor uns, als jenen übelbekannten von
einem doppelten Sinne der Schrift. Vom Schöpfungsberichte
fagt auch der Verf. geradezu, dafs derfelbe fei-

| nem nächften Sinne nach geocentrifch fei; aber er habe

I auch einen tieferen Sinn, und diefer, für die fpäteren
Gefchlechter beftimmt, fei durchaus kosmifch (S. 44).
Und mit folcher exegetifchen hreiheit noch nicht zufrieden
, erklärt fich Glaubrecht fogar auch mit einzelnen
Wundererklärungen des alten Rationalismus einverftan-

I den (S. 224b

Wir müffen es uns verfagen, des Näheren auf die
14 §5- des Giaubrecht'fchen Buches einzugehen. Sie han-

! dein von der Exiflenz, dem Wefen, der Schöpfungs-
thätigkeit Gottes, dem urfprünglichen Zuftande der
Schöpfung, der Verderbnifs der Natur, der Sündfluth,
der Erhaltung und Regierung Gottes, der Sprachver-

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