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Ausgabe:

1881 Nr. 1

Spalte:

18-19

Autor/Hrsg.:

Kieser, Hugo

Titel/Untertitel:

Gottes Wort an unsere Zeit. Predigten 1881

Rezensent:

Wächtler, August

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17 Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 1. 18

logifchen Vorausfetzung abhängigen Perfönlichkeit empfangen
.

Der Verf. giebt meift keine befonderen Dispofitionen,
fondern bcfchränkt fich darauf, fie in einem fehr bündig
und präcis gefafsten zweitheiligen Thema anzukündigen;
fo ftellt er über Luc. 15, 11 ff. das Thema auf: ,Gott
verloren — Alles verloren, Gott gewonnen — Alles gewonnen
; über Matth. 19, 16—26: ,Was fehlt mir noch:
Eine menfchliche Frage und die gottliche Antwort darauf
; über Joh. 8, 31—45: ,Was ein Volk zum Knechte
macht und ins Verderben ftürzt, und was ein Volk ftark
und frei macht und es in die Höhe führt'; über Matth.
28, 18—20: .Chriftus bei uns und wir bei ihm.' Wie
der Verf. auch bekannte, viel behandelte Texte in eigen-
thümlicher Weife zu benutzen vcrfleht, beweifen z. B.
die Predigten über Matth. II, 2—10 (Johannes und
Chriftus, der gefetzliche und der evangelifche Gcift'),
über Luc. 2, 41—52 (,der Zug des göttlichen Gciftes und
der menfchliche Gehorfam') und über Joh. 4, 15—26
(,die Elucht vor der Wahrheit, wie fie in Chriftus ift' mit
einer wefentlich ungünftigeren, unferes Erachtens pfycho-
logifch richtigeren Beurtheilung des famaritifchen Weibes,
als fie in den meinen neueren Predigten üblich ift).

Dresden. Meier.

Engelhardt, Prof. M. v., Predigten, gehalten in der Uni-
verfitätskirche zu Dorpat. Dorpat 1880, Karow.
(III, 84 S. gr. 8.) M. 2. 25.

Mehr als in den Landerer'fchen Predigten fpürt man
den Profeffor in den vorliegenden — eine Bemerkung,
die einen deutfehen Lefer feltfam genug anmuthet —
,von Seiten des livländifchen evangelifch-lutherifchen
Confiftorii' approbirten, ,von der Cenfur geftatteten' Predigten
; jene find unmittelbarer und athmen bei aller Gebundenheit
an die Schrift einen freieren Zug, während
diefe das Gepräge der Lehrhaftigkeit tragen und ihnen
durchweg der kirchlich-dogmatifche Stempel in ihrer
ganzen Anlage und Gedankenentwicklung aufgedrückt
ift. Aber es ift darum keineswegs abftracte Doctrin
oder Dogmatik, die der Verf. bietet; die Predigten find
vielmehr gründlich und tief durchdachte, gehalt- und
lebensvolle, gut lutherifche Zeugnifse, die, von grofser
Vollendung der Form, knapp und präcis im Ausdruck,
das dogmatifche mit dem ethifchen Element verbinden
und ebenfo mit ernfter, einfehneidender Predigt des Ge-
fetzes die Gewiffen fchärfen, als mit Parrhefie das Evangelium
verkündigen, ganz geeignet, den Glauben
zu begründen, deffen Grundlegung der befondere Zweck
gerade der in diefe Sammlung aufgenommenen Predigten
ift. Die Krone der Predigten, die mit Ausnahme
einer einzigen an Fefttagen gehalten find, ift unferes
Erachtens die eine Gründonnerstagspredigt über
Luc. 23, 39—43 mit dem Thema: ,die drei Kreuze', eine
mächtig anfaffende, tief ergreifende Predigt von grofser
Eindringlichkeit. Nicht fo können wir uns einverftanden
erklären mit der an erfter Stelle mitgetheilten Neujahrspredigt
. Die akademifche Kühle und Sprödigkeit, mit
welcher der Verf. das Cafuelle, den Uebergang in das
neue Jahr, faft völlig ignorirt, und nur bei der Einleitung
und am Schluffe desfclben gedenkt, hat etwas Befremdliches
. So trefflich die Predigt an fich ift, fo will doch
auch eine Univerfitätsgemeinde am Neujahrstag etwas
Anderes hören, als, was alle Sonntage gepredigt werden
kann, eine allgemeincBetrachtung überdenWeg desGefetzes
und den Weg des Glaubens. Und ohne Künftelei hätte der
Text Gal. 3, 23—26 reiche Momente zu cafucller Behandlung
geboten, wenn namentlich der Verf. aufser der
Anknüpfung an den Schlufsvcrs des Textes noch mehr
betont hätte, wie das Gefetz fich für uns auch darftcllt
in den verfchiedenen Lebensordnungen, in deren Gehorfam
der Menfch fittlich erzogen werden foll für die Freiheit
in Chrifto. Was die Reformationspredigten anlangt,
von denen zwei vorliegen, fo thut an ihnen fehr wohl
die Freiheit von aller falfchen Polemik und die Kraft
und Energie, mit welcher der Verf. in die Tiefe der
evangelifchen Grundanfchauungen eindringt und die Reformation
der Kirche zugleich als Selbftreformation der
Menfchen verliehen lehrt; aber auffallend ift insbefondere
bei dem ftreng lutherifchen Standpunkt des Verf.'s, dafs
die Bedeutung der Kirche und der kirchlichen Gemein-
fchaft überhaupt für das individuelle Chriftenthum und
fpeciell der kirchlichen Gnadenmittel für die Erbauung
im Glauben in denfelben faft ganz zurücktritt.

Dresden. Meier.

Kieser, Archidiak. Hugo, Gottes Wort an unsere Zeit.

■ Predigten. Arnftadt 1880, Frotfcher. (IX, 172 S. gr. 8.)
M. 2. —

Die elf Predigten diefer Sammlung behandeln lauter
Gegenftände, welche für unfere Zeit von befonderer Bedeutung
find. Auf brennende Fragen wird die löfende
Antwort aus dem Worte Gottes gegeben, und die Segnungen
, welche diefes unfercr Zeit bringen könnte, wenn
fie demfelben nicht widerftreben wollte, werden mit
Wärme gefchildert. Was über die vielbefchrieenen Entdeckungen
von einem ,alten und neuen Glauben' und
von einer ,Selbftzerfetzung des Chriftenthums', über den
Altkatholicismus, über die fociale Bewegung, auch über
die Attentate auf den deutfehen Kaifer vom Standpunkte
eines weitherzigen und lebendigen evangelifchen Glaubens
zu fagen ift, was einige der vornehmften Ereignifse der
Hcilsgefchichte für das kirchliche und chriftliche Leben
unferer Tage bedeuten, das ift in diefen Predigten durchaus
mit dem ernften Streben ausgeführt, unferer Zeit zum
Verftändnifs ihrer felbft und der göttlichen Wahrheit
zu verhelfen, und durch das Verftändnifs des Wortes
Gottes das Verftändnifs für die Aufgaben unferer Zeit
zu fördern.

Die Ueberzeugung des Verfaffers von der unzer-
ftörbaren Kraft des Chriftenthums und von der Noth-
wendigkeit, dafs dasfelbc im engen Bunde flehen müffe
mit edler menfehlicher Bildung, mitten drin im Denken
und Empfinden der Gegenwart, fowie das Geftändnifs,
welches der Verf. ebenfalls im Vorworte ausfpricht,
dafs feine Predigten das Gepräge diefer Zeit tragen,
,des evang. Glaubens, wie er fich in der eigenthümlichen
Atmofphäre unferer Zeit entwickelt', empfangen beide
durch die Predigten ihre Beftätigung. Das Bedenken
nur müffen wir ausfprechen, ob es dem Verf. gelungen
fei, den Irrthum zu befeitigen, dafs das Wort Gottes für
unfere Zeit unter diefem Gefichtspunkte von feiner ewigen
Geltung und Superiorität etwas einbüfsen müffe. Wir
meinen das nicht nur in Bezug auf einige in unferer Zeit
vielfach beliebte Wendungen, welche auch hier als ein
Wort Gottes ausgefprochen zu fein fcheinen. So heifst
es z. B. S. 14 bei der Predigt über das Evang. des
III. Adv.-Sonntages ,es find nicht die finnliche n Wunder,

auf die Chriftus fich hier beruft,---aber nicht auf

ihnen ruht das Chriftenthum heutzutage (!) und ich glaube
nicht, dafs es mit ihnen fteht und fällt, — es find die
Wunder des Geiftes, die uns der Herr hier vor Augen
ftellt, die da immer noch gefchehen, die wir immer noch
erfahren, deren jeder, fo er zu Chrifto herantritt, gewifs
werden kann, ohne Widcritreit feiner Vernunft'. Auf
S. 116 heifst es: .diefes Wort Gottes ift nicht etwa der
Buchftabe der heiligen Schrift, es find nicht etwa Formeln
und Satzungen, wie fie die Menfchen ausgeklügelt,

--diefes Wort ift die gewaltige Urfprache Gottes

an das Menfchenherz, die noch immer drin einen vollen
j Wiederhall findet' u. f. w. Es gehört mit zu der Verkündigung
des Wortes für unfere Zeit, dafs die Autonomie,
I welche diefe fich der Vergangenheit gegenüber anmafst,