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Ausgabe:

1881 Nr. 17

Spalte:

409-410

Autor/Hrsg.:

Deisenberg, W.

Titel/Untertitel:

Theismus und Pantheismus 1881

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Seite 1

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409

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 17.

410

ticismus giebt, welcher verwehrt, über die Grenzen des
geficherten Wiffens ins Blaue zu fchweifen. Sollte aber
der Verf. unter der Vernunftnothwendigkeit, von welcher
er ausgeht, das unabweisbare Bedürfnifs des menfch-
lichen Geiftes verftehen, nicht in der Erfcheinung hängen
bleiben, fondern dasWefen der Dinge erkennen zu wollen,
— fo läfst fich gegen die damit herangezogene That-
fache als folche nichts einwenden. Wie immer man aber
diefelbe bezeichnet, ob man fie Bedürfnifs nennt oder
fonftwie, fo wird man fich keines Ausdrucks bedienen
können, der nicht fchon verräth, dafs es fich da um eine
ganz andere Seite des mcnfchlichen Geifteslebens als die
rein theoretifche handelt, um etwas, worüber man fach-
gemäfs nicht verhandeln kann, ohne in umf äffend er
Weife diefe andere nämlich die praktifche Seite desfel-
ben mit in Betracht zu ziehen. Und wenn das gefchieht,
dann dürfte das platonifche ,Evangelium eines erhabenen
Idealismus' (S. 3; mit feinem Bildungsariftokratismus nicht
viel Ausficht haben, fich als wahr zu erweifen. Aber
vielleicht liefse Geh dann um fo eher ein Beweis führen
für das Evangelium vom Gottesreich, welches des Men-
fchen Sohn den Armen verkündigt hat, und welches doch
ohne Zweifel auch nach des Verf.'s Anficht das echte
Evangelium ifl.

Ich finde alfo, dafs diefe Schrift innerhalb der erwähnten
Grenze eine gelungene ift, und dafs fie auch im
einzelnen manches fehr bcherzigenswerthe enthält, dafs
fie aber das vom Verf. erftrebte Ziel nicht erreicht, weil
es auf dem von ihm betretenen Wege überhaupt nicht zu
erreichen ift.

Bafel. J. Kaftan.

Deisenberg, Doc.ür.W., Theismus und Pantheismus. Eine
gefchichtsphilofophifche Unterfuchung. Wien 1880,
Faefy & Erick. (267 S. gr. 8.) M. 5.—

Der Verfaffcr giebt nichts weiter, als eine Apologie
des römifchen Katholicismus. Diefen ficht er an als
den genuinen Vertreter des Theismus und des Chriften-
thums, alle geiftigen Richtungen aber, die jenem ent-
gegenftehen, werden als Pantheismus dargcftcllt. Zuerft
fchildcrt Dr. Dcifenberg den Sieg des Theismus über
das griechifch-römifche Heidenthum, dann den Sieg des-
felben über den Mohammedanismus und die Renaiffance.
In der Gegenwart findet er den Pantheismus theils in
der Zeitphilofophie, theis auch im Protcftantismus. Dem
letzteren giebt er kein fchönes Zeugnifs. ,Der Protcftantismus
', fagt er (S. 237. 38), ,ftellt fich dem Katholicismus
der Art entgegen, dafs im Proteftantismus das chrift-
liche Element nur zur Schale, dagegen der Humanismus
zum eigentlichen Kern wurde. Sobald der zur weltge-
fchichtlichen Entwickelung drängende Geift der Menfch-
heit den Kern zum Aufkeimen zwang, barft die Schale
und zerfprang in taufend Brüche, und aus dem Kerne
wuchs der Baum des Rationalismus empor, als deffen
Früchte der Materialismus, Pofitivismus, Skepticismus, Indifferentismus
, Peffimismus erfcheinen, alfo Erfcheinungen,
die zum gemeinfamen Motto den ,Danteifchen' Ausfpruch
führen: ,voi che tutrate gm, lasciate ogni speranza!1 Ins-
befondere erfreut fich Luther einer wenig wohlwollenden
Kritik Dr. Deifenberg's. Er will nicht entfeheiden, ob
Luther, wie Dorner fage, eine der grofsen gefchicht-
lichen Geftalten fei, in welchen der Kern einer neuen
fittlichen und religiöfen Anfchauung wie verkörpert er-
feheine, oder nach Boffuet nur ein genialer Mann, oder
nach Joh. Scherr nur eine ,praktifch rechnende Mittel-
mäfsigkeit': jedenfalls gebe auch Dorner zu, dafs Luther
nicht für einen Heiligen habe gelten wollen, dafs feine
natürliche Individualität ihre Härten, Schranken und
Schwächen befeffen und ,mit ihren Widerfprüchen und
inneren Qualen in der Sclbftverzehrung und im Zergehen
gewefen und zu einem Chaos geworden fei'!! (S. 233).
Ängefichts von Form und Inhalt der letzten unter Anführungszeichen
gebrachten Aeufserung des Verfaffers
wird es wohl keinem evangelifchen Theologen noch
nöthig erfcheinen,Dorner'sGefchichte der proteftantifchen
Theologie auch nur aufzufchlagen, um zu erkennen, dafs
es in Deifenberg's Buche mit den Citaten nicht allzu
genau genommen wird. — Der heilige Ernft der Selbft-
beurtheilung Luthcr's wird dazu gemilsbraucht, feine fitt-
liche Perfönlichkeit zu verdächtigen (S. 233); mit Behagen
wird nach Scherr berichtet, Luther's ganze Bildung habe
kaum merklich über das Niveau mönchifcher Cultur fich
erhoben (S. 234), und ihm vorgerückt, dafs er gegen die
aufrührerifchen Bauern gefchrieben. ,Zu viel verlangte
das Baucrnvolk nicht, denn heut zu Tage befitzt es noch
mehr, als es dazumal verlangte, aber der Apoftel
Chrifti fuhr in wahrhaft kannibalifcher Wuth gegen
die Bauern los' (S. 232). Von Luther's Rcchtfertigungs-
und Glaubenslehre weifs Dr. Deifenberg, dafs fie ganz
aus der neuplatonifchen und kabbaliftifchen Theofophic
entfprungen ift (238), und das proteftantifche Bckenntnifs
widerfpricht nach ihm nicht nur den allgemcinften Wahrheiten
und Lehren des Chriftenthums, fondern auch der
gefunden Vernunft und dem richtigen Denken (240). —
Gleichwohl ift der Verfaffer fo gnädig, auf eine Vereinigung
des Katholicismus und Proteftantismus zu hoffen.
Wenn der Katholicismus die Meinung aufgebe, dafs
Thomas' Summa nicht zu übertreffen fei und der Proteftantismus
alles Hcllenifche und dem Chriftenthum
Fremde von fich ausfeheide, fowie Hegel's Logik verleugne
(244. 45), lo werde vielleicht der Altkatholicismus
einmal zwifchen den beiden Bekenntnifsen vermitteln
können 1251).

Vielleicht wird Dr. Deifenberg wegen feines Urtheils
über den heiligen Thomas und den Altkatholicismus zur
Ordnung gerufen werden; es müfste denn etwa fein, dafs
feine gefchichtsphilofophifche Unterfuchung wegen ihrer
allzu geringen Bedeutung überfehen wird. Zwar zeichnet
der Verfaffcr durch eine grofse Literaturkenntnifs fich
aus, aber bei feinem offenbaren logifchen Unvermögen,
das faft durch jede Seite feiner Schrift an den Tag gelegt
wird, find die Citate, von denen übrigens eins nicht
weniger als 12 Seiten umfafst (S. 8—20) auch das einzige
Werthvolle, das beigebracht wird. Mit der deutfehen
Grammatik liegt Deifenberg ebenfalls unzählige Male im
Streit (ftarke Beifpiele findet man auf S. 55. 58. 158. 6g.
72. 70. 3g. ig7); nach der Befchaffenheit feiner grammati-
fchen Fehler und feiner theologifchen Denkungsart
möchten wir vermuthen, dafs er in einem franzöfifchen
Jefuitencolleg feine Bildung empfangen habe. Jefuitifch
ift es ja auch, dafs er überall den Katholicismus gegenüber
dem Proteftantismus darfteilt als den Vertheidigcr
der Vernunft und der FVeiheit (vgl. aufser den angeführten
Stellen noch S. 130 f. S. 23g), wie er denn auch
noch befonders erwähnt, dafs es cinVerdienft des Chriftenthums
fei, in dem Kirchenlehrer Bellarmin das Königthum
nicht von Gottes Gnaden, fondern vom Willen des
Volkes vertheidigt zu haben (S. 22g. 30).

Lennep. Lic. Dr. Thönes.

Vosen, Relig.-Lehr. Dr. Chrn. Herrn., Das Christenthum

und die Einsprüche seiner Gegner. Eine Apologetik für

jeden Gebildeten. 4. Aufl., bearb. v. Relig.-Lehr. Dr.

Ferd. Rheinftädtcr. Freiburg i Br. 1881, Herder.

(XX, 857 S. gr. 8.) M. 7. -

Das Werk des im J. 1871 verftorbenen Gymnafial-
lchrers Dr. Vo fe n ift vielleicht die verbreitetfte Apologetik
vom katholifchen Standpunkt und in ihrer Art eine
hervorragende Leiftung. Das kirchliche Bekenntnifs des
Verf.'s tritt hier, ohne verleugnet zu werden, ganz in den
Hintergrund. Es gilt, den chriftlichen Glauben in feinen
Grundzügen zu vertheidigen, d. h. etwa denfelben Stoff,
den Luthardt in den apologetifchen Vorträgen Bd. I
behandelt hat, refp. Hettinger in der ,Apologie des