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Ausgabe:

1881 Nr. 16

Spalte:

384-385

Autor/Hrsg.:

Schmid, Aloys

Titel/Untertitel:

Untersuchungen über den letzten Gewissheitsgrund des Offenbarungsglaubens 1881

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 16.

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und dadurch ausgeglichen wird, dafs die Jünger doch
im erden Abendmahle Jefu reale leibliche Gegenwart
auch genoffen, — "fo haben fie das in gleicher Weife
auch vor und nach dem Abendmahle gethan; — diefe
Handlung hat darin nichts geändert, — und man müfste
dann doch ein myftifches Geniefsen des himmlifchen
Chriftus durch den Glauben in calvinifcher Art von dem
irdifchen Sacramente ablöfen können. Auch mufs ich
entfchieden dagegen Einfpruch erheben, dafs, ,weil fogar
Dieckhoff das nicht mehr annimmt', man als lutheri-
fcher Theolog leugnen dürfe, dafs die Ungläubigen
Chrifti Leib und Blut wirklich geniefsen, und lehren könne,
dafs fie nichts als die Elemente empfangen. Die genuine
lutherifchc Kirchenlehre ifl in dielem Punkte vollkommen
dogmatifch folgerichtig, und ift ohne diefes Stück gar
nicht darzuftellen (852. 855. 870. 873). Defto vortrefflicher
ift Dorner's praktifche Vertheidigung derUnions-
grundfätze in Bezug auf die Sacramentsfeier (874), —
wie überhaupt, fobald ethifche und kirchenrechtliche
Fragen zur Sprache kommen, Weisheit und Milde des Ur-
theils wohlthuend berühren (769. 833. 842. 886. 952).

Der Unterzeichnete hatte in feiner Anzeige des erften
Bandes diefer Dogmatik den Tadel ausgefprochen, dafs
der Verf. in der Principienlehre eine eingehende Aus-
einanderfetzung mit Ritfehl vermieden habe. In diefem
Bande ift nun der genannte Gelehrte einer fehr häufigen
und eingehenden, freilich nicht gerade wohlwollenden
Berückfichtigung gewürdigt. Aber meinen Tadel kann
ich nicht zurücknehmen. Denn weil der Verf. Ritfehl
ganz aufserhalb des Zufammenhangs der Vorausfetzun-
gen feiner Theologie beurtheilt, ergiebt fich nothwendig
ein fchiefes und ungerechtes Bild feiner Anflehten. Be-
fonders auffallend ift das der Behandlung Schleiermacher's
gegenüber, der ebenfalls ganz ohne Rückficht auf die
in feiner Metaphyfik und Psychologie vorliegenden Vor-
ausfetzungen benutzt und ebenfo einfeitig als testis veri-
tatis angeführt wird, wie Ritfehl als Gegner der chrift-
lichen Wahrheit. Es liegt mir fern, der Kritik der
Ritfchl'fchen Verföhnungslehre S. 592 ff. eine Antikritik
entgegenzufetzen. Aber es mufs entfchieden zurückgewiesen
werden, wenn Dorner Ritfchl's Anficht fo darfteilt
, als ob die Erfahrung von Gottes Vaterliebe nicht
nur von dem erfolgreich vollbrachten Werke Chrifti aus
möglich wäre, fondern etwa wie ein Satz der natürlichen
Theologie auch abgefehen von dem Zufammenhange mit
dem Erlöfer, — oder wenn Dorner den Satz, dafs der
mit dem Willen Gottes in Chriftus Geeinigte keiner be-
fondern Sühne bei Gott bedarf, für gleichbedeutend hält
mit der Meinung, Gott könne mit der Sünde compro-
mittiren, — oder wenn er R. fo verfteht, als ob die Liebe
Gottes das phyfifche Wohlbefinden der Creatur, nicht
den höchften göttlichen Zweck anftrebe, — und als ob
R. die abfolute Bedeutung der fittlichen Idee abfehwäche,
wenn er leugnet, dafs die Stellung des Schöpfers und
Vaters zu feiner Creatur fich mit dem Mafse des unter
Gleichen geltenden Rechtes meifen laffe (612 ff.). Und
fchwerlich wird ein Kenner der Theologie Ritfchl's eine
Beurtheilung diefes Gelehrten gerecht finden, in welcher
Sätze vorkommen wie S. 75: ,die Sünde, abgefehen von
dem definitiven Gegenfatze gegen feinen erkannten Willen
, ficht Gott als Unwiffenheitsfünde an, um deretwillen
er den Menfchen nicht ftrafen könne, — ein Satz,
auf den R. feine ganze Verföhnungslehre aufbaut' (vgl.
180), — oder S. 176. 599 .Annahme einer doppelten und
widerfprechenden Form der Wahrheit', — oder S. 149
,Ritfchl, der fonfl ein Verdienft darin fucht, wichtigen
theologifchen Fragen durch Berufung auf Nichtwiffen
fich zu entziehen'. — Und wenn D. (S. 178) meint, ,bei R.
ift nicht zu verliehen, warum von der Stellung zu Chrifti
Plrfcheinung und nicht blofs zu Gott und zur Gemeine
Werth und Schickfal fchliefslich abhängen' und S. 379
,R. überfieht, dafs nicht blofs das Werk, auch die Selbft-
darftellung, Chriftum offenbart', und S. 380 ,Chrifti Perfon

behält bei R. eine zufällige Bedeutung neben dem chrift-
lichen Princip' (604), — fo fragt man fich verwundert,
ob denn nach R. eine Zugehörigkeit zur Gemeine ohne
Eingehen in das Werk Chrifti möglich ift, und ob er
eine Selbftdarftellung Chrifti neben feinem Werke annimmt
. Ebenfo feltfam berührt die Anklage, dafs R.'s
Sprache ,oft fchillere' (S. 380), oder dafs R. durch katho-
lifirende Betonung der Kirche für das Heil gegen den
Mittelpunkt der Reformation uns an Menfchenautorität
weife (604). Und wenn Dorner S. 597 zweifelt, ob R.
nicht auch die ,fittliche Willensfreiheit leugne' und fortfährt
, ,das Problem der moralifchen Freiheit nennt R.
zwar eine Meifterfrage, aber er wagt nicht, fondern
vermeidet, eine eigne runde Antwort in Betreff ihrer zu

j geben', — fo ift das Mifsverftändnifs der Ausdrücke R.'s
kaum zu erklären. Ein folches Mafs von Mifsverftänd-

| nifs des Gegners bei einem fo bedeutenden und Wahrheit
fuchenden Beurtheiler zeigt lehrreich, wie fchwer in
der Gegenwart verfchiedenartige Syfteme einander ge-

j recht werden, und ift geeignet, über unglaubliche Mifs-

! verftändnifse der eignen Anflehten durch theologifche
Gegner zu beruhigen.

Göttingen. H. Schultz.

Schmie!. Prof. Dr. Aloys, Untersuchungen über den letzten
Gewissheitsgrund des Offenbarungsglaubens. München
1879, Stahl. (VII, 315 S. gr. 8.) M. 4. —

,Der göttliche Glaube an die Thatfächlichkeit und
den Inhalt der Heilsoffenbarung reicht nach biblifch-
kirchlicher Lehre feiner Gewifsheit nach weit hinaus über
1 alles Vernunftwiffen und allen in letzterem wurzelnden,
rein menfehlichen Autoritätsglauben. Welches ift nun
aber der Grund diefer dem übernatürlich-göttlichen
oder theologifchen Glauben eigenthümlichen, höheren
Gewifsheit?'

Mit diefen Worten der Einleitung formulirt der Ver-
faffer den Gegenftand feiner Unterfuchung. Indem er
| dann aber weiter einen vierfachen Grund der bezeichne-
j ten höheren Gewifsheit vorläufig unterfcheidet, da man
entweder nach der vorbereitenden Urfache ihrer Erzeugung
(causa dispositiva), oder nach der wirkenden
Urfache (causa efficiens), oder nach der Norm (causa direc-
I tiva), oder nach dem Beweggrunde (causa formalis, ob-
I jecium formale quo, motivum propter quod) derfelben fragen
könne, beftimmt er fein Thema näher dahin, dafs er den
j vierten der erwähnten Fragepunkte näher erörtern will,
j Vorbereitende Urfache der Erzeugung jener Gewifsheit
: nämlich fei zweifelsohne alles dem göttlichen Glauben
vorausgehende Vernunftwiffen fammt dem in diefem wurzelnden
rein menfehlichen Autoritätsglauben, wirkende
j Urfache das Gnadenlicht des Glaubens und der durch
I dasfelbe erleuchtete Menfchengeift, Norm die heilige
I Schrift, die Ueberlieferung und die Kirche: einer näheren
S Erörterung bedürfe alfo nur der vierte Punkt. Indefs
| bringt der Verfaffer auch die beregten drei anderen Ge-
j wifsheitsgründe infofern zur Sprache, als er die Frage
| beantworten will, ob jene 3 Gewifsheitsgründe in dem
vierten miteingefchloffen feien, oder nicht.

Er theilt feine Schrift in 4 Abfchnitte, von denen
, der 1. behandelt die ,apologetifchen Gewifsheitsgründe',
der 2. ,die apologetifchen Gewifsheitsgründe in ihrem
Wechfelverhältnifs unter einander', der 3. den ,Gewifs-
heitsgrund des menfehlichen und göttlichen Offenbarungs-
i glaubens', der 4. den ,Gewifsheitsgrund der menfehlichen
und göttlichen Glaubwürdigkeitserkenntnifs1.

Um zunächft ein Wort von der Form der Darfteilung
zu fagen, fo giebt der Verfaffer in jedem Abfchnitt
I zuerft eine verhältnifsmäfsig fehr ausführliche Gefchichte
| der verfchiedenen Lehrmeinungen, und er befchränkt fich
nicht auf vor- und nachtridentinifche Theologen der
| eigenen, fondern zieht auch die theologifchen Vertreter
1 der proteftantifchen Kirche in den Kreis feiner Betrach-