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Ausgabe:

1881 Nr. 18

Spalte:

424-425

Autor/Hrsg.:

Gross, Carl

Titel/Untertitel:

Die Beweistheorie im canonischen Process 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 18.

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ein Kaifer im Reiche regierte!! Schultze macht fich diefes
Mifsverftändnifs Keim's zu eigen und geht noch weiter,
indem er in den reges die zwei Augnsti Diocletian und
Maximian, in den principes, ,die felbftverftändlich von geringerer
Würde find als jene', die zwei Caesares Galerius
und Conftantius erkennt. In Wahrheit aber kann von
einer Bezeichnung des Caesar als prineeps im Gegenfatz
zum höher flehenden Augustus nicht im Entfernteften die
Rede fein, wovon ein jeder fich durch Einficht in
Mommfen's Staatsrecht überzeugen kann. Diefe An-
fpielung alfo hätte kein Menfch verftanden, ganz abge-
fehen davon, dafs überhaupt keine Anfpielung vorliegt.

Eine genauere Datirung gewinnt de Feiice durch
Wiederaufnahme einer Combination Daniel's van Hoven,
der fich auch Roeren in feinen dem Verf. unbekannt
gebliebenen Minuciana v. J. 1859 angefchloffen hatte.
Juflin's 2. Apologie, fowie der Brief der gallifchen Gemeinden
v.J. 177 berichten von Sklavenausfagen, welche
den Chriften Thyefteifche Mahlzeiten und Oedipodeifche
Verbindungen zurLaft legten. Dagegen verfichertMinucius
(28, 2), dafs folche Ausfagen nie vorgekommen feien.
Hieraus fchliefst der Verf., dafs der Octavius nicht nur
vor dem J. 177, fondern fogar vor der 2. Apologie Juftin's
gefchrieben fei, welche er fälfehlich ins Jahr 160 fetzt,
während fie in Wirklichkeit ebenfo wie die erfte aus der Zeit
von 144—150 herrührt. Ihm fcheint unbekannt geblieben
zu fein, dafs Athenagoras dasfelbe wie Minucius berichtet
und gleichwohl mit Beftimmtheit lange Zeit nach Juftin
feine supplicatio abgefafst hat. Durch diefe feftftehende
Thatfache verliert die vom Verf. gebilligte Combination
van Hoven's und Roeren's vollfländig ihre Beweiskraft.
Ebenfo kann ich eine vom Verf. neu beigebrachte Stelle
leider nicht für entfeheidend halten, obwohl ich felbft
fchon vor mehreren Jahren auf diefelbe aufmerkfam geworden
bin und fie anfangs ebenfalls für werthvoll
gehalten habe. Minucius fragt nämlich c. 18, 6: Quando
umquam regni societas aut cum fide coepit aut sine cruore
desiitr Daraus fcheint zunächft hervorzugehen, dafs der
Octavius vor der friedlichen Sammtherrfchaft des Marc
Aurel und L. Verus gefchrieben fei. Indefs zeigt wieder
Athenagoras, dafs man eine folche Sammtherrfchaft ruhig
als Monarchie betrachtet hat. Suppl. c. 18 vergleicht er
die gemeinfame Herrfchaft des MarcAurel undCommodus
mit der Weltregierung Gottes des Vaters und des Sohnes,
die ausdrücklich als Einheit bezeichnet werden. Noch
weniger ift überzeugend, was de Feiice aus der Beziehung
zu der Rede Fronto's zu gewinnen fucht. Denn wann
Fronto feine Rede gehalten, ift durchaus ungewifs, und
die Anfetzung Aube's blofse Phantafie, unbewiefen und
unbeweisbar.

Im Folgenden (S. 47—78) bietet der Verf. eine in
ihrer Ausführlichkeit fich der Ueberfetzung nähernde
Analyfe des Dialogs. Er hätte diefelbe mit Rückficht
auf die im 2. und 3. Capitel gegebene Charakteriftik der
Reden des Heiden und des Chriften unbedenklich fort-
laffen können und würde dadurch zwecklofe Wiederholungen
vermieden haben. Beachtenswerth ift etwa auf
S. 47 die Zufammenftellung einiger Berührungen des
Minucius mit Juftin, Tatian, Athenagoras und Tertullian.
Die oben erwähnte Charakteriftik geht nirgends von
neuen Gefichtspunkten aus, das Gebotene aber ift i. G.
richtig. Wiederum kommt der Verf. auf die Rede Fronto's
zu fprechen. Endlich fei doch einmal darauf hingewiefen,
dafs das eine Citat aus derfelben uns auch nicht einen
Schatten von Berechtigung zu weitergehenden Combina-
tionen bietet. Das Dogma, wonach die ganze Rede gegen
die Chriften gerichtet war, läfst fich wohl aufftellen, aber
nicht begründen. Die Erwähnung der Chriften kann
ebenfogut eine ganz beiläufige gewefen fein. — Die Bemerkungen
des Verf.'s über Lucian würden fchärfer, über
den Apollonius von Tyana des Philoftratus richtiger geworden
fein, wenn derfelbe die Schrift von Bernays über
Lucian und die Cyniker und Erwin Rohde's griechifchen

Roman benutzt hätte. Die Thatfächlichkeit der Berichte
des Dialogs wäre ihm bei Bekanntfchaft mit den In-
fchriften von Cirta vorausfichtlich weniger zweifelhaft
erfchienen. Neu ift die Vermuthung, dafs unfer Octavius
nur eine Einleitung in eine ganze Reihe beabfichtigter
apologetifcher Schriften, darunter das Buch de fato,
gewefen fei. Aber was der Verf. dafür geltend macht,
läuft fchliefslich darauf hinaus, dafs der Octavius nicht
die Vollftändigkeit eines Handbuchs der Apologetik
befitzt. Ebenfowenig wird feine Thefe dadurch bewiefen,
dafs c. 40 noch eine Disputation für den folgenden Tag
in Ausficht genommen wird; diefer Hinweis geht eben
nur auf de fato.

Halle a. S. Karl Johannes Neumann.

G ross, Reg.-R. Prof. Dr. Carl, Die Beweistheorie im canonischen
Process, mit befonderer Rückficht auf die Fortentwicklung
derfelben im gemeinen deutfehen Civilpro-
cefs. I. Allgemeiner Teil. Wien 1867, Holder. (V,
142 S. gr. 8.) M. 6. -

--dasfelbe. II. Befonderer Teil. Innsbruck 1880,

Wagner. (IV, 404 S. gr. 8.) M. 10. 40.

Was der Verf. 1867 als Privatdocent begonnen hat,
das bringt der nun vorliegende zweite Theil des genannten
Werkes zum glücklichen Abfchlufs. Das Thema des
Buches ift ein gefchichtliches. Unmittelbar praktifche
Bedeutung, fagt der Verf. in der Vorrede, habe der be-
fprochene Gegenftand nicht, da abgefehen von der päpft-
lichen Curie und denjenigen Ländern, wo auf Grund von
Concordaten die Ehegerichtsbarkeit der Kirche über-
wiefen fei (es ift noch unter dem öfterreichifchen Con-
cordat gefchrieben), der canonifche Procefs dermalen
nicht geübt werde, das Disciplinarverfahren gegen Kleriker
aber durch die vom Concil von Trient den Bifchö-
fen eingeräumte discretionare Bcfugnifs {ex informata con-
scientid) wefentlich modificirt fei. Er will das Beweisverfahren
, wie es in der Blüthezeit des canonifchen Pro-
ceffes, d.h. vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, auf Grund
der im canonifchen Rechtsbuch niedergelegten Normen
in Doctrin und Praxis fich entwickelt hat, gefchichtlich
darftellen. Die Berechtigung der Kirche, kraft ihrer göttlichen
Stiftung eine Gerichtsbarkeit in foro externo zu
üben, wird dabei beftens von ihm gewahrt, daher er
auch der Meinung ift, dafs feiner Arbeit die praktifche
Seite keineswegs fehle. ,Denn wenn die Kirche wieder
zu einer ausgedehnteren Gerichtsbarkeit gelangen follte,
fo würde die Anwendbarkeit ihrer fo dargelegten und
eben nur factifch aufser Anwendung, nicht aber aufser
gefetzlicher Geltung für ihr Forum getretenen proceffua-
lifchen Normen ebenfo wenig einem Zweifel unterliegen,
wie wenig dies gegenwärtig bezüglich des fchon jetzt
(1867) von ihr wieder erlangten gerichtlichen Wirkungs-
I kreifes, nämlich des Verfahrens vor den geiftlichen Ehegerichten
und des Strafverfahrens gegen Kleriker, bezweifölt
werden kann.' Der angekündigten Abficht
würde übrigens eine ftrengere Durchführung des exege-
tifch-hiftorifchen Verfahrens anftatt des fyftematifch entwickelnden
, als man in dem Buch findet, entfprochen
haben.

Der 1. (allgemeine) Theil handelt I. vom Begriff des
Beweifes und den verfchiedenen Eintheilungen desfelbcn,

2. von dem Subject des Beweifes oder der Beweislaft,

3. von dem Objecte oder dem Gegenftande des Beweifes,

4. von den Gründen, welche ohne Beweis die rechtliche
Gewifsheit einer Thatfache im Procefs bewirken (Noto-
rietät, Vermuthung), 5. von dem Geftändnifs, 6. von den
Beweismitteln im Allgemeinen, 7. von dem Beweisverfahren
, infofern die Geftaltung desfelben von der Natur
des einzelnen Beweismittels unabhängig ift, 8. von der
Würdigung des Refultates der Beweisführung im Allgemeinen
. Im 2. (befonderen) Theile wird fodann behau-